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Holger Artus

Giovanni Guida war einer der italienische Militärinternierten, die bei Eckhardt & Co. AG arbeiten mussten

Das von Richard Eckhardt in Hamburg 1929 gegründete Unternehmen, Eckhardt & Co. AG, betrieb den Handel mit Bergwerks- und Hüttenerzeugnissen, also Schrotthandel und dessen Verarbeitung. Im Aufsichtsrat saßen die Herrn der deutschen Eisen- und Stahlindustrie, wie z.B. Peter Klöckner, damals Inhaber des Konzerns Klöckner Werke AG und der Humboldt Deutzmotorenwerke AG, aus denen in der NS-Zeit Klöckner Humboldt-Deutz AG (KHD) entstand.

Im ersten Geschäftsjahr von Eckhardt & Co bilanzierte der Vorstand, das das es „unter wenig erfreulichen Umständen“ verlief. Der Gewinn betrug dennoch 224.497,51 RM. Die drei Aufsichtsräte bekamen davon 15.000 RM ab, ansonsten wurde das Ergebnis in das Unternehmen gesteckt. 

Beim „Schrott“ handelt es sich um das schreddern von Schiffen oder große Dampfloks. Die Aktionäre durften sich über hohe Dividenden-Ausschüttungen freuen. In der Hovestraße 66/68 im Hamburger Hafen verfügte es auch über ein Sauerstoffwerk, um Eisen in Stahl zu verwandeln und um später durch das hinzufügen weiterer Elementen (Nickel, Chrome u.a.) den Stahl zu veredeln, je nach dem Zweck in der Wendung für die Rüstungsproduktion.

Um die Produktionsziele zu erreichen, wurden vom Eckhardt & Co. AG frühzeitig sowjetische Zwangsarbeiter (“Russen”) eingesetzt.  Ab Oktober 1943 wurden auch italienische Militärinternierte beschäftigt. Hamburgs NSDAP-Chef, Karl Kaufmann, hatte im September 1943 in einer Besprechung mit dem Hamburger Amt für kriegswichtigen Einsatz (Baubehörde), in dessen Verantwortung die Planung der Zwangsarbeitslager-Kapazitäten lag, erklärt, dass er 25.000 IMIs nach Hamburg holen wollte. Daraus wurde nichts, am Ende waren es rund 17.000. Nicht zuletzt auch, weil es widersprechende Interessen im NS-Regime gab. Die Wehrmacht wollte für ihre Projekte die entsprechenden Fachkräfte unter den IMI abziehen. Die Unternehmen wollten aber genau diese Kräfte haben.

Der Vorstandschef von Eckhardt & Co. AG, Ludwig Trautmann, z.B. reklamierte dies auch in einer Besprechung mit der Stadt am  1.Dezember 1943. Dem Beauftragten des Munitionsministeriums für den Einsatz der Schrottbetriebe in Hamburg sei es nicht gelungen, 300 Zwangsarbeiter für die Bergung von Schrott zu erhalten, obwohl, so Trautmann, “tausenden italienischer Militärinternierter in unterschiedlichsten Verwendungen als Gärtner in der Stadt arbeiteten. Dabei hatten ihm die Behörden die Italiener seit Wochen zugesagt. All das geschah nach dem vernichtenden Bombenangriff auf Hamburg und zu einer Zeit, als über die Bedeutung des Schrottgewerbes für die deutsche Kriegsproduktion nirgendwo Unklarheit herrsche.“

Eckardt & CO. AG war in der Hovestraße nur eines von anderen Unternehmen, die Zwangsarbeiter einsetzte. Wie überall im Hamburger Hafen gab es auch hier es eine massive Ansammlung von Firmen- und Gemeinschaftslager, die nur durch deren Beschäftigung existieren konnten.

Art des LagersHovestraße NummerUnternehmen
Gemeinschaftslager33Stahlwerk Mark
Firmenlager39Chemische Fabrik Lehmann & Voss
Firmenlager/Kriegsgefangene45Metallwerke Peute GmbH
Firmenlager51C.F. Hildebrandt
Firmenlager44,50, 70,72Norddeutsche Affinerie
Firmenlager66/68Eckhardt & Co, AG

Die Unterbringung der italienischen Militärinternierten bei Eckhardt & CO. AG soll in zwei Baracken auf dem Unternehmensgelände, in der Hovestraße 66/68, erfolgt sein. Die Auswertung der Hausmeldekartei ergibt 86 italienische Militärinternierte. In einer Mitteilung des Unternehmens an das Hamburger Arbeitsamt vom September 1944 werden auch 86 italienische Militärinternierte angeführt. Als Lager wird die Hovestraße 72 angegeben, was sich deckt mit der “Hausmeldekartei”. 

Einer der italienischen Militärinternierten war Giovanni Guida. Sein Enkel, Pietro, erinnert sich, dass sein Großvater nicht viel über seine Zeit als Kriegsgefangener erzählt hatte.  Er war am 21. August 1924 in Celle Bulgheria, einer Gemeinde in der süditalienischen Provinz Salerno/Kampanien, geboren. Hier wuchs er mit seinen Eltern Vincenzo und Maria Francesca Barile und vier weiteren Geschwistern auf. Der Ort zählt heute (2019) noch 1.804 Einwohner.  

Die  Waffenstillstandsvereinbarung der neuen italienischen Regierung und den Alliierten vom 8. September 1943 führte dazu,  dass  Giovanni Guida wie hunderttausende italienischen Soldaten von der deutschen Wehrmacht festgenommen und vor die Alternative gestellt wurde, für die faschistische Armee der italienische Sozialrepublik weiter zu kämpfen oder deutsche Kriegsgefangenschaft. Der gerade einmal 19 jährige Giovanni tat es seinen Kameraden gleich und lehnte es schriftlich ab, weiter in den Krieg zu ziehen. Rund 600.000 vom 800.000 italienischer Soldaten waren nicht bereit, weiter in den Krieg zu ziehen. Aus den italienischen Kriegsgefangenen machten die Nazis “Militärinternierte”, um nicht an internationalen Konventionen gebunden zu sein, die Deutschland einst unterschrieben hatte. Dazu gehörte u.a. das Verbot der Arbeit von Soldaten in der Rüstungswirtschaft. Deutschland brauchte dringend Arbeitskräfte, da die deutschen immer mehr in die Wehrmacht einberufen wurden waren. Die Lage an der Ostfront hatte sich Ende 1941 nach der Schlacht um Moskau von Oktober 1941 bis Januar 1942 grundlegend geändert. Die Rote Armee drängte die deutsche Wehrmacht zurück. Mit der Schlacht Stalingrad trat eine strategische Wendepunkt im Kriegsgeschehen eintrat. Hunderttausende deutscher Soldaten verloren dabei ihr Leben.

Giovanni Guidas Weg in den Hamburger Hafen, zu Eckhardt & Co. AG, führte ihn nach seiner Festnahme über das Kriegsgefangenen-Stammlager Sandbostel bei Bremervörde in Niedersachsen. Wann genau er in Hamburg angekommen ist, kann man zur Zeit nicht sagen. Er war in einem “Kriegsgefangenlager” in der Hovestraße untergebracht.  Das Unternehmen gab nach 1945 an, dass es sich um ein „unbewachten Lager“ handelte, was aber nicht der Wahrheit entspricht. Es gab einen Lagerführer, Walter Otterdorf, der mit weiteren Soldaten die IMI bis August 1944 bewachte. 

Im September 1944 wurde aus den Kriegsgefangenen  so genannte “italienische Zivilarbeiter” gemacht. Das Lager wurde nicht mehr von der Wehrmacht bewacht und kontrolliert. Die IMI durften Hamburg nicht verlassen. Sie mussten arbeiten, ab 20 Uhr durften sie das Lager aber nicht mehr verlassen. Bei der Lage im Hafen bedeutete es, dass sich kaum außerhalb des Lagers bewegen konnten. Aber es gab überall Schwarzmärkte unter den Zwangsarbeitern, so dass dies vermutlich die Orte waren, zu denen man sich bewegte. “Von den wenigen Dingen, die er mir erzählte, erinnere ich mich an das Essen: Es bestand aus Kartoffelschalen. Er erzählte von der Hitze, die sie im Sommer in den Baracken ertragen mussten, und von der bitteren Kälte im Winter, als sie sich das Gesicht mit Schnee waschen mussten, weil es kein Wasser gab… Während seiner Inhaftierung hatte er das „Glück“, Freunde wie Herrn Fiorentino Tancredi zu treffen, der ebenfalls ein Gefangener aus Celle Bulgheria und ein Verwandter war. Das machte das Leben im Lager etwas weniger hart. “ Sein Enkel erinnert sich noch, das Giovanni Guida davon erzählte, das er nach seiner Rückkehr nach Italien noch länger Ernährungsprobleme hatte.

Mit der Befreiung Hamburgs am 3. Mai 1945 endete die Zwangsarbeit. Tausende Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zogen am 4. Mai 1945 zu Hamburger Rathaus. Unter den jeweiligen Fahnen ihres Landes begrüßten sie ihre Freiheit. Sie wollten schnell nach Hause. Im Juni/Juli 1945 fuhren die ehemaligen italienische Militärinternierten als befreite italienische Soldaten zurück in die Heimat.

Giovanni Guida heiratete 1950 Grazia Di Bello. Er lebte und arbeitete sein ganzes Leben lang in Celle Bulgheria als Maurer und Landwirt. Er starb 2007 im Kreise seiner Familie und nahm die tragischen Momente des Krieges mit sich.

Eckardt & Co. AG wurde nach 1945 vom Stahlkonzern KHD übernommen und hatte seinen Standort in der Dradanaustraße 33. Heute ist hier der Stahlstandort von ArcelorMittal, dass das Hamburger Stahlgeschäft von KDH später übernommen hatte. 

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