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Holger Artus

Bruno Lucchetta aus Cimadolmo – IMI beim GHB im Hamburger Hafen

Die 98-jährige Margherita Luchetta lebt bei ihrer Enkelin, Katia Luchetta, in Cimadolmo, in der Nähe von Treviso. Der kleine Ort mit seinen 3.400 Einwohner:innen liegt in der Nähe der Adria im Norden Italiens.

Quelle: Familie Luchetta

Ihr Mann Bruno Lucchetta, war einer der hunderttausenden italienischen Soldaten, die ab September 1943 von der deutschen Wehrmacht entwaffnet worden waren. Er hatte sich geweigert, an der Seite der Deutschlands weiter in den Krieg zu ziehen, hatte “Nein” dazu gesagt und wurde als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. 

Bruno Lucchetta wurde am 16. Juni 1924 in Cimadolmo geboren und arbeitete als Landwirt. Als er vermutlich im Laufe des Jahres 1942 zur italienischen Armee eingezogen wurde, war er gerade 18 Jahre alt. Der Krieg und die Gefangennahme ab September 1943 änderte sein Leben grundlegend. 

Er  gehörte zu den 15.000 italienischen Militärinternierten, die in über 600 Hamburger Unternehmen als Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden. Insgesamt waren es an die 660.000 italienische Soldaten, die durch Hitler den Status der italienischen Militärinternierten bekamen. Nach dem Ende der faschistischen Regierung Mussolini im Sommer 1943 verhandelte die neue Regierung mit den Alliierten. Am 8. September 1943 gaben beide Parteien einen Waffenstillstand bekannt. Dieser in den Augen Hitlers begangene “Verrat” führte zur Entwaffnung der italienischen Soldaten. In Deutschland wurden sie als “Verräter”und „Badoglio“ beschimpft. Ihre Behandlung in den Lagern und bei der Zwangsarbeit in Deutschland war sehr schlecht. 60.000 IMI verloren in dieser Zeit ihr Leben.

Bruno Lucchetta gehörte zu den 6.000 italienische Militärinternierten, die ab Ende September 1943 vermutlich über das Kriegsgefangenen-Stammlager Sandbostel bei Bremervörde, in die drei  Lagerhäuser am Dessauer Ufer im Hamburger Hafen untergebracht worden waren.

Tausende wurden von hier auf andere Lager in Hamburg verlegt. Entweder waren es so genannte Gemeinschaftslager unter Verantwortung der Stadt Hamburg oder Unternehmenslager. Hitlers Krieg hatte dazu geführt, dass immer mehr deutsches Personal abgezogen und durch NS-Zwangsarbeiter ersetzt wurde. Die IMI-Lager wurden von der deutschen Wehrmacht bewacht, von dort zur Arbeit und auch wieder zurück ins Lager gebracht. Akribisch wurde täglich Buch geführt, was vorgefallen war. Es waren die Unternehmen, die sich vehement für die Bewachung der italienischen Militärinternierten aussprachen. Nur so konnte man ihnen nach ihrer Meinung “Zucht und Ordnung“ beibringen. Die rassistischen Beschimpfungen in den Unternehmensschreiben an die Verantwortlichen umfassen viele Papiere. Wer nicht spurte, kam für 60 Tage in ein Arbeitserziehungslager (AEL), dass KZ ähnlich organisiert war und eine lebensgefährliche Situation bedeuten konnte.

Zusammen mit rund 500 IMI arbeitete Bruno für den Gesamthafenbetrieb (GHB). Sie alle lebten im Lagerhaus G, das bis heute komplett erhalten in Hamburg existiert. Bis kurz vor ihrer Unterbringung ab Ende September 1943 war hier in den drei riesigen Lagerhäusern am Dessauer Ufer der Rohtabak von Reemtsma untergebracht gewesen. Um den Tabak vor der Zerstörung durch alliierte Bombenabwürfe zu schützen, wurden die großen Lager am Dessauer Ufer aufgelöst und auf Deutschland dezentralisiert verteilt. Die ersten IMI in den Lagerhäusern erzählten, dass sie noch daran beteiligt waren, den Rest des Tabaks für den Abtransport auf Züge zu bringen. 

Quelle:Arolsen-Archiv

Der GHB selber war ein von den Nazis 1934 geschaffenes Verleihunternehmen für alle Unternehmen im Hamburger Hafen. Sie wurden von den verschiedenen Umschlagsbetrieben im Hafen eingesetzt. Ein Dokument aus dem November 1944 belegt, dass rund 8.000 der Beschäftigten  im Hamburger Hafen NS-Zwangsarbeiter waren, was etwa 65 Prozent der Beschäftigten im Hafen ausmachte. Die IMI wurden zur Zwangsarbeit u.a. in den Kaibetrieben, als Lagerarbeiter, bei den Ewerführen, der Kesselreinigung, zum Abtransport der Lagerbestände u.a.m. eingesetzt.  So gab es z.B. gegenüber dem Lagerhaus G einen Holzhafen, in dem das angekommene Holz über den Seeweg an die Hamburger Unternehmen verladen werden musste. Hier setzte Strom- und Hafenbau (heute HPA) u.a. auch IMI ein. Es gab aber auch Getreideschuppen, in denen die IMI arbeiten mussten oder Schuppen für die deutsche Wehrmacht, die Rüstungsgüter in den großen Hafenschuppen lagerten bzw. von hier u.a. für die Organisation Todt nach Norwegen verlegt wurden. Die Enkelin von Bruno Lucchetta erzählt: “In Hamburg arbeitete er in einer Küche und sagte, dass er zum Glück nie hungern musste und dass er vielen seinen Kameraden geholfen hat, dass sie was zu essen bekamen.” Er dürfte aber auch andere Arbeiten im Hamburger Hafen ausgeführt haben. 

Von Juni bis September 1944 waren im Lagerhaus G 1.500 jüdischen Frauen als KZ-Häftlingen kaserniert worden. Sie wurden von hier zu Zwangsarbeit eingesetzt. Ihre Geschichten über das Lagerhaus G sind durch die verschiedenen Erinnerungen der damaligen KZ-Häftlingen für immer auch mit den italienischen Militärinternierten verbunden  – und bis heute nicht zu Ende recherchiert.

Aus den Erzählungen der jüdischen Frauen gibt es viele Geschichten über die Hilfe, Solidarität und den Beziehungen zu den italienischen Soldaten. Es waren Freundschaften. So erzählt Dita Krause, dass die junge Mädchen zu den IMIs rübergeschwommen sein. Andere erzählten von der Versorgung mit Lebensmitteln. Die jüdischen Frauen kamen aus dem KZ Auschwitz und erlebten den täglichen Terror. Auch wenn es weiterhin hier ein KZ war, so war es doch ganz andere Bedingungen und Menschlichkeit.

Francis Epstein, eine andere jüdische KZ-Gefangene erinnert sich an den Tag ihrer Ankunft im Lagerhaus G: “Am nächsten Abend erwartete die Reisenden ein sehr seltsames Bild, als der Zug langsamer wurde und schließlich in Hamburg zum Stehen kam. Er hielt vor einer dunklen, dreistöckigen Häuserreihe mit riesigen Schiebetüren in jedem Stockwerk. Diese Türen und die Fenster hingen wie Ranken an jungen Männern! Jungen jeder Gestalt und Größe, in ungewohnten Uniformen ohne Abzeichen, lachten und schrien gleichzeitig, offensichtlich erfreut über die Ankunft einer Zugladung junger Frauen. Die Damen waren verwirrt, lächelten dann aber zurück und winkten. … Als sie ankamen, stand ein großer blonder Mann in der Tür des italienischen Hauses, der seine Augen auf Francis Epstein gerichtet hatte, sobald der Zug eingefahren war. Sie unterhielten sich nun miteinander und erklärten ihre Situation. Sein Name war Bruno und er kam aus Norditalien (aus Treviso). Da sie sich nicht lange unterhalten konnten, da sie sich abwechseln mussten, bat er sie, später wieder ans Fenster zu komme. Als Francis zum Fenster zurückkehrte, stand dort Bruno mit einem kleinen Paket, das er an ein langes Wäscheseil gebunden hatte, und begann, es parallel zum Gebäude zu schwingen, bis sie es auffangen konnte. Das System funktionierte wunderbar, und die nächste Stunde wurde mit dieser höchst befriedigenden Tätigkeit verbracht. Mindestens fünfzig Mädchen erwarben in dieser Nacht „ihr“ Italienisch. “

Der Hamburger Hafen gehörte zu den Orten, die stark von den alliierten Bombardements betroffen waren, so dass es hier auch viele Opfern unter den IMI gab. Zu den verstorbenen IMI des GHB gehörten u.a. Aquilino Spozio aus Mailand und Vittorio Zorzan aus Grumolo in der Provinz Venedig. An alle Opfer unter den IMI des GHB soll im Frühjahr 2024 erinnert werden.

Quelle: Familie Lucchetta

Nach der Befreiung Hamburg am 3. Mai 1945 erfolgte die Rückführung der italienischen Soldaten Juni bis Juli 1945 nach Italien. Nach 1945 sprach Bruno wenig über seine Zeit als IMI in Hamburg, erinnert sich Margherita Lucchetta. Vergessen hat sie nicht,  dass er bei “seiner Rückkehr aus Hamburg ihr als Geschenk in Seifenschale mitgebracht, in dem er eine Uhr versteckt hatte, die er dort gefunden hatte.” Diese Uhr schenkte er ihr. Am 21. August 1952 heirateten die beiden. Bruno Lucchetta starb am 11. Dezember 1982. Margherita Lucchetta erinnert sich liebevoll an ihren Mann: “Er war sehr ruhig, sprach wenig, war gut in seinem Beruf als Landwirt und immer für alle da.”

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