Ansichten

Holger Artus

Nicht immer klappt es, wie man es sich vorstellt

Geplant hatte ich zwei Aktivitäten zu den Deportationen aus Hamburg vom 10. und 11. März 1943. Daraus ist nichts geworden. Die öffentliche Erinnerung an die Deportation vom 10. März 1943 von 49 jüdischen Deportierten nach Theresienstadt musste ich leider absagen. Die zur Deportation von über 330 Sinti und Roma vom 11. März 1943 konnte stattfinden und war für mich ein eindrückliches Erlebnis.

Es war ein gewisses Risiko, zwei Kundgebungen gleichzeitig anzugehen, aber durch die Definition von unterschiedlichen Zielgruppen und räumlichen Lagen schien es mir möglich. Im vergangenen Jahr war ich analog mit zwei Kundgebungen am 14. und 15.Juli 2022 verfahren. Entsprechend hatte ich die Bewerbung so angelegt, dass der aufwändige Teil, die Gewinnung von Teilnehmer:innen aus der Nachbarschaft der Bornstraße und der Rutschbahn in den letzten drei Wochen vor der Kundgebung am 12. März 2023 liegen sollte. Der Ansatz: durch Kontakte und Gespräche in der Zeit wollte ich eine gewisse Beziehung zu der Nachbarschaft in den beiden Straße herstellen. Eine Verteilung Anfang Januar 2023 hatte mir einen ersten, sehr wertschätzenden Blick vermittelt. Die Bewerbung selber, das verteilen und plakatieren selber ist kein Aufwand. Die Vermittlung der Absicht, warum man eine Teilnahme prüfen sollte, die Herausforderung.

Man muss ein Gefühl für die Stimmungslage im Allgemeinen entwickeln. Den Teil für die Bewerbung der zweiten Kundgebung am 13. März 2023 hatte ich vorher planmäßig umgesetzt und im Zeitplan so umgesetzt, dass ich sogar zwei Tage entspannt durchatmen konnte, ohne unter Druck zu stehen, um an die gezielte Bewerbung für die Kundgebung am 12. März 2023 heranzugehen. Monatelang hatte ich zu den damaligen Verschleppten vom 10. März 1943 nach Theresienstadt recherchiert, habe beeindruckende Kontakte zu Angehörigen wie die von Ella Michel oder zur heute noch lebenden dieser Deportation, Ruth Dräger, bekommen. Die Recherchen haben neues zur Deportation nach meiner Einschätzung der Vorgänge zu Tage gebracht. Vermutlich muss man von 49 Personen am 10. März 1943 sprechen. Ich bin nach Rostock gefahren, um dort eine Info zu Paula Bayer zu verteilen. Die Info zu Elsa Struchholz war am schwersten, weil es ungeklärte Fragen gibt, die es in meinen Augen wert gewesen wären, zu klären. Bei fast allen Recherchen bin ich über das („Neben“)Thema der “Judenkolonnen” bis zur Deportation oder bei deren Familie zur Zwangsarbeit und der geplanten Kasernierung sowie Einsatz ab Oktober 1944 gestolpert. Ein Thema, an dem sich seit längerem dran und in Gesprächen bin.

Die Kundgebung zur Erinnerung an die Deportation von 10. März 1943 nach Theresienstadt hatte ich abgesagt

Unmittelbar mit der letzten Haushaltsverteilung von zwei Nachbarschaftsinfos Ende Februar 2023 im Grindelberg 77 zu Julius Speyer und zu Röschen Ascher in den Grindelhochhäuser im Grindelberg 44 zur Kundgebung am 12. März 2023 in der Bornstraße konnte ich vor Schmerzen kaum noch die Treppen steigen.

Ein Herzinfarkt hatte mich fest im Griff und zwang mich zur Aufgabe. Die Tage im Krankenhaus und die reduzierte Möglichkeit, volle Pulle danach von Tür zu Tür in der Bornstraße und Rutschbahn zu gehen, nahm mir ein wesentliches Moment in der Bewerbung. Trotz eines ambulanten Eingriff und zweier Stents landete ich vor dem geplanten Kundgebungsort-Wochenende erneut im Krankenhaus, dass ich gegen den ärztlichen Rat aber wieder verlassen hatte. Da ich die Nächte vorher wegen der Herzschmerzen kaum schlafen konnte, waren schon gewisse Gefahren da. Ich denke, richtig gehandelt zu haben, die Bewerbung der Kundgebung anlässlich des 80. Jahrestags der Deportation vom 10. März 1943 von Hamburg nach Theresienstadt abgesagt zu haben. Bereits die Verteilung zur Information der Absage war eine erhebliche gesundheitliche Belastung. Die aufgebauten Kontakte, die zugesagte Aktivitäten werde ich neu angehen und umsetzen. Ich freue mich darauf. Die vor dem Infarkt verteilten Nachbarschaftsinfo-Informationen in die Briefkästen in über 30 Häusern, wo einst die Deportierten von 10.März 1943 lebten, habe ich noch über Social Media gepostet – ohne den Passus zur geplanten Einladung der Kundgebung am 12. März 2023 um 15 Uhr in der Bornstraße.

Zur Planung und Durchführung der Kundgebung zur Erinnerung an die Deportation der Sinti und Roma am 11. März 1943

Das auf der Kundgebung zur Erinnerung an die Deportation von über 330 Sinti und Roma am 11. März 1943 von Hamburg nach Auschwitz vor der Ganztagsgrundschule am Montag, den 13. März 2023 zwischen 60 bis 70 Personen waren, hatte ich nicht erwartet. Es lag weit über dem Erwarteten. Optimistisch hatte ich gehofft, dass 20 plus x kommen. Im Stillen träumte ich, an die 30 heranzukommen, habe mich aber nicht getraut, es zu formulieren.

Im Unterschied zur Bewerbung geplanten Kundgebung am 12. März 2023 in der Bornstraße waren die Adressaten nicht in erster Linie die unmittelbare Nachbarschaft, gewissermaßen sublokal, sondern die Interessierten in der Zivilgesellschaft an sich gerichtet, soweit ich irgendwie Kontakte zu ihnen hatte bzw. sie wussten, dass es ein ernsthaftes Engagement ist. Da ich eher am Rande dieser Strukturen agiere, nicht unbedingt „umarmt“ werde und nur überschaubare Beziehungen habe, war es gleichzeitig ein Problem. Meine gewünschte strukturelle Unabhängigkeit von etablierten beinhaltet die Herausforderung, nicht wie selbstverständlich dazu zu gehören. Im Vorfeld der Kundgebung zur Erinnerung an die Deportation der Sinti und Roma vom März 1943 hatte ich verschiedene etablierte Reps bzw. Strukturen angesprochen. Ich blitze ab, so dass ich mich für ver.di und hier deren Arbeitskreis Rassismus entschied. Auch hier sah ich einige Akzeptanz-Probleme, die ich aber kompensieren konnte.

Der Kontakt zur Familie von Anna Rosenberg, hier speziell zu Laura Rosenberg, mit der wir mit der Kundgebung am 13. März 2023 auch erinnern wollte, war für mich die „Erdung“, wenn man an die Planung solcher Aktivität herangeht. Es hatte einen Sinn! Ab dem Zeitpunkt war mir egal, wie viele Personen am 13. März 2023 kämen.

Bei der Anlage der Bewerbung wurden frühzeitig die anzusprechenden Gruppen mit einem Aufruf und Plakat eingeladen. Zusätzlich konnte ich noch das Auschwitz-Komitee und die GEW Hamburg als Unterstützerinnen gewinnen und durch Absprachen zu Redebeiträgen in weiteren Zielgruppen einzelne Interessierte in den Blick bekommen. Die Bewerbung des 13. März 2023 hatte ich über Twitter organisiert. Über Facebook hatte ich die Infophase zur Kundgebung in der Bornstraße aufgebaut.

Die Erzählungen über ausgesuchte Deportierte vom 11. März 1943 und die Verteilung von Informationen in der heutigen Nachbarschaft hatten mir selber sehr gut getan. Ich konnte mich so dem Thema der Verfolgten besser widmen und annähern, mit dem ich mich bisher nicht ernsthaft beschäftigt hatte. Für meine Erzählungen über Deportierte vom 11. März 1943 sollten die Wohngebiete in meiner Nähe wie in St.Georg, St.Pauli oder Eimsbüttel liegen.

Sie mussten für mich räumlich leicht zu erreichen sein. Im Nachgang war dies das eigentliche Erlebnis, zu den Personen recherchiert zu haben, meine Reflektion aufzuschreiben und es zu verteilen. Es macht das Leiden der Betroffenen und Angehörigen nicht leichter, aber ich habe es besser verstanden und empfinde Verantwortung. Die Teilnahme am 11. März 2023 zur Kranzniederlegung zu den deportierten Sinti und Roma am Hannoverschen Bahnhof in der Hamburger Hafencity war für mich auch ein emotionales Erlebnis, obwohl ich so etwas eher lieber alleine und im stillen erfahren möchte.

Wenn ich den Ausgangspunkt meiner Betroffenheit nehme, so bin ich dem treu geblieben (Erinnerung an Laura Rosenberg), aber es hat sich für mich etwas völlig neues entblättert. Ursprünglich hatte ich eine jüdische Schülerin der Schule Schanzenstraße gesucht, die von der damaligen Schulleiterin im April 1942 als “Versippte” beschimpft hatte. Dass es sich um eine Sintezza handelte, erfuhr ich erst bei der Recherche. Dann lass ich das über die Zwangssterilisation von Laura, Martin und Emilie Rosenberg. Dann fand ich in den Akten im Staatsarchiv, dass ihr Bruder Johann im hessischen Hadamar ermordet wurde. Ich fand ihre Wohnadresse in der Vereinsstraße 18, las über die Deportation von Wilhelm Lutz, der hier gewohnt hatte und am 11. März 1943 deportiert wurde, genau wie Else Rosenbach und ihre Kinder Rudolph, Johann und Josef. Sie wohnten zum Zeitpunkt in der Thadenstraße 79, in die Ende 1944 Anna Rosenberg mit ihren Kinder einzog.

Im Laufe der Wochen erfuhr ich einiges über weitere Deportierte vom 11. März 1943:

Es werden zum Thema von mir noch weitere Aktivitäten in der Zukunft stattfinden. Es schmerzt mich, erst jetzt über die Verfolgung der Sinti und Roma im konkreten gestolpert zu sein. Sich leichtfüßig gegen Antiziganismus zu positionieren, fällt mir nicht schwer. Mein jetziges Bild ändern natürlich auch nichts daran, aber die Leichtfüßigkeit ist weg.

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