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Holger Artus

Hindelchen Karp, Bogenstraße 25/27

In der Bogenstraße 25/27 habe ich heute noch eine Info zu Hindelchen Karp verteilt, die hier vor der Deportation über die Schule Schanzenstraße am 15. Juli 1942 ab März 1942 hier leben musste. Vorher hatte ich bereits eine Info in der Großen Bergstraße 250 und Frickestraße 24 über sie verteilt, wo sie vor dem Zwangsumzug in die Bogenstraße 25 lebte. Meine Absicht war, einen Web-Text zu erstellen und an ihren damaligen Wohnungen die heutigen Mieter:innen zu informieren. An zwei kleinen Folgethemen stricke ich noch, die sich aber noch ziehen werden.

Sie werden zu Recht feststellen, dass es Hindelchen Karp bei Ihnen gar nicht gibt. Ich bin über ihren Namen gestolpert, da sie zu den jüdischen Bewohnerinnen gehörte, die im Juli 1942 aus der Bogenstraße 25/27 über die Schule Schanzenstraße nach Theresienstadt/Terezin in der CSR deportiert wurde. Ich wohne in unmittelbarer Nähe der Schule, wo seit dem 15. Juli 2022 die 1.700 Namen der 1942 deportierten jüdischen Menschen auf einer Erinnerungstafel aufgeführt sind. Auf der Tafel steht auch der Name von Hindelchen Karp.

Sie musste in der Bogenstraße 25 vom 20.März 1942 bis zum 14. Juli 1942 leben. Die Gestapo hatte Anfang März 1942 angeordnet, dass alle jüdischen Menschen in ein so genanntes Judenhaus ziehen müssen. Darüber sollten ihre Deportationen organisiert werden. Bereits vorher waren Bewohnerinnen und Bewohner seit dem 25. Oktober 1941 von hier deportiert.

Nach meinen Notizen wurden am 14. Juli 1942 wurden insgesamt 24 jüdische Menschen von der Bogenstraße 25/27 zur Schule Schanzenstraße beim Sternschanzen-Bahnhof von der Polizei gebracht. Hier wurde ihnen fast das gesamte Eigentum genommen und sie mussten noch eine Nacht in der Schule schlafen. Am nächsten Tag wurden sie von dort zum Hannoverschen Bahnhof (heute in der Hafencity) nach Theresienstadt/Terezin verschleppt. Hindelchen schrieb die Tage vor der Deportation am 9. Juli 1942 noch ihrem Sohn, Eduard Karp, dass er „schnell ein Lebensmittelpaket als Reiseproviant“ schicken solle. Am 12. Juli schreibt sie ihm, „dass sie vermutlich (am 15.07.1942) fahre.“ Am 13. Juli 1942 schickte sie ihm noch ein „Lebewohl“. Am 15. Juli 1942 schickte sie noch einmal eine Postkarte.

Drei Stolpersteine liegen für Hindelchen, ihre Söhne Elias und Josef Karp vor der

Großen Bergstraße 250 in Altona. Hindelchen Karp wohnte vom 23. Mai 1932 bis zum 19. März 1939 in einer 2-Zimmer-Wohnung. Sie war 60 Jahre alt, als sie dort einzog. Ihre Söhne lebten zum Zeitpunkt ihres Einzugs nicht mehr bei ihr. Hier an dieser Stelle, wo heute Ihr Wohnhaus steht, befanden sich seit 1870 Stiftwohnungen.

Als Hindelchen Simon wurde sie am 1. Juni 1873 in Friedrichstadt in Schleswig-Holstein geboren. Henny war ihr Rufname. 1889/1890 zogen ihre Eltern, Sara und Simon Levy Simon, und deren vier Kinder, Hindelchen (1873), Clara (geb.1877), Israel (1879) und Regina (1881) nach Hamburg. 

1907 heiratete sie Samuel Leip Karp, der am 23. November 1876 in Grodek im polnischen Galizien geboren wurde. Die beiden wohnten zuerst in Harburg. Am 6. Dezember 1907 wurde Eisig Eduard geboren, am 19. September 1909 Elias und am 28. November 1912 Josef. Seit 1918 wohnte die Familie in der Altonaer Kleinen Papagoyenstraße 3. Ihr Mann starb 1927. Henny Karp betrieb ab 1928 in der Kleinen Papagoyenstraße 3 ein jüdisches Speisehaus, in dem sie Mittagessen anbot. Diese Straße gibt es heute nicht mehr. Vermutlich bis 1936 verkaufte sie koschere Konserven. Sie war Mitglied in einem der größten Hamburger Vereine, dem „Verein zur Förderung ritueller Speisehäuser“. Für jüdische Reisende, Hotelgäste und Gemeindemitglieder wurden nach den jüdischen Speisegesetzen Lebensmittel angeboten. Der Verein organisierte dieses Angebot deutschlandweit und war international aufgestellt.

Ihr Sohn Elias Karp wurde Arzt. Er gehörte zu den deutschen Freiheitskämpfer:innen, die nach dem Putsch der demokratisch gewählten spanischen Regierung durch die Faschisten unter Franco von 1937-1939 in den Internationalen Brigaden kämpften, um die spanische Republik zu verteidigen. Er war Major-Chefarzt. Nach der Niederlage der republikanischen Regierung 1939 wurde er in Frankreich interniert. Am 20. Oktober 1942 wurde er nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Das Schicksal seines Bruders Josef konnte bisher nicht sicher geklärt werden. Er wurde Ende der 1950er Jahre vom Amtsgericht Rendsburg für tot erklärt, war hier 1931 in einem Wohnheim gemeldet. Hindelchens ältester Sohn, Eduard Karp, überlebte den Holocaust in Schweden und starb in den 1980er-Jahren in Israel.

Zum 20. März 1939 wurde Hindelchen Karp gezwungen, ihre Wohnung in der Großen Bergstraße 250 zu verlassen und in das Martin-Brunn-Stift in der Frickestraße 24 ziehen. Zum 20. März 1940 musste Hindelchen Karp in die Bogenstraße 25 ziehen. Wann sie in dem KZ ermordet wurde, konnte nicht festgestellt werden. Als Todestag wurde in den 1950er-Jahren auf Grund einer Aussage eines damaligen Mit-Insassen aus dem Ghetto das Frühjahr 1944 bestimmt.

Heute finden Sie an der Schule Schanzenstraße am Eingang auf Höhe der Altonaer Straße 38 eine Namenstafel mit den über den 1.700 Namen der Deportierten, die über diese Sammelstelle in die KZ transportiert wurden. Mehr über diese Deportation und die Namen erfahren Sie auf der Web-Seite www.sternschanze1942.de.

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