Ansichten

Holger Artus

Emma Levy, Kirchenweg 10

Zusammen mit Lutz Johannsen habe ich eine Nachbarschafts-Information im St. Georger Kirchenweg verteilt. Wir waren bei einer Recherche über die Familie Levy im Kirchenweg 10 gestolpert. Emma Levy wurde im Juni 1943 nach Theresienstadt/Terezin, deportiert und später in Auschwitz ermordet. Wir haben die Nachbarschaft gefragt, ob sie sich eine Patenschaft für einen Stolperstein vorstellen könnten. Hier das verteilte Schreiben:

Liebe Nachbarn, wir möchten Ihnen etwas über Nachbarn erzählen, die in der NS-Zeit  im Kirchenweg 10 in der zweiten Etage lebten, von der Familie Levy. Das Haus von damals gibt es nicht mehr. 

Im März 1932 waren Eduard Levy (geb. 1882) und Martha Pickl (geb. 1888) mit ihren beiden Töchtern Edith (geb. 1909) und Margot (geb. 1917) von der Wielandstraße 32 in Eilbek in die drei Zimmerwohnung in St. Georg gezogen. Auch Eduards Schwester Emma (geb. 1879) zog mit ein. 

Die Familie wurde in der NS-Zeit verfolgt, weil Eduard und Emma aus einer jüdischen Familie stammten. Martha war protestantisch. Mit den so genannten Nürnberger Gesetzen zum „Schutz des deutschen Blutes“ erfuhr der politische Antisemitismus eine gesetzliche Grundlage und bestimmte, wer „Jude“ ist an den Verwandtschaftsbeziehungen der Eltern und deren Eltern. Es ging dabei nicht um die Religionszugehörigkeit, sondern angebliche „Rassenzugehörigkeit“. 

Die Mitglieder der Familie Levy waren alle in der evangelischen Kirche, die Kinder getauft. Die Eltern von Eduard und Emma stammten aus christlichen und jüdischen Gemeinschaften. Da Emma nicht in einer christlichen Partnerschaft lebte, musste sie ab 1941 einen Judenstern tragen, wenn sie das Haus verließ. Sie war nach den Nürnberger Gesetzen „Jüdin“.

Emma war Näherin in Heimarbeit – bis zur NS-Zeit eine gesicherte Einnahmequelle. Dann dürfte sie nur noch jüdische Kundschaft haben. Da tausende Menschen die Stadt verließen, sanken ihre Umsätze. 

Als gesetzlich definierte „Jüdin“ musste sie am 6. Juni 1943 aus dem Kirchenweg 10 ein so genanntes Judenhaus, Beneckestraße 6, umziehen. Auch hierfür hatten die Nazis eine gesetzliche Grundlage geschaffen, indem den Betroffenen das Wohnrecht genommen wurde. Nach und nach wurden die Menschen in  Massenunterkünfte eingewiesen. Die Beneckestraße gibt es nicht mehr. Das Haus würde heute auf dem  Campus der Uni Hamburg im Grindel stehen. 

Die Enkelin einer anderen Mitbewohnerin in der Beneckestraße 6 erzählte über die damalige Lage: „Sie hat ein Schreiben von der Gestapo bekommen, daß sie sich in Hamburg melden muß mit Wolldecken und Gepäck, wie das so war. …und dann ist sie nach Hamburg in ein jüdisches Sammellager in der Beneckestraße gekommen. Da haben wir unsere Großmutter noch besucht, es war fürchterlich. Sechs Personen waren in einem Raum untergebracht. Und so eng und so schlechte Luft. Ob die Fenster vergittert waren, weiß ich nicht, aber furchtbar eng und stickig war es, und Großmutter hatte so eine Art Sack, da hatte sie ihr Bett drin. Es standen da so kleine Pritschen rum, aber ob da eine alte Frau drauf schlafen konnte?“

Die „Judenhäuser“ hatten eine weitere Funktion: Über sie wurden die Deportationen in die Vernichtungslager im Osten organisiert. Emma Levy wurde zusammen mit 109 Menschen am 23. Juni 1943 von Hamburg nach Theresienstadt/Terezin, in der Nähe von Prag verschleppt. Die meisten kamen aus dem Sammellager Beneckestraße 6. Ein Jahr später, am 15. Mai 1944, kam Emma Levy nach Auschwitz und wurde dort ermordet. Wann genau, darüber gibt es keine Informationen. Ende 1945 wurde sie von deutschen Gerichten für tot erklärt.

Weder wir noch Sie, liebe Nachbarn, kannten zuvor diese vergessene Geschichte und das Schicksal Ihrer Nachbarin. Wir fänden es toll, wenn es künftig einen Stolperstein geben würde, der an Emma Levy erinnert. Vielleicht prüfen Sie, ob Sie sich eine Patenschaft für den kleinen Messingbeschlagenen Betonquader vorstellen könnten? Stolpersteine liegen auf Gehwegen vor den Häusern, wo die von Nazis ermordeten Menschen zuletzt und frei gewählt gewohnt haben. In St. Georg gibt es bereits einige davon, ob in der Rostocker Straße, Bremer Reihe, Danziger Straße, Steindamm und weiteren Straßen. Die Patenschaft kostet einmalig 120 Euro. Die Patenschaft kann natürlich auf mehrere Köpfe aufgeteilt werden. Auf der Website https://stolpersteine-hamburg.de, Navigationspunkt „Patin/Pate“, wird das Verfahren erläutert. 

Kommentare sind geschlossen.