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Holger Artus

Eine Nachbarschafts-Info zu Paula Bayer in Rostock verteilt

Zur Bewerbung einer Kundgebung am 12. März 2023 vor der Bornstraße 22 ist es auch die Absicht, die heutige Nachbarschaft, in denen einst die jüdischen Deportierten vom 10. März 1943 lebte, über die Aktivität zu informieren.

Ich habe hier meinen „Nachbarschaftsbrief“, den in in einer kleinen Auflage unter den entsprechenden Adressen verteilen. Da ich einen Veranstaltung in Rostock hatte, habe ich eine Info dort in Burgwall 12 verteilt.

Liebe Nachbarn,

Eine frühere Nachbarin von Ihnen wurde 1943 über Hamburg ins Getto Theresienstadt/Terezin in die CSR deportiert. Über sie möchte ich Ihnen etwas erzählen und beziehe mich auf den Gedenkstein für Paula Bayer, geborene Nathan, vor dem Burgwall 12. Sie lebte unter dieser Adresse 1938. 

Am 12. März 2023 findet aus Anlass des 80. Jahrestages der Deportationen vom März 1943 in das Getto eine Kundgebung im Hamburger Grindelviertel vor der Bornstraße 22 statt. Paula Bayer gehörte vermutlich zu den 51 jüdischen Menschen, die damals verschleppt wurden. Eine weitere Jüdin, Ruth Geistlich, lebt heute noch und wohnte damals in der Bornstraße 22. Sie wurde vor wenigen Wochen 95 Jahre alt. 

Wer war Paula Bayer?

Paula wurde am 11. März 1885 in Rostock geboren und hatte vier Geschwister: Eugen, Bruno, Jenny und Alice. Die Namen der Eltern lauteten Clara und David. Die Familie wohnte damals in der Fischbank 39 in Rostock, sie starben 1914/1915. Paula und Alice zogen in die Rostocker Grubenstraße 13. Paula arbeitete als Altwarenhändlerin, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. 1921 heiratete sie den Fotografen Max Bayer aus Teterow. Er brachte eine Tochter mit in die Beziehung. Max starb 1937 und Paula zog von Teterow zurück nach Rostock, in den Burgwall 12. 

Zum Zeitpunkt der Deportation im März 1943 lebte sie in der Hamburger Beneckestraße 6, in einem so genannten Judenhaus. Sie lebte hier seit dem 10. Dezember 1942. Zum Hintergrund: Ab 1939 war den jüdischen Menschen das Wohnrecht genommen worden. Die Vermieter konnten ihnen binnen zwei Wochen kündigen. Sie wurde in jüdische ehemalige Wohnstifte, Altenheime und Waisenhäuser eingewiesen. Über die „Judenhäuser“ wurden vor allem die Deportationen in die KZs organisiert. 

Paula Bayer wurde entweder am 10. oder am 24. März 1943 von Hamburg nach Theresienstadt deportiert. Es gibt zwei alte Namenslisten von beiden Tagen, auf denen ihr Name steht. Wir haben uns als Veranstalter entschieden, am 12. März 2023 auch an sie zu erinnern. 

Sie fand in Theresienstadt/Terezin wenige Monate später ihre Schwestern Alice Witt wieder. Paula wurde am 15. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert und sofort nach ihrer Ankunft ermordet. Sie wurde 59 Jahre alt.

Paulas Bruder, Bruno Nathan, geboren am 17. Juli 1887, wohnte bis 1935 in Hamburg. Seit 1913 war er mit Luise Krüger verheiratet. Sie hatten seit 1921 eine Wäscherei im Ellernbusch 1 und lebten im Saling 20. Das Paar trennte sich 1934. Die Straße Saling liegt im Hamburger Stadtteil Hamm. Keines der damaligen Häuser dort überlebte das Bombardement der Alliierten im Juli 1943. Bruno wurde am 17. Dezember 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Auf Höhe Saling 20 erinnern Stolpersteine an ihn und seine zweite Frau Nina Nathan. 

Ihre Schwester, Alice Witt, geboren am 26. Januar 1891, wurde am 4. Juni 1944 von Rostock nach Hamburg deportiert und von dort direkt nach Theresienstadt. Sie überlebte, kam unterernährt, geschwächt und psychisch krank nach Kriegsende von dort nach Rostock zurück.

Ihre Schwester Jenny Nathan, geboren am 17. September 1889, war mit Gerd Ficken verheiratet. Sie lebten ebenfalls im Hamburg-Hamm, in der der Marienthaler Straße 72, nicht weit entfernt von der Wohnadresse ihres Bruders. Jenny lebte in einer so genannten Mischehe (ein furchtbarer Begriff), so dass sie nicht deportiert wurde. Wegen ihrer jüdischen Familien-Herkunft wurde sie zur Zwangsarbeit in Hamburg eingesetzt. Ihr Name stand auf der Liste der letzten Deportation von Hamburg nach Theresienstadt im Februar 1945, wurde aber wieder runtergenommen, da ihre beiden Söhne als Soldaten im Krieg waren.

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