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Holger Artus

Henriette Völker, Bartelsstraße 49

Zur Ankündigung eines Stadtteilrundgangs am 28. Juni 2023 an den jeweiligen Stationen informiere ich vorher die Bewohner:innen., Henriette ist die einzige Überlebende aus dem Schanzenviertel aus der Juli-Deportation 1942. Sie gehörte zu den, die im Schanzenviertel lebte und auch nicht in einem „Judenhaus“ zwangsumziehen musste.

Liebe Nachbarn, eine Henriette Völker wohnt nicht (mehr) in der Bartelsstraße 37, 49 oder 58. Es handelte sich um eine jüdische Nachbarin, die am 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße nach Theresienstadt/ Terezin, in der Nähe von Prag, deportiert wurde. Sie wohnte jahrzehntelang in Ihrer Straße und gehörte zu den wenigen Überlebenden der über 1.500 jüdischen Menschen, die am 15. und 19. Juli 1942 von hier ins Getto verschleppt wurden.

Was ist mir über Henriette Völker bekannt?

Sie wurde am 4. Oktober 1893 in Hamburg geboren. Ihre Eltern, Aug. und Emma Cohen, hatten eine Schlachterei zuerst in der Sachsenstraße 6 in Hammerbrook. Henriette ging in die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße 35. Eine zweijährige Lehrzeit verbrachte sie als Verkäuferin bei der Firma Martha Jacobs in Berlin-Charlottenburg. Später kam sie nach Hamburg zurück und arbeitete in der elterlichen Schlachterei, die sich vermutlich später in der Lindenallee 59 befand. 1912 heiratete sie Aron Hoffmann. Am 5. Mai 1913 wurde ihr Sohn Herrmann, am 3. September 1914 ihre Tochter Rosa geboren. Ihr Mann, Aron Hoffmann, starb im 1. Weltkrieg am 3. August 1915. Um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern, arbeitete sie seit  1916 im Kaufhaus Hermann Tietz am Jungfernstieg. Mit ihren beiden Kindern lebte sie zum Zeitpunkt in der Bartelsstraße 37. Am 29. März 1919 heiratete sie den nichtjüdischen Schlachtermeister Wilhelm Völker. Sie lebten zuerst in der Bartelsstraße 58. Am 29. Oktober 1920 kam ihr Sohn Karl Heinz Völker zur Welt. 1935 zog die gesamte Familie in die Bartelsstraße 49, in den 3. Stock. 

Ihre beiden Kinder, Rosa und Hermann,  bauten sich eine eigene Familie auf. Rosa zog im April 1937 mit David Kelmann in die Grindelallee 81. Am 29. August 1937 kam deren Tochter Evi zur Welt. Die drei wurden am 28. Oktober 1938 an die polnische Grenze deportiert. Sie sollen zum Schluss im Getto in Lublin gelebt und dort ums Leben gekommen sein. Henriette hatte bis zu ihrer eigenen Deportation am 19. Juli 1942 Kontakt zu ihrer Tochter. “Als ich selber deportiert wurde, habe ich die Briefe bzw. Nachrichten von meiner Tochter mitgenommen. Diese sind mir später abhanden gekommen, weil das Gepäck, welches ich mitgenommen hatte, nicht wieder in meine Hände gelangte.” Für Rosa, Evi und David Kellmann liegen drei Stolpersteine vor der Grindelallee 81

Ihr Sohn Hermann wurde wegen der “Nürnberger Rassengesetze” wegen angeblicher “Rassenschande” im August 1936 verhaftet und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt.  Am 14. September 1938 kam er aus dem Zuchthaus raus, wurde aber kurz danach bis zum 3. Mai 1939 im KZ Buchenwald inhaftiert. Er war seit dem 10. Mai 1940 mit Lydia Bötzel verheiratet. Sie wurden am 8. September 1941 nach Minsk deportiert. Im Getto kam ein Kind zur Welt, aber von ihnen überlebte auch niemand. An Lydia und Herrmann Hoffmann erinnern zwei Stolpersteine vor der Rappstraße 16, wo das Paar vor der Deportation einmal gewohnt hatte.

Seit 1937 wurde Henriette Völker in Hamburg zur Zwangsarbeit verpflichtet. Bis zu ihrer Deportation im Juli 1942 muss sie als Köchin im ehemaligen Jüdischen Waisenheim im Laufgraben (beim Schlump) arbeiten. Es war schon längst kein Waisenheim mehr, sondern eine Massenunterkunft für jüdische Menschen, ein so genanntes Judenhaus. Viele der Bewohner:innen wurden am 15. und 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße deportiert. 

Am 19. Juli 1942 wurde Henriette Völker über die Sammelstelle in der Schule Schanzenstraße mit Polizeiwagen zum Hannoverschen Bahnhof (heute Hafencity) transportiert und von dort nach Theresien- stadt/Terezin. “Dort wurde sie als Reinigungsfrau in Aborten, in einer Tüttenfabrik als Arbeiterin, im Hausdienst und Wärmeküchen arbeiten. Unter- gebracht war sie auf dem Boden einer Kaserne. Musste bis Oktober 1944 auf dem Steinfußboden ohne Strohsack schlafen”, notiert das Gesundheitsamt Hamburg am 5. November 1948 über ein Gespräch mit ihr. Am 3. Mai 1945 erlebte sie die Befreiung von Theresienstadt/Terezin durch die Rote Armee und kam zurück nach Hamburg, in die Bartelsstraße 49. 1950 heiratete sie den Hausmeister der Jüdischen Gemeinde Hamburg, Siegmund Roth. Am 9. Juni 1967 starb Henriette Roth.

Ihr Sohn, Karl-Heinz, überlebte die NS-Zeit, da sein Vater kein Jude war und er nicht deportiert wurde. Ihm wurde aber damals bei Blohm & Voss gekündigt und er musste im Rahmen so genannter Juden- kolonnenn in Hamburg Zwangsarbeiten für die Baubehörde ausführen. 

Trotz der schwersten finanziellen Lebensbedingungen für die jüdischen Menschen, der Verfolgung und dem Antisemitsimus der Nazis durch z.B. des Tragen eines “Judenstern” in der Öffentlichkeit, der vielen Verbote wie z.B. am Beispiel, dass die keine  kulturellen Einrichtungen nutzen konnten, Sperrzeiten am Abend, der Zwangsarbeit und der persönliche Schicksale ließ sich Henriette Völker nicht ihr Haltung nehmen. Sie kehrte 1945 nach Hamburg zurück. Ihrem Sohn, Karl-Heinz, hatte sie die Werte eines freundlichen und neuen Deutschlands vermittelt.

Am 28. Juni 2023 findet ein Stadtteilrundgang durch das Schanzen- und Weidenviertel, zwischen Schlump und Christuskirche, zum Widerstand der Menschen gegen das NS-Regime in diesen beiden Wohngebieten statt. Henriette Völkers Selbstbehauptung gehört dazu wie auch das Wirken anderer, ob als Einzelperson oder in politischen Bezügen wie der KPD oder der SPD. Über diese Menschen im Viertel wollen wir etwas an ihren damaligen Lebensorten erzählen.  Wir starten um 17 Uhr vor der Schanzenstraße 41 und wollen uns gegen 17:15/20 auch vor der Bartelsstraße 49 treffen. 

Mehr erfahren Sie auf unserer Web-Seite www.sternschanze1942.de 

Gruß

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