Ansichten

Holger Artus

Ein neues Erinnerungsprojekt 2022 zum 80. Jahrestag der Deportation aus dem Schanzenviertel beginnt – mit Herausforderungen

Anlässlich des 80. Jahrestag der Deportation von über 1.700 jüdische Menschen am 15. und 19. Juli 1942 über die damalige Volksschule Schanzenstraße soll es auch 2022 wieder eine Aktivität bei uns in den Stadtteilen um den Sternschanzen-Bahnhof geben.

Aktuell diskutieren wir die konkrete Ausgestaltung. Darüber wollen wir auch im Stadtteil sprechen. Es soll eine Kundgebung geben, weitergehende Angebote am Beispiel der Anbringung der Namen der Deportierten stehen zur Diskussion. Diese Frage steht im Raum, da die Finanzierung zu klären ist. Wir wollen im Januar 2022 dazu eine Spenden-Aktion starten, auch davon hängt das „Wie“ der Erinnerung ab. Die Gretchenfrage sind bei dieser Form aber immer auch die nach einem Großspender/in, Kleinspender gibt es immer, sie alleine reichen in der Regel nicht aus. Dass stellt in meinen Augen eine Herausforderung dar. Wir sind in dieser Frage aber noch auf anderen Felder aktiv beim einwerben. Politisch können Finanzierungsfragen das eigentliche Anliegen belasten, da ihre Lösung Energie und Ressourcen bindet, die man lieber in die Ansprache und Aufklärung der Nachbarschaft investieren sollte.

Bereits heute sind alle Namen der deportierten jüdischen Menschen aus Hamburg von 1941 bis 1945 am Denk.mal am Hannoverschen Bahnhof in der Hafencity zu finden, auch die der vom 15. und 19. Juli 1942.

Ob es gelingt, die Namen aller deportierten jüdischen Menschen am Schulgelände anzubringen, ist zur Zeit finanziell offen. Der Eigentümer des Geländes war bisher dafür. Auch die Kundgebung soll dieses Jahr einen besonderen Charakter bekommen. Dafür haben wir uns etwas mit Blick auf Überlebende und Angehörige überlegt. Zur Zeit steht das noch nicht.

Neben einer zentralen Aktivität am damaligen Sammelort in der Schule Schanzenstraße soll es vier dezentrale Angebote in verschieden Stadtteilen Hamburgs geben. Die Absicht an allen vier Orten ist, dass wir an jüdische Menschen erinnern, die an den beiden Tagen über die Schule nach Theresienstadt deportiert worden, zu denen es eine besondere Geschichte und es ein Angebot für die dortige Nachbarschaft bzw. Beschäftigten in den Unternehmen geben soll.

Bundesstraße 43

Im Grindelviertel soll an die über 120 jüdischen Menschen aus der Bundesstraße 43 erinnert werden, die von hier zur Schule Schanzenstraße gehen mussten. Die Hoffnung ist, dass es uns gelingt, an dem Gebäude eine Erinnerungstafel an das so genannte Judenhaus anbringen zu können. Die Frage, ob und wie man erinnert, haben wir gestartet und werden im Janaur 2022 die Nachbarschaft zu einer Diskussion im Netz einladen.

Auf dem von John R. Warburg 1887 erworbene Grundstück Bundesstraße/Ecke Papendamm ließ er ein Wohnstift, ein dreiflügeliges Gebäude mit 52 Ein- und Zweizimmerwohnungen, erbauen. In der NS-Zeit wurde der Stift von den Nazis zu einen so genannten Judenhaus umfunktioniert. D.h. jüdische Menschen wurden aus ihre Mietverhältnisse in der Stadt vertrieben und wurden gezwungen, hier zu leben.

Herausforderungen stellen sich zur Zeit mit Blick auf den Eigentümer. So klar es eine Ablehnung unserer Gesellschaft zum Nazi-Terror gibt, je dichter man mit dieser Frage in Form einer Erinnerung an die Immobilie und deren Eigentümern kommt, desto schwieriger wird es. Bisher ist jeder Versuch von mir, an ein so genanntes Judenhaus „bleibend“ zu erinnern, gescheitert. Auch die erste Kontaktaufnahme bei der Bundesstraße 43 signalisiert Herausforderungen. Dabei geht es aber nicht um die Haltung.

Mehr unter https://bundesstrasse43.wordpress.com/

Großneumarkt 56

Aus Anlass einer geplanten Stolpersteinverlegung im Sommer 2022 vor dem Großneumarkt 56 für Hilde Dublon wollen wir versuchen, die Nachbarschaft zu diesem Ereignis gewinnen. Hierüber gibt es erste Kontakte und Gespräche in der dortigen Nachbarschaft. Alle Erfahrungen besagen, dass dies eine überschaubare Aktivität ist, dass die Nachbarn aber gerne diese Informationen mitnehmen. Generell geht es auch immer darum, eine Ansprache zu finden, die informiert und man sich mit der Frage beschäftigt: komme ich dazu?

Hilde Dublon wurde am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt mit ihrer Tante Henny Dublon, die ebenfalls hier wohnen musste, deportiert. Sie ging in die Israelitische Töchterschule und starb im August 1942 mit gerade 18 Jahren. Die Diskussion um ihren Stolperstein begann für mich 2010 und mündete im Übrigen in der Verlegung der Stolperschwelle vor der Ganztagsgrundschule Sternschanze im November 2021, die an alle Abgangsschülerinnen und -schüler der Israeltischen Töchterschule vom Juni 1942 erinnert, dem Zeitpunkt der Schließung der jüdischen Schule.

Griegstraße 75

Hedwig Cohn war von 1939 bis 1941 zur “Pflichtarbeit” in der Sternwoll-Spinnerei eingesetzt. Die Nazis sprachen auch von “Judenkolonnen”. Dazu wird aktuell recherchiert. Die Grundlagen dieser rassistischen Zwangsarbeit sind transparent, seit 1939 konnten jüdische Menschen dazu eingesetzt werden. Da ab 1942 ein Zwangsarbeitslager für sowjetische, französische und italienische Zwangsarbeiter (Militärinternierte ab 1943) in der Sternwoll-Spinnerei in der damaligen Brahmsstraße 75 war, sollen sie ebenfalls Thema werden. Im Torbogen zur Sternwoll-Spinnerei, das heute als Objekt den Namen „Marzipanfabrik“ trägt, erinnert ein Mahnmal an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Wir wollen ebenfalls zu einer kleinen Erinnerungskundgebung einladen. In den vergangenen Jahren haben wir uns immer am 3. Mai, dem Tag der Befreiungs HAmburg 1945, mit Beschäftigten getroffen. Wir werden auch diesmal sicher eine kleine Runde werden.

Mehr unter https://www.sternwollspinnerei.de

Schanzenstraße 75/77

Als 1929 die Familie Dublon nach Hamburg zog, war der Nazi-Terrror nicht sichtbar. Die Dublons wohnten in der Schanzenstraße, der Arbeitsort von Daniel Dublon war der Schlachthof, sein Büro war im Montblanc-Haus, dass er aus rassistischen Gründen ( „“Arisierung“ ) 1938 einstellen musste. Die Tochter von Gretchen und Daniel Dublon, Hilde, ging in die Israelitischen Töchterschule, die nur einige hundert Meter von ihrem Wohnhaus entfernt war. Alle drei wurden am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Im Innenhof des Montblanc-Hauses in der Schanzenstraße soll zu einer Lesung eingeladen werden. Auch hier sind die Adressaten die unmittelbaren Nachbarn aus den angrenzenden Straßenzügen.

Ob alles gelingt, wird man sehen. Mit den verschiedenen dezentralen Orten soll zum einen für die jeweilige Nachbarschaft eine Ansprache und ein Angebot geschaffen werden. Es werden nicht einfach nur die Geschichten von Personen erzählt und eben in Form einer Info in die Briefkästen zu stecken. Der Gedanke ist, eindringlicher etwas auf dem Weg zur Deportation zu machen. Darüber hinaus gibt es weitere Idee auch für emotionale Erlebnisse, aber dazu muss noch weiter geplant werden. Es wäre zu früh, darüber zu reden. Alle vier dezentralen Aktivitäten werden jeweils eine eigene, wenn auch kleine lokale Trägerschaft, haben.

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