Ansichten

Holger Artus

Eine aufwendige Recherche zur Sammelstelle Schanzenstraße im Juli 1942 und Bedenken anderer

Immer, wenn wir etwas zu den beiden Deportationen am 15. und 19. Juli 1942 über die Sammelstelle in der Schule Schanzenstraße im Hamburger Weiden- und Schanzenviertel machten, sind wir mit Bedenken von verantwortlichen Stellen der institutionellen Träger der Erinnerungskultur in Hamburg konfrontiert worden.

Am S-Bahnhof Sternschanze sollten wir lieber etwas zum Reserve-Batalion der Hamburger Polizei  vom 21. Juni 1942 machen, statt eine Tafel am Bahnhofvorplatz der S-Bahn Sternschanze an die 1.700 deportierten jüdischen Menschen über die Schule Schanzenstraße anbringen, auch wenn hier die Mannschaftwagen der Polizei zum Abtransport der Verschleppten standen. An die deportierten Menschen vom 15. und 19. Juli 19942 werde bereits am Denk.mal am Hannoverschen Bahnhof erinnert. Hier findet man alle ihre Namen.

Wiederkehrend war der Hinweis, dass doch nicht geklärt sei, ob alle 1.705 der NS-Opfer, die aktuell auf unser Tafel stehen, über die Sammelstelle der Schule Schanzenstraße verschleppt worden. Mit  unseren Erinnerungstexten erwecken wir den Eindruck, das es alle wären. Mehr noch, man wisse doch gar nicht genau, wer von ihnen am 15. und 19. Juli 1942 zur Schule kommen musste, insofern kann man dazu wenig schreiben, außer dass es wohl eine Sammelstelle gewesen sei. Waren es nur die jüdischen Menschen aus den umliegenden „Judenhäusern“, aber nicht die den aus dem Grindelviertel und weiter entfernten Orten? Wurden sie nicht direkt zum Hannoverschen Bahnhof gebracht? Man ging so weit, dass man es selbst bei den „Judenhäusern“ in Sichtweite der Schule nicht sagen könne und Zweifel vernehmen lies. Aber nur zu Bekräftigung, dass wir beim öffentlichen erinnern bitte zurückhaltend sein sollten und nur das schreiben, was gesichert ist – ein schweres Unterfangen, einen wissenschaftlich berechtigten Anspruch auf die Ebene des Alltags zu heben. Immer wieder wurde auch angezweifelt, dass Verschleppte bereits am Tag vor der Deportation in der Schule waren. Das ging so weit, dass man sich 2022, anlässlich des 80. Jahrestag der Juli-Deportationen 1942, noch nicht einmal mit uns zusammen eine gemeinsame öffentliche Übersicht über die geplanten Aktivitäten vorstellen konnte. Für mich ein Tiefpunkt in der Zusammenarbeit.

Die Tatsache, dass man  Seitens der institutionellen Träger nach 80 Jahren immer noch nicht sagen kann, wer über die Sammelstelle in der Schule Schanzenstraße zum Hannoverschen Bahnhof gebracht wurde, hatte mich auch dieses Jahr wieder erschüttert. Wer, wenn nicht die, sind sie doch die Forschen- und Wissenden? Nicht im Traum hatte ich Zweifel, dass das alles schon längst aufgearbeitet und dokumentiert sei. Mein Eindruck in der Kommunikation mit uns: man sagt es uns nicht, wie es genau war, da wir nicht zur „Community“ gehören. Wir bekämen nur die Brotkrumen, in dem Fall der zweifelnden Hinweise. 

Irgendwann in Vorbereitung unserer Aktivitäten zu einem anderen 80. Jahrestag hatte ich die Nase voll von dieser Kommunikation und bohrte nach. Die Antwort: man wisse es nicht, wer von welcher Sammelstelle über den Hannoverschen Bahnhof deportiert wurde. Natürlich fragte ich nach, womit sie sich eigentlich im Team zum Dokumentationszentrum am Hannoverschen Bahnhof beschäftigten? Die Schwerpunkte wurden erzählt und die Belastungslage. Ich kann den Ansatz und das Engagement gut nachvollziehen, bin froh, dass man sich so hartnägig an der Realisierung dieses bedeutenden erinnerungspolitischen Dokumentationszentrum arbeitet. Wir haben keine inhaltliche Schnittmenge dazu, wir sind ein sehr kleine lokale, mehr noch sublokale Gruppe, die sich fast monothematisch um ein Thema kümmert.

Jetzt konnte ich durch wieder durch einen Zufall ein Teilprojekt meiner Recherchen zu den Deportierten vom 15. und 19. Juli 1942 abschließen, ob sie über die Schule deportiert wurden oder nicht. Zu klären, wer von 1.705 Namen auf der Tafel an der Gnaztagsgrundschule Sternschanze über die damalige Schule Schanzenstraße verschleppt wurde, ist eine quantitative und zeitliche Herausforderung. Für den 15. Juli 1942 kann ich im Wesentlichen sagen, dass sie alle über die Sammelstelle an der Schanzenstraße deportiert wurden. Sicher kann ich es nicht für jede/n einzelne/n sagen, wohl aber für die Judenhäuser, von denen sie aus verschleppt wurden. Erst gestern habe ich für das Judenhaus in der Bogenstraße 25 in einem Fall den Nachweis gefunden habe, dass Hindelchen Karp über „eine Schule in der Nähe deportiert“ wurde.

Methodisch hatte ich mir alle „Judenhäuser“ vom 15. Juli 1942 herausgeschrieben, in denen die Menschen vorher wohnten mussten. Konnte ich in einem Fall nachweisen, dass diese Person über die Sammelstelle Schanzenstraße deportiert wurde, war meine Annahme, dass es alle anderen auch betraf. Bezugspunkt für diese Annahme  war die detaillierte Beschreibung der Bewohner/innen aus der Bundesstraße 43.

Das gleiche Herangehen an den 19. Juli 1942 zu übertragen ist für mich noch schwierig bis unmöglich, da die vorliegenden Namen sich auf Adressen beziehen, wo die Menschen noch nicht in einem „Judenhaus“ leben mussten. In Einzelfällen habe ich schon die entsprechenden Häuser gefunden, aber der Ansatz wird nicht funktionieren, ich kann nicht annähernd die Wiedergutmachungsakten von rund 800 Personen durchgehen. Vermutlich wird der Ansatz sein, eine größere Anzahl von „Judenhäuser“ anzunehmen und über deren Bewohner/Inn ein Bild von geschätzt 80 Prozent zu bekommen. Dann würde für wieder nur ein Fall reichen – und die Annahme, dass dies dann für alle gelten müsse.

Bei mir bleibt das zweifelnde Gefühl, ob ich richtig liege, genauso der Zweifel, warum oder ob die das nicht doch schon längst wissen. 

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