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Holger Artus

Sophie Hartman und Braam Wendling, Überlebende aus dem KZ Ravensbrück und Dachau

Diese Nachbarschafts-Info habe ich in der Budapester Straße 30, der Virchowstraße 67 und der Langenfelder Straße verteilt. Sophie Hartmann und ihr Mann, Braam, überlebten den Nazi Terror gegen Roma und Sinti in den KZs. Am 27. April 2024 wird um 11 Uhr in der St.Georger Stiftstraße auch ein Stolperstein für Sophie Hartmann verlegt. Den heutigen Nachbarn in deren Wohnadressen nach 1945 wollte ich davon in Szene setzen, wer einst bei ihnen wohnte. Zu Sophie Hartmann gab es bereits eine Info. Jetzt kommt die von ihrem Partner, Braam, dazu.

Liebe Nachbarn, ich möchte Sie über ehemalige Nachbarn von Ihnen informieren und habe am Ende des Textes eine Bitte an Sie: Josef Wendling, später Braam Wendling, wohnte nach 1945 in der Ernst-Thälmann-Straße 30 – heute Budapester Straße –, zusammen mit seiner Partnerin Sophie Hartmann und ihren beiden Kindern. Damals gab es dort Notunterkünfte.

Braam und Sophie wurden von den Nazis verfolgt. Während fast die gesamte Familie von Sophie Hartmann im KZ ermordet wurde, überlebten die beiden. Am 27. April 2024 werden vor der Stiftstraße 11 in St. Georg Stolpersteine für die ermordeten Familienmitglieder von Sophie Hartmann verlegt.

Braam und Sophie waren Sinti bzw. Roma. Sie waren nach der rassistischen Ideologie der Nazis und den Nürnberger Gesetzen von 1935 wie Jüdinnen und Juden nicht „deutschen Blutes“. Ab 1940 wurden Sinti und Roma systematisch ermordet. In Auschwitz gab es ein eigenes Vernichtungslager für sie. Bis zu 500.000 Roma und Sinti wurden Opfer der industriellen Massenvernichtung der Nazis.

Braam kam am 15. November 1918 in Landsberg an der Warthe auf die Welt (heute Gorzów Wielkopolski). Seine Mutter Maria Wendling lebte mit August Rose zusammen. Der Vater war Pferdehändler. Wie es zu dem Namen Braam kam, kann ich Ihnen nicht sagen. Die Familie war später nach Berlin in die Gollnowstraße 42 gezogen. Sein sieben Jahre älterer Bruder Josef schrieb später, dass sich Braam seit seinem 14. Lebensjahr um die Pferde ihres Vaters gekümmert hatte und sie auf Auktionen vorführte – bis er 1938 verhaftet worden war. 

Sinti und Roma wurden von den Nazis als „arbeitsscheu“ und „asozial“ stigmatisiert und verunglimpft. Ab 1. Juni 1938 war ein Erlass zur Festnahme von „asozialen Personen … auch die Festnahme von Zigeunern und Zigeunerart umherziehenden Personen“ geschaffen worden. Braam wurde mit weiteren am 16. Juni 1938 im Gefängnis am Berliner Alexanderplatz inhaftiert. Sein Bruder kam ins KZ: „Am 28. Juli 1938 erfuhr ich, dass alle von uns weg sollten. Mir gelang es, vorher die Stadt zu verlassen … kurze Zeit wurde ich aus Mecklenburg-Pommern aus dem D-Zug geholt und nach dem Polizeipräsidium, Berlin, Alexanderplatz gebracht. Von dort wurde ich am nächsten Tag in das KZ Buchenwald gebracht, wo ich bis 1942 verblieb.“

Stationen verschiedener Konzentrationslager

Bis zum 8. Mai 1945 war Braam ohne jede Rechtsgrundlage in Haft. Am 18. Juni 1938 wurde er ins KZ Sachsenhausen überstellt. Seine Haftstationen waren ab dem 25.Januar 1940 das KZ Mauthausen (Österreich) und ab 11. Januar 1943 das KZ Dachau (Bayern). Dort musste er im Außenkommando Augsburg-Haunstetten und August-Gablingen arbeiten. Im April 1944 wurde er ins KZ im französischen Natzweiler (Struthof) überstellt und musste dort im Außenkommando Leonberg arbeiten.

Dort wurden 5.000 Häftlinge aus 24 Nationen zur Zwangsarbeit in dem zur Produktionsstätte umgebauten ersten deutschen Reichsautobahntunnel eingesetzt. Sie mussten die Tragflächen für die Me 262 fertigen, die sog. „Wunderwaffe“, mit der die Nazis den Endsieg erreichen wollten. Am 2. April 1945 wurde er vom Außenkommando Neckarelz (Mosbach/Rheinland-Pfalz) wieder ins KZ Dachau gebracht. 

Nach der Befreiung 1945 lebten Braam und Sophie mit den Kindern in Berlin, Leipzig und Augsburg, und ab 1950 in Hamburg. Zur Sicherung des Lebensunterhalts hatte Braam einen Wandergewerbeschein zum Verkauf von Haushaltsartikeln und Kurzwaren. 

Warum ist die Erinnerung an die Sinti und Roma wichtig?

 Die Erinnerung an die rassistischen Massenmorde und die geplante vollständige Vernichtung der Volksgruppen der Sinti und Roma hat für mich einen hohen Wert. Ihre Lebens- und Leidensgeschichten sind immer noch viel zu wenig bekannt. Es ist wichtig, sie zu erzählen, um die Nazi-Ideologie damals wie heute zu verstehen. Auch heute wollen Kräfte Menschen vertreiben, weil sie angeblich keine echten Deutschen seien.

Denn erst im letzten Jahr hatten sich Nazis mit AfD- sowie CDU-Mitgliedern in Potsdam getroffen, um diese und andere völkisch-nationalistische Ziele zu besprechen. Mit ihren Fantasien über Deportationen und  Vertreibung von Menschen richtet sich ihr Rassismus heute in erster Linie gegen Geflüchtete, aber auch gegen andere „nicht-assimilierte“ Menschen in Deutschland. Für Sinti und Roma ist das eine unmittelbare Bedrohung. Sie verdienen und benötigen unser aller Schutz und Gegenwehr. Die Hartmanns waren ausgegrenzt und isoliert. Sie galten als Aussätzige. Die Hetze hatte Solidarität und Nächstenliebe vertrieben. Das darf sich nicht wiederholen.

Deswegen ist es ein bedeutendes Zeichen, dass am 27. April elf Stolpersteine in der Stiftstraße verlegt werden. Es ist der letzte Wohnort der ermordeten Eltern und Geschwister von Sophie Hartmann. Sophie überlebte und wurde 1945 im KZ Sasel befreit. Ihre Kinder werden am 27. April 2024 bei der Verlegung anwesend sein. Es wäre eine große Wertschätzung, wenn Sie Zeit fänden, ebenfalls zu kommen.

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