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Holger Artus

Puh! Ein schwer erarbeiteter April 2024

Die ursprünglich geplanten erinnerungspolitischen Aktivitäten im April 2024 konnten nicht wie geplant umgesetzt werden, trotz der langfristigen Planung musste einiges noch schwer erarbeitet werden. Das nicht alles umgesetzt wurde, ist ärgerlich, sehe ich aber differenziert. 

Was hat nicht geklappt?

Es war geplant, dass eine Vertretung der Angehörigen der ehemaligen italienischen Militärinternierten aus Rom, der ANEI, seit dem 25. April 2024 in Hamburg sein wollten. Aus gesundheitlichen Gründen hatten sie abgesagt. Unsere Erzählung sollte ursprünglich sein, dass sie am italienischen Tag der Befreiung am 25. April 2024 in Hamburg sind und dass sie an der Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Lagers in Sandbostel am 29. April 2029 teilnehmen. Mit den Eindrücken und Aktivitäten in Hamburg wären sie nach Hause geflogen, wissend, dass das Anliegen der Erinnerung an die IMI einen Platz in der Hamburger Erinnerungsarbeit hat. Die andere Absicht hat sich in den April-Tagen 2024 in Hamburg deutlich widergespiegelt.

Am 25. April 2024 wollten wir an der Verlegung von drei Stolpersteine für italienische Militärinternierte vor dem Lagerhaus G teilnehmen. Das konnte nicht stattfinden, weil die Steine nach Bedenken des Eigentümers im Februar 2024 nicht produziert wurden, obwohl es sich um öffentlichen Grund handelt. Gerne hätten wir es mit den Paten aus dem GHB, den Vertrauensleuten von ver.di im Betrieb, dem Unternehmen und ver.di Hamburg durchgeführt. Jetzt werden sie produziert und demnächst verlegt.

Dennoch zufrieden?

Wenn der Maßstab ist, dass Vorgenomme zu realisieren, so bin ich sehr zufrieden. Der Besuch der ANEI dürfte nur aufgeschoben sein, und die Stolpersteine vor dem Lagerhaus G werden eben später verlegt. Die Stolpersteine Hamburg verlegen die Steine, wir haben uns um die Paten:innen gekümmert, sind aber nicht verantwortlich fúr die Entscheidungen des Künstlers, Gunter Demnig.

Am 14. April 2024 konnte nach längeren Planungen die Stele vor dem Lager am Falkenbergsweg verlegt werden. Sie war schon für längerem im Gespräch gewesen. Mit über 50 Teilnehmenden war die Aktivität weit über den Erwartungen.

Die Kundgebung zur Erinnerung an die dritte Deportation der Sinti und Roma aus Hamburg nach Auschwitz am 18. April 1944 am damaligen Wohnsitz der Familie Schwarz, die auch an diesem Tag verschleppt wurde, hatte fast 60 Teilnehmende. Ich hatte mit 15 bis 20 Personen geplant.

Die Lesung am 25. April 2024 zum Buch von Franci Epstein, “Die Elektrikerin”, im Hafenmuseum mit über 30 Personen bewegt sich auf meinen Planungen. Der Einladerkreis waren alle zivilgesellschaftlichen Akteure:innen von KZ Außenlager in Hamburg. Ursprünglich hatte ich eine Absprache mit dem Vorstand der Stiftung Lagerhaus G, dass wir diese Vorlesung als Projektgruppe mit ihnen im Lagerhaus G durchführen. Diese Absprache wurde im Dezember 2023 aufgekündigt, so dass wir neue Einlader suchten, denn die KZ-Häftlinge sind nicht unser Thema und wir wollen grundsätzlich nicht als weiterer Akteur um den Erinnerungsort am Lagerhaus G auftreten. Mit der Stiftung Lagerhaus G und der Initiative Dessauer Ufer gibt es diese.

An der Verlegung des Stolpersteins für einen italienischen Militärinternierten durch Hamburg Wasser am 26. April 2024 nahmen 60 Personen, am Rundgang auf Kaltehof 10. Die Planung lag bei 40 Teilnehmende plus X für diesen Tag.

Mit den 80 Personen zur Stolperstein-Verlegung für die Familie Hartmann in St. Georg und der Rundgang durchs Kontorhausviertel zu den italienischen Militärinternierten mit 25 am 27. April 2024 wurden die Erwartungen weit überschritten.

Der Rundgang zur Schließung der Israelitischen Töchterschule am 29. April 2024 mit über 20 Teilnehmenden war ein sehr befriedigendes Ergebnis.

Jede der Veranstaltungen richtete sich an eine eigene Zielgruppen und es gab kaum Überschneidungen. Politisch wollte ich Bündnisse ausbauen, was mir gelangt.

Neu über die Erzählung nachdenken

Auch wenn die Aufklärung und Bewerbung dieser sehr kleinteiligen Aktivitäten für mich mittlerweile gewohnt, ist sie zentral, da es hier um die Erzählung geht, mit der ich Menschen ansprechen und gewinnen möchte. Eine Kundgebung anzumelden und planen ist das eine, die Menschen zu erreichen, das andere. Die Themen spiegeln ja nicht die aktuellen Auseinandersetzungen wieder, sondern ich lande das erste Mal in ihren Briefkästen und realistischerweise meistens auch das letzte Mal bei meiner Anlage der Nachbarschaftskommunikaton. Neben der technischen Verteilung geht es aber auch um die Gespräche, die ich führe, um an die Briefkästen zu kommen. Sie sind zu eine Art „Spontan-Meinungemelder“ geworden.

Eine Debatte über den Sinn einer Briefkasten-Verteilung hatte ich nicht erwartet, aber seit längerem beschäftigt mich die Frage, ob ich in alle Briefkästen stecke.

Das Flugblatt zu Marie Borstelmann hatte ich in den Häusern in der Talstraße 71-75 verteilt. Der Hinweis: xy wohnt dort und hatte meine Infos im Treppenhaus liegend auf dem Boden gesehen. Die Menschen dort können kein deutsch, dass hättest du dir schenken können, du hast niemanden erreicht. Mit der Frage hatte ich mich bereits bei der Verteilung der Info zur Stolperstein-Verlegung am 26. April 2024 im Billhorner Deich beschäftigt und die Debatte dort mit Vertreter:innen der türkischen Community besprochen.

Die Problemstellung in der Talstraße war eine andere, aber meine Antwort beim einstecken in dortigen Briefkasten war genau die, dass die Menschen entscheiden, also wegschmeißen. Bei der Ansprache der Nachbarschaft im Billhorner Deich hatte ich eine andere Ansprache, erklärender, gewählt, noch weniger die Moral bedient. Die Stoßrichtung war nicht, kommt dazu. Sondern: Wenn Sie uns am 26. April 2024 dort sehen, wissen Sie, um was es geht. Bei der Verteilung in der Talstraße konnte ich diese Micro-Micro-Frage nicht besprechen. Meine Antwort war: Wenn ich von 100 Briefkästen 10 oder weniger Personen erreiche, ist das ok. Ich bin froh, dass die Menschen eine Unterkunft gefunden habe. Die Grundfrage bleibt, dass man in einer diversen Gesellschaft eine respektvolle Ansprache finden muss. Ich kenne die Lösung nicht, stelle mir die Frage und habe mich auf den Weg gemacht.

Die Verteilung von Nachbarschaft-Infos im St. Georger Kirchenweg und der Soester Straße mit Blickrichtung auf Patenschaften für Stolpersteine war nicht geplant. Ich wollte mich voll auf die dritte Deportation der Sinti vom 18. April 1944 und den italienischen Militärinternierten konzentrieren. Das es diese Resonanz in der Nachbarschaft gab und sechs Stolpersteine finanziert wurden, hatte mich sehr überrascht.

Weitere laufende Planungen für 2024 wurden in April 2024 angeschoben, auch wenn meine Belastung sehr groß war und an der einen oder anderen Stelle Spuren hinterließ.

Es kommt die Kundgebung zum 8. September 1943 in diesem Jahr, eine Kundgebung im November 2024 zu den Zwangssterilisationen an Sinti und Roma im November 1944 im Frauenkrankenhaus des AK Altona in der Bülowstraße 9. Die geplante Veranstaltung zu den Gewerkschaftsausschlüssen in der Hamburger IG Druck und Papier am 28. Mai 2024, der Stolperstein für Johannes Göbels in Groningen im Oktober 2024 oder die Erinnerung an Filippo Faustinelli, für den im Oktober 2024 in Hamburg ein Stolperstein verlegt wird und weitere erinnerungspolitische Themen.

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