Ansichten

Holger Artus

Ein bisher unbekannter „Polit-Leiter“ der KPD im Schwanzenviertel 1933/34

Mit der Verteilung von zwei Nachbarschafts-Infos zu Johannes Auerbach in der Bartelsstraße 55 im Schanzenviertel und der Stiftstraße 60-62 in St. Georg habe ich fast alles an Recherche-Ergebnisse abgeschlossen, was vor vier Jahren mit einem Raubkauf der Löwenstraße 24 -30 in Eppendorf durch Alfred Bauer. Damals fand ich wenig über die Verkäufer der Immobilien.

Mit dem Wissen der Akten von heute erscheint die Argumentationslinie der Familie Alfred Bauer in dem Rückerstattungsverfahren bezüglich der Häuser noch mal in einem anderen Licht. Ohne jedes Wissen um die Geschichte wurde eine Behauptung in den Raum „geworfen“: Er kaufe und verkaufe Immobilien, so damals die Linie. Das Geld aus dem Verkauf der Häuser waren die „Judenabgabe“ auf die Ausreise der Tochter von Ernest Fränckel, die mit Johannes Auerbach nach England fliehen wollte. Ihre Doktorarbeit wurde ihr aberkannt, weil sie Jüdin war. Ihr Vater, Ernest Fränckel, besorgte ihr das Geld und sorgte für ihre finanzielle Ausstattung in England. Ich war bei der weiteren Recherche vor zwei Jahren auf einen beeindruckenden und schlauen Unternehmen gestoßen, der die Nazi geschickt an der Nase herum führte und sich ihnen entzog. Auch seine Partnerin, Margarete Fränckel, war in der Lage, verstecktes Vermögen nach England zu schaffen. In dem Vorgang hatte ich schon den Namen von Johannes Auerbach gelesen und dachte mir meinen Teil, aber als ich in dem „Hochverratsverfahren“ des NS-Staats gegen ihn in einem anderem Verfahren die „Anklageschrift“ fand, brachte ich beide Johannese zusammen. Heute konnte ich das alles erst einmal abschließen.

eine Recherche zu einem Stadtteilrundgang am 28. Juni 2923 über den Widerstand in der NS-Zeit im Hamburger Weidenviertel, zwischen Schlump und Christuskirche, führte mich zur Stiftstraße 62. Es handelte sich dabei um einen von den Nazi verfolgten deutschen Juden, den Bildhauer und Maler, Johannes Auerbach.

Was haben Sie damit zu tun?

Ich engagiere mich für die Erinnerung an die Deportation über die Schule Schule Schanzenstraße am Bahnhof Sternschanze. Über sie wurden am 15. und 19. Juli 1942 mehr als 1.500 jüdische Menschen nach Theresienstadt/Terezin, in der Nähe von Prag, deportiert. Es ist Geschichte und erledigt. Wir können sie heute nicht ändern, leben in unserer Zeit, in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Das furchtbare Kapitel der NS-Zeit darf man m.E. nicht vergessen. Das „wie“ muss man mit sich selbst ausmachen. 2023 wird es neben der Kundgebung einen Stadtteilrundgang geben, der sich mit dem Widerstand gegen das NS-Regime beschäftigt. Die Information zu Johannes Auerbach war ein Zufall, die mit der Deportation nichts zu tun hat. 

Mieter in der Stiftstraße 62

Johannes Auerbach war erst am 29. Dezember 1932 von Paris nach Hamburg gekommen. Schon einige Wochen später übernahm er die Leitung der KPD im Hamburger Schanzenviertel, wurde deren „Polit-Leiter“. Er war der Partei seit 1918 verbunden. Die KPD-Auslandsleistung für Norddeutschland war 1933 nach Kopenhagen verlegt worden. Die Vorbereitung auf die Illegalität erforderte, andere als die bekannten Personen vor Ort zu etablieren. Mit dem Machtantritt der NSDAP in Hamburg ab dem 5. März 1933 wurden viele örtliche Führungskräfte der KPD verhaftet und damit ihre Strukturen zerstört. Die Partei war Ende Februar 1933 verboten worden. Der Vorwand war der von den Nazis initiierte Reichstagsbrand am 27. Februar 1933. 

Staatsarchiv Hamburg 351-11_27949

Wo er zum Zeitpunkt seiner Ankunft in Hamburg lebte, weiß ich nicht. Seiner Mutter schrieb er am 29. Dezember 1932: “Ich habe mir bei einer gemütlichen Marktfrau ein Stübchen genommen.” Johannes Auerbach wurde mehrfach seit 1933 verhaftet, erstmals am 3. April 1933 bis zum 20. Mai 1933. Es erfolgten weitere Verhaftungen im Juni/Juli. Er schrieb an seine Mutter: ”Ich brauch dir kaum zu erklären, dass ich nichts getan habe, sondern wegen meiner politischen Gesinnung verhaftet wurde.”

Am 4. August 1934 schrieb er an seine Mutter: “Vielleicht bekomme ich für September ein Atelier, da will ich ein bisschen zeichnen und modellieren.“ Am 10. August 1934 ist die Absender Adresse: Stiftstraße 62. „Gestern habe ich den Raum gescheuert und geputzt und mit einem Handwagen eine alte Matratze, einen Stuhl und eine Sitzwanne hingefahren. Nächste Woche bekomme ich noch mehr Möbel. Zum 1. September zieht Herr Steinbeck auch ein, der nämlich die Hälfte der Miete bezahlt, sonst ginge es gar nicht.” Zwei Tage später bedankte er sich für das Mobiliar: “… nun ist mein Atelier auf einmal gemütlich – und ich möchte gar nicht mehr raus.“ 

Einige Monate später wurde er erneut verhaftet und kam in Untersuchungshaft. Das Atelier in der Stiftstraße 62 hatte sich damit erledigt. Am 6. November 1934 erfolgte die Anklage wegen „Hochverrat“ und der Verbreitung von Schriften zur „Aufklärung der Massen“. Am 22. November 1934 wurde er zu einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, unter Anrechnung der vorange- gangenen Haftzeiten. Vorgeworfen wurde ihm, dass er u.a. Matrizen zum Druck von Flugblättern besorgt und an illegalen Versammlungen teilgenommen hätte. Er soll an einer mehrtägigen Beratung der KPD in Kopenhagen beteiligt gewesen sein, in der es um die Aufgaben der Partei gegen das NS-Regime ging. Auch hätte er zu illegalen Treffen in Hamburg eingeladen. In der Haft in Hamburg wurde er misshandelt und hatte davon einen bleibenden Schaden. 

Am 20. Oktober 1935 wurde Johannes aus dem Zuchthaus Fuhlsbüttel entlassen. Am 25. Oktober 1935 schrieb er an seine Schwester,  Cornelia, wie schön die letzten beiden Tage Freiheit in Hamburg waren. Absende-Ort war der Hansaplatz 1. Doch die Tage in Freiheit waren kurz. Im November 1935 wurde er wieder festgenommen, diesmal ins KZ Fuhlsbüttel. Eine Postkarte an einen Mitstreiter schien für die Nazis ein Beleg, dass er doch nicht „reuig“ war, wie er im Gefängnis den Eindruck erweckte. Am Weihnachtsabend 1935 wurde er allerdings entlassen.

Wer war Johannes Auerbach?

Johannes Auerbach wurde am 24. Mai 1899 in Wrocław/Breslau geboren. Seine Eltern, Käthe und Max, hatten vier Kinder: Johannes, Cornelia, Günther und Klaus. Johannes ging später auf das humanistische Gymnasium in Jena und machte dort sein Abitur. Als Soldat musste er im 1. Weltkrieg dienen. Danach studierte er in Straßburg, später bis 1919 an der Hochschule für bildende Künste in Weimar. Er war einer der ersten Schüler am Weimarer Bauhaus von Prof. Walter Gropius. 1920 zog er nach Wilster in den „Lindenhof“ nach Schleswig-Holstein, um hier mit anderen in einer Art Künstlerkolonie zu leben. Er kehrte nach Berlin und Jena zurück. 1922 heiratete er Ingeborg Harnack. In der Nähe von Darmstadt wurde 1925 der erste Sohn, Wulf, geboren, 1926 folgte Claus. Von 1925 bis 1928 wurde Auerbach in Ausstellungen in Paris präsentiert und erhielt einige Preise. 1930 wurde er von Ingeborg geschieden.

Was wurde aus Johannes Auerbach?

Anfang 1936 hatte er Ingrid Fränckel kennengelernt und die beiden entschieden, gemeinsam von Hamburg nach England zu fliehen. Ingrid hatte einen englischen Pass, Johannes hatte seinen deutschen Reisepass am 19. März 1936 in Hamburg für die Ausreise nach England erhalten. Mitte Mai fuhr er los, Ende Mai 1936 folgte ihm Ingrid. Das Paar heiratete am 31. Mai 1936 in Wareham, Dorset. Doch ihr Ziel war Paris, wo er noch ein Atelier hatte. Am 4. Juni 1936 fuhren beide nach Capri, lebten einige Zeit in Malta und auf Zypern. Für Frankreich bekamen sie kein Visa, so dass beide im Oktober 1938 mit einem Besuchsvisum nach England zurückkehrten. Von 1940 bis 1946 arbeitete Johannes bei der britischen Armee. Das Paar erhielt 1946 die britische Staatsbürgerschaft und sie hießen fortan Amy und John Ivor Allenby. Er arbeitete in der Oxford School of Technology and Art, Ingeborg studierte ab 1940 in England Psychotherapie, promovierte und arbeitete später in diesem Beruf. John Allenby starb am 8. Februar 1950 an einem Herzinfarkt.

Mehr über unsere Aktivitäten wie den Rundgang und die Kundgebung am 19. Juli 2023 erfahren Sie auf der Web-Seite www.sternschanze1942.de.

Hier die Info als pdf.

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