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Holger Artus

Micro-Kommunikation über den Briefkasten

Zu einer Veranstaltung am 20. Februar 2024 im Werkhaus im Münzviertel erhielt ich nach der Verteilung eines Infos von 16 Exemplaren drei Mails und ein Nachbar kam zu Veranstaltung.

Kürzlich hatte ich eine Nachbarschafts-Info in einem Haus in der Isestraße verteilt, in der es um eine ehemalige Mieterin, Recha Lübke, ging. Vorher hatte ich die Stolpersteine für sie und weitere NS-Opfer vor dem Haus geputzt.

Sie wohnte dort von 1920 bis 1941. Am 19. Juli 1942 wurde sie über die Sammelstelle der damaligen Schule Schanzenstraße nach Theresienstadt/Terezin deportiert, 1944 nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Am 20. Februar 2024 wurde in Hamburg eine Straße nach ihr benannt.

In der Info hatte ich über Recha Lübke und eine Veranstaltung um 17 Uhr im Werkhaus in der Rosenallee 11, der damaligen Schule von Recha Lübke, am 20. Februar 2024 informiert. Drei Nachbarn melden sich mit aufmerksamen Worten für den Inhalt per Mail. Am Abend des 20. Februar 2024 kam ein dritter Nachbar zur Veranstaltung ins Werkhaus.

Es war nicht das erste Mal, dass Menschen auf Grund einer doch eher „Micro-Kommunikation” sich melden und/oder kommen – auch wenn ich nicht ihr direkter Nachbar bin, nicht in ihrem Stadtteil wohne und sie mich nicht kennen.

In rund 80 Prozent der individualisierten Briefkästen-Verteilung erfahre ich eine Rückmeldung aus einem Haus. Die Auflage liegt bei 20 bis 30 verteilten Exemplaren. Die Gesamtauflage pro Jahr liegt um die 2.000 Exemplare.

Diese „Nachbarschaftsbriefe“ sind ein Teil meines Vorgehens, nicht die alleinige Form. In diesem Fall entstand der Termin kurzfristig, so das die Erzählung schneller überlegt werden musste und die Form der Erzählung. Hier war es zu erst die Info an die Schulleitung der Ganztagsgrundschule Sternschanze und den Personalrat, da Recha Lübke über diesen Ort 1942 deportiert wurde sowie die Information der interessierten Öffentlichkeit.

Weitere Schritte: Die Verteilung einer Info im Kleinen Schäferkamp 32 und Isestraße 21, den beiden Wohnorten von Recha Lübke; Abstimmung mit der GEW über ihre Beteiligung und Publikation über deren Web-Seite; wie soll die eigene Web-Publikation aussehen und die Medienarbeit. Da die Namensanbringung durch das Bezirksamt erfolgte und der Träger die Stadtteillinitiave Münzviertel war, musste dies erzählt werden. In diesem Fall wollte ich das mit Post auf Social-Media berücksichtigen. Natürlich war ich im Vorfeld darum bemüht, dass die Aktivität zu einer Deportierten über den Hannoverschen Bahnhof auch mit dem Doku-Zentrum erfolgt, am liebsten durch deren Teilnahme. Allerdings erhielt ich hier (nicht zum ersten Mal) eine Absage.

Da ich wusste, dass ich auf der Abendveranstaltung im Werkhaus rede, hatte ich mir überlegt, wie ich das einbringe. Der Ansatz war, ein neues Thema ansprechen, an dem ich dran bin (Fritz Köhne Schule in Rothenburgsort) und dass nahtlos reinpasst, weil ein klarer Bezug zur Rosenallee 11 (Herbert Witthöft).

In der Summe sind diese „Nachbarschafts-Info“ die Hauptkommunikation auf Papier, dazu kommen die Blogs, das Posting auf Social Media, die Gespräche mit Partner:innen, die eine Aktivität tragen und die Planung der Aktivität selber. Mailing und Presse-Infos sind ebenfalls klassische Instrumente. Da ich auf einer sublokaler Ebenen kommuniziere, nützt Social Media mit Blick auf diesen anzusprechenden Personenkreis wenig. Die „Nachbarschafts-Infos“ sind die beste Form, in jeder x-beliebigen Nachbarschaft anlassbezogen Kontakte zu generieren.

Meine weiteste Reise war bisher nach Rostock, wo ich morgens eine Info zu Paula Beyer verteilt hatte und Abends eine Veranstaltung hatte. Hier war die Auflage etwas größer (120 Exemplare).

Reaktion gab es unmittelbar keine, aber ich wollte nicht nur auf einer Veranstaltung sprechen. Generell verteile ich diese Kleinstauflage anlassbezogen. Es ist ein Angebot, wenn man will, kann man etwas tun. Im Fall der Fahrt nach Rostock war das „Angebot“ eine kleine Kundgebung in Hamburg (und nicht die abendliche Veranstaltung in Rostock). Mir war klar, dass diese Kommunikation so nicht funktioniert. Aktuell plane ich eine Info in den Niederlanden, aber noch bin ich mir nicht sicher, ob es funktioniert.

Die sublokalen Themen kann ich in Ruhe bearbeiten, ich habe – um Unterschied zu größeren Aktivitäten – keine politische Konkurrenz. Mein politisches Umfeld interessiert sich nicht für dieses Zielgruppe, ihre Erzählung ist immer auch „Ideologie“ und Meinung. Ich reduziere sehr stark auf den Sachverhalt und spreche Meinung sehr zurückhaltend an. Der Anlass, ob eine Kundgebung, die öffentliche Übergabe einer Erinnerungstafel, die Verlegung eines Stolpersteins sind sehr polisierend, aber nicht sichtbar, sondern in der Planung und Einbindung von Partner:innen. Weder geht es um die „große Weltlage“ oder „Selbstdarstellung“. Ich bemühe mich, bei einem schweren Thema, um eine niedrigschwellige Erzählung. Die Leute können sich auf Grund der Sachverhaltsdarstellung eine Meinung bilden. Aus den Gesprächen mit der Nachbarschaft, die mich auf der Straße ansprechen, weiß ich, dass hierüber die Meinungsbildung verstärkt wird.

Es ist für mich ein wenig wie in meiner Arbeit als Betriebsrat, ich will sichtbar sein, mich nicht hinter dem „wir“ verstecken. Meine Infos führen den Namen, die Adresse, die Mobile Nummer und Email auf. Mail und Anruf sind dann auch die Hauptreaktionsfelder.

Zum verteilen gehört auch immer das Gespräch an der Haustür. Um reinzukommen, muss ich natürlich nur einmal klingeln. Wenn ich aber in mehr als drei Häuser verteile, bekomme ich schon ein erstes Meinungsbild, ob das Thema interessiert.

Auf der Erinnerungsveranstaltung am 20. Februar 2024 sprach Günter Westphal von der Stadtteil-Initiative davon, dass zur einer an die Menschen gerichtet Arbeit immer das Angebot der ernstgemeinten Beteiligung gehöre. Dabei fielen mir Diskussionen mit ihm um zwei Aktivitäten von mir im Münzviertel ein. Einmal ging es um die Nähstube in der Rosenallee 11 und zum anderen um Paul Kroll in der Rosenallee 5. Ich wollte reduziert im letzten Fall eine Auflage von 8 Exemplaren in der 5 verteilen, er beharrte darauf, die größer zu fassen, damit mehr Nachbarn es mitbekommen, so dass ich wenigsten in zwei Straßenzügen verteilte.

Bei der Nähstube musste ich auch die Auflagen „hochdrehen“ und in allen Straßenzügen im Münzviertel bis zur Spaldingstraße verteilen.

Mein damaliges Ziel war, im Rahmen des 80. Jahrestages der Deportation über die Schule Schanzenstraße 2022 das Thema der Zwangsarbeit für jüdische Menschen – um sie aus Deutschland zu vertreiben – am Beispiel der Nähstube über unsere Web-Seite www.sternschanze1942.de zu erzählen und „vor Ort“ zu sein. Er sagte, dass zur Beteiligung die Information gehöre. Heraus kam nicht nur eine Info, sondern eine Erinnerungsaktivität vor der Rosenallee 11. Die Nachbarn kamen.

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