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Holger Artus

Betr: Stolpersteine für Hindelchen, Elias und Josef Karp, Große Bergstraße 250

Zusammen mit Ralf Dorschel habe ich eine Nachbarschafts-Info zu Hindelchen, Elias und Josef Karp geschrieben und heute in der Großen Bergstraße 250 verteilt. Hier erinnern drei Stolpersteine an sie. Hindelchen Karp wurde am 15. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße nach Theresienstadt/Terezin deportiert.

Elias wurde in Auschwitz ermordet. Josef ist ebenfalls von den Nazis ermordet worden. Ihr dritter Sohn, Eduard Karp, konnte fliehen und überlebte. Er gehört aber auch zu den NS-Opfer. Auch an ihn erinnern wir in der Info. Eine ausführlichere Erzählung zur Familie Karp gibt es auf der Web-Seite www.sternschanze1942.de.

Liebe Nachbarinnen und Nachbarn,

vor Ihrem Wohnhaus liegen drei Stolpersteine. Sie liegen dort für Hindelchen „Henny“ Karp und ihre beiden Söhne Elias und Josef Karp. Wir möchten Ihnen mit diesem Schreiben etwas über die Familie erzählen, an die diese Stolpersteine vor der Großen Bergstraße 250 erinnern – denn genau das ist der Zweck dieser Stolpersteine: Erinnern an die Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. 

Hindelchen Karp wohnte vom 23. Mai 1932 bis zum 19. März 1939 in einer 2-Zimmer-Wohnung. Sie war 60 Jahre alt, als sie hier einzog. Ihre Söhne lebten zum Zeitpunkt ihres Einzugs nicht mehr bei ihr. Hier an dieser Stelle, wo heute Ihr Wohnhaus steht, befanden sich seit 1870 paritätische Stiftohnungen. Stift meinte damals, dass sie in erster Linie für „Bedürftige Bewohner der Stadt“ gedacht waren. Es waren Freiwohnungen – für uns ist das heute nicht mehr vorstellbar, aber es musste keine Miete gezahlt werden. Es war ein langgezogenes Gebäude mit Wohnungen im Parterre und im 1. Stock. 

Staatsarchiv Hamburg 324-1_K 2311 Band 2

Paritätisch meinte: Hier lebten Menschen jüdischer und christlicher Konfession. Benjamin Leja hatte das 1869 beim Bau des Stifts so verfügt. Die Leja-Stiftung besaß neben dem Gebäude hier in der Großen Bergstraße noch einen weiteren Stift/Freiwohnungen in der Thadenstraße 120-128 (damals Große Gärtnerstraße), die 1884 erbaut wurden. Unter dieser Adresse in Altona waren es 43 Freiwohnungen, in denen 70 Menschen wohnten – in der Thadenstraße waren es ebenfalls 43 Wohnungen. Die Häuser der Leja-Stiftung in der Thadenstraße 120-128 gibt es noch heute, allerdings nicht mehr als Freiwohnungen und nicht mehr konfessionell ausgerichtet.

Stolpersteine, also jene kleinen Messingsteine, auf denen die Namen der Hamburger NS-Opfer auf dem Gehweg stehen, gibt es in Altona noch an vielen weiteren Stellen – auch in der Großen Bergstraße und in Ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Bisher gibt es über 6.400 Stolpersteine in Hamburg. Sie erinnern an jüdische Opfer, an die ermordeten Kommunist:innen und Sozialdemokrat:innen, an Pazifist:innen, an Roma und Sinti, an Homosexuelle, an ermordete Kranke und die anderen Opfer des NS-Regimes.

Was wissen wir noch über Henny Karp und ihre Söhne?

Als Hindelchen Simon wurde sie am 1. Juni 1873 in Friedrichstadt in Schleswig-Holstein geboren. Henny war ihr Rufname. 1889/1890 zogen ihre Eltern, Sara und Simon Levy Simon, und deren vier Kinder, Hindelchen (1873), Clara (geb.1877), Israel (1879) und Regina (1881) nach Hamburg. 

Hindelchen Simon heiratete 1907 Samuel Leip Karp, der am 23. November 1876 in Grodek im polnischen Galizien geboren wurde. Galizien gehörte damals zum österreichischen Kaiserreich und heißt heute wieder Galicja.  Die beiden wohnten zuerst in Harburg, was – genau wie Altona – damals noch nicht Teil der Stadt Hamburg war. Am 6. Dezember 1907 wurde Eisig Eduard geboren, am 19. September 1909 Elias und am 28. November 1912 Josef. Seit 1918 wohnte die Familie in der Altonaer Kleinen Papagoyenstraße 3, direkt neben der Synagoge der Hochdeutschen Israeliten-Gemeinde, der “Altonaer Synode”, die die Gemeinde seit 1862 als Gotteshaus betrieb. Ihr Mann starb 1927. Henny Karp betrieb ab 1928 in der Kleinen Papagoyenstraße 3 ein jüdisches Speisehaus, in dem sie Mittagessen anbot. Diese Straße gibt es heute nicht mehr. Sie finden dort heute an der Kirchenstraße, hinter der Altonaer Trinitatiskirche, den Kapitän-Schröder-Park. Vermutlich bis 1936 verkaufte sie koschere Konserven. Sie war Mitglied in einem der größten Hamburger Vereine, dem „Verein zur Förderung ritueller Speisehäuser“. Für jüdische Reisende, Hotelgäste und Gemeindemitglieder wurden nach den jüdischen Speisegesetz Lebensmittel angeboten. Der Verein organisierte dieses Angebot deutschlandweit und war international aufgestellt. 

Ihr Sohn Elias Karp wurde Arzt. Er gehörte zu den deutschen Freiheitskämpfer:innen, die nach dem Putsch der demokratisch gewählten spanischen Regierung durch die Faschisten unter Franco von 1937-1939 in den Internationalen Brigaden kämpften, um die spanische Republik zu verteidigen. Er war Major-Chefarzt. Nach der Niederlage der republikanischen Regierung 1939 flohen auch die Kämpfer:innen aus den Internationalen Brigaden aus Spanien und mussten in Frankreich in Internierungslagern leben. Elias Karp war leitender Arzt im Lager Montauban. Am 20. Oktober 1942 wurde er über das Lager Rivesaltes in Frankreich nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Das Schicksal seines Bruders Josef konnte bisher nicht sicher geklärt werden. Er wurde Ende der 1950er Jahre vom Amtsgericht Rendsburg für tot erklärt,  war hier 1931 in einem Wohnheim gemeldet. Hindelchens ältester Sohn, Eduard Karp, überlebte den Holocaust in Schweden und starb in den 1980er-Jahren in Israel.

Zum 20. März 1939 wurde Hindelchen Karp gezwungen, ihre Wohnung in der Großen Bergstraße 250 zu verlassen und in das Martin-Brunn-Stift in der Frickestraße 24 ziehen. Die Leja- Stiftung wurde wie alle jüdischen Unternehmen bzw. das gesamte Eigentum ab 1938 „arisiert“ – es wurde geraubt. Im März 1942 gab es die Anweisung der Gestapo, jüdische Menschen auf eine ausgewählte Anzahl von „Judenhäusern“ zu konzentrieren, um über sie die Verschleppung in die Vernichtungslager zu organisieren. Zum 20. März 1940 musste Hindelchen Karp in das so genannten Judenhaus in der Bogenstraße 25/27 ziehen. 

Am 14. Juli 1942 wurde Hindelchen wie alle anderen Bewohnerinnen und Bewohner aus der Bogenstraße 25/27 in die Schule Schanzenstraße am Bahnhof Sternschanze gebracht und am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt/Terezin deportiert. Wann sie in dem KZ ermordet wurde, konnte nicht festgestellt werden. Als Todestag wurde in den 1950er-Jahren auf Grund einer Aussage eines damaligen Mit-Insassen aus dem Ghetto das Frühjahr 1944 bestimmt.

Heute finden Sie an der Schule Schanzenstraße am Eingang auf Höhe der Altonaer Straße 38 eine Namenstafel mit den über den 1.700 Namen der Deportierten, die über diese Sammelstelle in die KZ transportiert wurden. Auf der Tafel finden Sie unter dem 15. Juli 1942 auch den Namen von Hindelchen Karp. Mehr Informationen finden Sie unter der Web-Seite www.sternschanze1942.de 

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