Ansichten

Holger Artus

Die Planungen zum 19. Juli 2023 waren realistisch

Mit der Erinnerungskundgebung am 19. Juli 2023 zur Deportation vom 15. und 19. Juli 1942 wurden aus planerischer Sicht die diesjährige Aktivität abgeschlossen. Zwei weitere Planungen verlangen meine neue Konzentration, vor allem der 80. Jahrestag des 8. September 1943, der zu den italienischen Militärinternierten als NS-Zwangsarbeitern in Deutschland führte.

Schaue ich auf die Anlage und Planung zurück, so wurde fast alles umgesetzt, was angedacht wurde. Anfang Mai 2023 hatte ich darüber auf dem Blog informiert. Mit dem Stadtteilrundgang (28. Juni), der Veranstaltung in der Schule (29. Juni) und der Kundgebung (19. Juli) wurden umfänglich die Zahlen realisiert, die wir uns in etwa erhofft hatten. Es mag merkwürdig klingen, aber zur Bewerbung schreibe ich mich nicht nur die Zielgruppen auf, sondern auch die realistische Erwartungshaltung. Da es natürlich nicht „realistisch“ ist, sondern blinde Spekulation, führt die Nicht-Realisierung zum überprüfen, warum etwas nicht funktioniert hat. Heraus kommt z .B., dass man die unmittelbare „Adressierung“ konkretisieren muss (Adressen) und auch die Ansprache kritisch überprüfen muss. Ich quatsche mit denen, die ich erreichen wollte und warum es nicht funktioniert hat. Die Stichworte sind mehr als hilfreich, muss man sein Handeln auch immer selbstkritisch in Frage stellen.

Drei Aktivitäten hatten wir uns vorgenommen, da mit der zeitlichen Lage der Kundgebung wir in der zweiten Ferienwoche lagen und wir mit Blick auf die Schule einfach weniger Menschen erreichen würden. Den Stadtteilrundgang hatten wir aus inhaltlichen Gründen geplant, um nicht nur auf das „Opferbild“ zu schauen bzw. es zu vermitteln.

Mit der Veranstaltung in der Schule wollten wir natürlich erstmals in den Räumen präsent sein, aber auch, um in den breiteren Dialog mit der Einrichtung selber zi kommen. Die Erzählung von Ruben Herzberg, dass die Ganztagsgrundschule Sternschanze 2005 Schulort für jüdische Schüler:innen wurde, hat eine neue und hoffnungsvolle Perspektive eröffnet, denkt man an das furchtbare Schreiben der damaligen Schulleiterin, die 1942 die jüdischen Kinder aufs übelste beschimpfte und ihn das Recht auf Schule verweigerte. Auch die Rede von Lard Holster von der Hamburger Schulbehörde war mehr als passend. Es konnten weitere Kontakte hergestellt werden.

Das wieder Angehörige an unser Kundgebung teilgenommen und auch gesprochen haben, ist eine postive Entwicklung. Einerseits ist es schmerzhaft, da es das NS-Regime, der deutsche Staat war, der ihre Familien verfolgte, ausgeraubte und ermordete hat. Wir als Nachgeborene können diese Verbrechen nicht umkehren. Das sie sprechen ist aber auch eine Einladung an uns, es besser zu machen und aus der Geschichte zu lernen. Wenn ich daran denke, dass ich zur ersten Kundgebung 2019 Angehörige suchte und mich dafür an eine Nachbarin aus der Agathenstraße 3 wandte, um Kontakte zu bekommen, hatte sie das Gespräch darüber kategorisch verweigert. Erst hatte sie mir erzählt hatte, dass sie Angehörigen von NS-Opfern in der Agathenstraße 3 zu Besuch gehabt hätte, dann aber zu mir sagte, dass sie mir nicht helfen will. Die Welt hat sich über die Jahre gedreht, am schnellsten zu den Angehörigen der jüdischen NS-Opfern aus der Agathemstraße 3, einem so genannten Judenhaus, aber auch generell.

Im Mittelpunkt soll immer die Kommunikation mit der Nachbarschaft stehen. Dieser Ansatz wurde zu allen drei Aktivitäten verfolgt. An den Stationen des Rundgangs hatte ich entweder mit den Bewohner:innen Kontakt aufgenommen oder sie vorher informiert, dass wir vor ihrer Wohnadresse stehen werden. Bis auf ein Haus waren dann auch Nachbar:innen dabei. Bei der Schulveranstaltung gab es einen intensiven Austausch mit dem Elternrat und den Lehrer:innen. Berührt war ich über ein kurzes Gespräch mit einer Schülerin beim Ausgang der Schule an der Bartelsstraße. Sie fragte mich, was ich dort anklebe. Ich erzählte von der Namenstafel am Eingang Altonaer Straße , wo die Jungs bei verschlossener Tür immer Fußball spielen. Sie fiel mir ins Wort und sagte, dass sie die Geschichte kenne und “traurig” sagte. Mit ihrem Vater kam ich auch noch ins Gespräch.

Zur Kundgebung am 19. Juli 2023 hatte ich zu Deportierten recherchiert, über die noch nichts aufgeschrieben wurde und die Info um die heutige Wohnadresse verteilt. Das Menschen die Patenschaft für Stolpersteine in der Agathenstraße 3 und der Weidenallee 4 übernehmen, war eine toller Austausch wie auch das Treffen mit Nachbarn an neuverlegten Steinen für NS-Opfer vor der Schäferkampsallee 49, die zu den Verschleppten über die Schule Schanzenstraße vom Juli 1942 gehörten. Im Oktober 2023 werden die Steine verlegt und ich werde versuchen, die Nachbarschaft für ein Treffen an ihnen zu gewinnen. Ein besonderes Rechereche-Ergebnis waren für mich die Erzählungen von zwei Überlebenden, Henriette Völker aus der Bartelsstraße 49 und Ida Schwarz aus dem Weidenstieg 10, da sie neue Details zur Deportation vom 19. Juli 1942 lieferten. Unerwartet war, dass ich weitere Namen in unserer Nachbarschaft fand. Zu ihnen muss ich noch weiter recherchieren, so zu Günther Schanzen und Kurt Adler. Sie waren vermutlich Lehrlinge der damaligen jüdischen Werkschule in der Weidenallee 10bc. Peter Glück konnte jetzt sicher der Werkschule zugeordnet werden. In der Magarethenstraße 34 habe ich etwas über ihren damaligen Nachbarn in die Briefkästen verteilt. Und es kann zu einem neuen Abschnitt der Israelitischen Töchterschule recherchiert werden, da alle drei vor ihrer Deportation für einige Monate dort auch wohnten.

Der Besuch der beiden Angehörigen von Berthie Philipp und Henny Karp war sehr emotional. Man redet über die tragischen Schicksal, was nicht annähernd dem historischen Geschehen gerecht wird. Aber es ist Teil der Wirklichkeit, um zu erinnern. Für mich war es aber insofern auch spannend, da in dem neuen Gedenkstättenkonzept der Stiftung Erinnerung und Lernorte in einen Abschnitt davon gesprochen wird, diese Arbeit auszubauen, da die Zeitzeugen immer weniger werden.

Die Web-Zugriffe konnten im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt werden, was ursächlich mit der Anzahl der Aktivitäten zu tun haben dürfte. Für diesen Bereich gab es keine Planungen bzw. Erwartungshaltungen. Unter dem Strich bin ich mir aber bewusst, dass die Domain www.sternschanze1942.de nicht sehr bekannt ist.

Während der Planung der Kundgebung waren weitere Erinnerungsprojekte bei uns im Wohngebiet im Gespräch. Einige werden vermutlich möglich, andere wird man schieben müssen. Was wir wie zum Juli 2024 machen wollen, müssen wir uns weiter überlegen. Auf dem Weg, an die Deportation jedes Jahr zu erinnern, sind wir auf einem guten Weg.

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