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Holger Artus

Aus „Högerdamm“ wird „Recha Lübke-Damm“

Am 16. Februar 2024 habe ich eine Nachbarschafts-Info in der Isestraße 21 verteilt. Vorher habe ich die Stolpersteine vor dem Haus geputzt.

Recha Lübke wohnte hier von 1920 bis 1941. Sie war Jüdin und wurde in Auschwitz ermordet. Am 20. Februar 2024 wird in Hammerbrook eine Straße nach ihr benannt.

Ein toller Erfolg der Stadttteil-Initiative Münzviertel, sie sich seit Jahren dafür eingesetzt hatte, eine Straße in ihrem Viertel nach Recha Lübke zu benennen. Sie war in der Mädchenschule Rosenallee 33 Jahre Lehrerin, bevor sie 1934 aus dem Schuldienst geschmissen wurden. Verteilt haben wir auch eine Info im Kleinen Schäferkamp 32, wo sie 1942 vor der Deportation im Juli 1942 leben musste. Am Morgen haben wir Blumen an der Namenstafel der jüdischen Deportierten vor der Ganztagsgrundschule Sternschanze niedergelegt. Hier die Info, die ich in die Briefkästen der Isestraße 21 gesteckt hatte.

Am 20. Februar 2024 wird im Hamburger Münzviertel, direkt hinter dem Hamburger Hauptbahnhof, eine Straße den Namen „Recha Lübke-Damm“ bekommen. Ich schreibe Ihnen, da sie gewissermaßen eine Nachbarin war. Sie wohnte von 1920 bis 1942 in der Isestraße 21. Vor Ihrem Hauseingang finden Sie einen Stolperstein auch für Recha Lübke.

Da sie Jüdin war, musste sie ihre Wohnung 1942 verlassen und musste in ein so genanntes Judenhaus umziehen, in den Kleinen Schäferkamp 32 (in unmittelbarer Nähe wohne ich).  Dies waren Massenunterkünfte für  jüdische Menschen, denen auf Anweisung der Gestapo ihre eigene Wohnung genommen wurde. 1941/1942 wohnten in den acht Wohnungen auf vier Etagen im Kleinen Schäferkamp 32  über 70 Personen. Einst war das Haus ein Stift, entstanden um die Jahrtausendwende für Frauen. Es handelte sich um Freiwohnungen, für die keine Miete gezahlt werden musste. Es gab lediglich einen sehr kleinen Beitrag zu den Betriebskosten. Es war für ältere jüdische Frauen, die mittellos waren.

Ab 1941 organisierte die Gestapo auch die Deportation der Menschen über diese Häuser. Von hier wurden sie von der Polizei zu den Sammelstellen gebracht, weiter zum Hannoverschen Bahn (heute Hafencity hinter dem SPEIGEL-Gebäude) und von dort, mit dem Zug, in die Gettos oder Vernichtungslager wie Auschwitz. Eine der größten Sammelstellen war in der Nähe des Kleinen Schäferkamp 32, in der Schule Schanzenstraße. Am 15. und 19. Juli 1942 wurden über 1.500 von hier nach Theresienstadt/Terezin, in der Nähe von Prag, deportiert. Etwas mehr als 100 von ihnen überlebte den Holocaust. Recha Lübke wurde am 19. Juli 1942 verschleppt. Am 19. Oktober 1944 wurde sie nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurde.


Recha Lübke begann mit 19 Jahren am 1. April 1899 ihre Lehrerinnentätigkeit. Am 15. Oktober 1901 startete sie in der Mädchenschule in der Rosenallee 11 – im Münzviertel.  Sie gehörte „Verein Hamburger Volksschullehrerinnen“ an und engagierte sich ehrenamtlich in der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburgs. Im Kaiserreich wurde sie mit einem Verdienstkreuz ausgezeichnet, der Schulleiter in den 1910er/1920ern schrieb über sie: „Frl. Lübke gehört zu den Lehrkräften, die der Schule ihr Gepräge gegeben haben.“

1934 wurde sie aus dem Schuldienst vom damaligen Schulsenator Karl Witt entlassen, weil sie Jüdin war. Ich erwähne diesen Namen mit Absicht. Karl Witt war nicht in der NSDAP, sondern in der Deutsch Nationalen Volkspartei (DNVP), die in Hamburg mit den Nazis den Senat bildete. Hitlers NSDAP hatte im März 1933 nicht die Mehrheit in der Hamburgischen Bürgerschaft. Nur durch eine Koalition mit den rechtskonservativen Parteien war das möglich. Sie taten es nicht aus Naivität, sondern waren fest davon überzeugt. Die DNVP war ein antisemitische Partei schon lange vor 1933. Gerade vor kurzem haben sich Nazis aus der „Identitären Bewegung“ mit Politikern der AfD und CDU-Mitgliedern aus der Werteunion in Brandenburg getroffen und über Deportationen von Geflüchteten und „nicht assimilierten“ Deutschen gesprochen. Hier spielen politische Kräfte mit dem Ausgrenzen anderer, um sich selbst zu erheben, was purer Rassismus ist. 

Nach ihrem Rauswurf aus der Schule engagierte sich Recha Lübke in den Einrichtungen des Israelitischen Humanitären Frauenvereins in der Innocentiastraße 19/21. Sie selbst  bezeichnete sich als „Vice“ des Heimes. Als das Wohnheim im Februar 1942 von den Nazis geschlossen wurde, war sie für die ordnungsgemäße Übergabe des Hauses verantwortlich. Vorher hatte sie 1939 den Antrag auf Ausreise nach Palästina gestellt, was aber mit Beginn des 2. Weltkriegs nicht mehr möglich war.

Vor der damaligen Schule in der Rosenallee 11 erinnert heute ein Stolperstein an sie und eine weitere jüdische Lehrerin, Bella Spanier, die 1933 rausgeschmissen, 1941 deportiert und ermordet wurde. So wie es künftig den Recha Lübke-Damm gibt, wird man im Münzviertel auch der Bella-Spanier-Weg finden. Beide Straßennamen werden am Dienstag, den 20. Februar 2024 um 10 Uhr der Öffentlichkeit übergeben. 

Beim Recha Lübke-Damm handelt es sich um eine Straßennamen-Umbenennung des „Högerdamm“. Fritz Höger gehört zu den Architekten des Chilehaus u.a. Gebäude. Er war sehr früh in der NSDAP und sorgte nach 1936 mit dafür, dass die jüdischen Architekten in Hamburg ihren Beruf nicht mehr ausüben durften. Sie erhielten ein Berufsverbot, so auch ein Verwandter von mir, der Architekt Helmut Lubowsky. 

Am 20. Februar 2024 findet um 17 Uhr in der ehemaligen Schule, Rosenallee 11, eine Erinnerungsveranstaltung zu den beiden Frauen statt. Der Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte, Ralf Neubauer, wird auf der Veranstaltung sprechen. Vielleicht sehen wir uns ja. Ich bedanke mich für Ihr Interesse.

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