Die Gedenktafel an das Frauenlager des KZ Außenlager Tiefstack an der Andreas-Meyer-Straße 11 liegt an einer vielbefahrenen Straße, mitten im Speditions- und Industriegebiet von Billbrook. Da die Andreas-Meyer-Straße zum Ring 2 gehört, ist sie auch noch ein Autobahnzubringer. LKW brettern in der Woche daran vorbei. Eine Bushaltestelle befindet sich in seiner unmittelbaren Lage.
Einige Jahre hatte ich in der Nähe in einer Chemischen Fabrik gearbeitet. Der Weg zur Arbeit, die Mittagspause, ab und an zur Würstchenbude – aber mein Streben war, nach der Arbeit schnell wegzukommen. Es ist keine Ecke, die mich in den 1970er Jahren zum verweilen einlud. Viel hat sich daran nicht geändert. Die Gedenktafel liegt so ziemlich genau zwischen den S-Bahnstationen Tiefstack und Billwerder-Moorfleet.
Das KZ-Frauenlager Tiefstack war ein Barackenlager, in das vermutlich am 8. Februar 1945 rund 500 tschechische Frauen aus dem KZ-Außenlager am Falkenbergsweg verlegt wurden. Mitte Juli 1944 bis Mitte August 1944 waren insgesamt 1.500 jüdische Frauen aus dem Vernichtungslager Auschwitz ins Lagerhaus G am Dessauer Ufer abkommandiert worden. Sie wurden im Rahmen des „Geilenberg-Programm“ zur Sicherung der durch die alliierten Luftangriffe zerstörte Mineralölwirtschaft eingesetzt. Bis zum 13. September 1944 waren sie im Lagerhaus G, in dem auch Italienische Militärinternierte (IMI) untergebracht waren. Aus Unterlagen kann man sehen, dass die IMIs z.B. bei dem Bauunternehmen Kowahl & Bruns wie auch die jüdischen Frau für das „Geilenberg-Programm“ eingesetzt wurden.
Das gesamte Arbeitskommando mit den jüdischen Frauen im Lagerhaus G wurde im September 1944 beendet. 500 von 1.500 Frauen wurden ins KZ-Außenlager am Falkenbergsweg verlagert. Die polnischen Frauen wurden ins KZ-Außenlager Sasel, die ungarischen nach Wedel ins dortige Außenlager abkommandiert. Die tschechischen Frauen kamen vermutlich am 8. Februar 1945 ins Außenlager Tiefstack. Da am 20. März 1945 ein Teil des Frauenlagers, insbesondere die Krankenbaracken von Bomben zerstört wurden, erfolgte nach Recherchen von Schülerinnen und Schüler der Klosterschule der Umzug auf das Betriebsgelände der Diago-Werke, für dass die Frauen auch arbeiten mussten.
Von 1943 bis 1945 war Gerd Bucerius stellvertretender Geschäftsführer und Syndikus der Diago-Werke Moeller & Co. in Hamburg. Dieses Unternehmen war in den letzten Kriegsjahren für Baracken- und Notunterkünftebau zuständig und hatte auch Zwangsarbeiter angefordert. Auf der anderen Seite hatte sich Bucerius In einem Brief an den Kommandanten des KZ Neuengamme, Max Pauly, im März 1945 über den Lagerleiter Wilhelm Kliem beschwert: „Es erscheint uns auch nicht unbedenklich, dass HSchF (Hauptscharführer) Kliem die seinem Lager angehörigen Frauen derart schlägt, dass das Geschrei dieser Frauen von den ebenfalls in unserem Werk beschäftigten Italienern und von anderen Gefolgschaftsmitgliedern angehört werden kann”, so Ralf Dahrendorf in seinem Buch “Liberal und unabhängig: Gerd Bucerius und seine Zeit.”
Die jüdischen Frauen wurden auch in der Zementfabrik Tiefstack zur Produktion von Betonplatten für Behelfsunterkünfte eingesetzt. Hierbei handelte es sich vermutlich um E. Meier & Dr. Ing. Rathjens aus der Burchardstraße 22, die auch italienische Militärinternierten einsetze. Nach Angaben der Gedenkstätte mussten sie auch den „Trümmerschutt in den südlichen Teilen der Stadt Hamburg und in Buxtehude räumen. Die Häftlinge mussten „kilometerweit Gräben und Kanäle ausheben, bis sie unter der Erde auf Wasser stoßen. … Die Frauen marschierten einige Stunden zu diesen Arbeitsstellen“, schrieben die Schülerinnen und Schüler der Klosterschule in ihrer damaligen Broschüre.
Eine der Frauen, die im Außenlager Tiefstack als Zwangsarbeiterin eingesetzt wurde, war Margot Heumann. Sie gehörte zu denen, die Schützengräben ausgeben mussten. Als sie 2019 in der Gedenkstätte Neuengamme zu Besuch war, erzählte sie von den schrecklichen Bedingungen in Tiefstack. „Wir hatten nicht genug anzuziehen, wir hatten immer Hunger, uns war immer kalt.“ Trotz aller furchtbaren Lebensbedingungen konnte sie sich auch „an die schönen Sonnenaufgänge über der Elbe“ erinnern, „die wir vom Boot aus dem Weg zur Arbeitsstätte gesehen haben.
Anita Lobel war am 29. September 1909 in Hamburg als Tochter von Rosa und Siegfried Landsberger geboren. Sie hatte noch noch weitere Geschwister: Elisabeth (1910), Hans (1912), Ernst und Sophie (1922). Sie besuchte eine Höhere Mädchenschule und machte anschließend am reformpädagogisch orientierten Fröbel-Seminar eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. 1929 eröffnete sie einen Kindergarten. Als Jüdin wurde ihr unter der NS-Herrschaft die Erziehung nicht jüdischer Kinder verboten. 1934 emigrierte sie in die Tschechoslowakei. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im März 1939 wurde ihr wieder verboten, als Kindergärtnerin in Prag zu arbeiten. Im Februar 1942 wurde sie nach Theresienstadt, im Dezember 1943 nach Auschwitz deportiert. Bei der “Selektion” entging sie dem sofortigen Tod. Mitgefangene halfen ihr, zu einer leichteren Arbeit in der Schreibstube eingeteilt zu werden. Im Juli 1944 kam sie im Lagerhaus G am Dessauer Ufer an. Es folgte Fischbek, Tiefstack und Bergen-Belsen. Anita Lobel war an Tuberkulose erkrankt und war fast zwei Jahr in einem Sanatorium in Davos. Sie wanderte anschließend in die USA aus und gründete dort eine Familie. Sie starb 2004.
Das Frauenlager Tiefstack war von Stacheldraht umzäunt und bestand aus zwei Wohnbaracken, einer Baracke mit Speisesaal, Küche, Waschraum und Latrine. Geschlafen wurde zu zweit in aufeinander gestellten Betten. ”Lagerhygiene war überhaupt nicht vorhanden. Es wimmelte überall Ungeziefern … Die Lagerverwaltung stand unter dem Kommando der SS. Die Aufsicht bei der Arbeit selbst besorgte die Wehrmacht.“ Im Lager waren SS-Frauen verantwortlich. Anita Lobel erinnerte sich: „Ja, Tiefstack war arg. Von Ravensbrück kamen die meisten SS-Frauen, um uns zu bewachen.“ Lisa Neumannova schreibt später über die Misshandlungen in Tiefstack durch die SS: „Auch sonst mißhandelte er viele von uns grundlos bei seinen Tobsuchtsanfällen. Einmal verbrachten wir einen Sonntag in einem Bunker. Erst als einige ohnmächtig wurden, durften wir den Bunker wieder verlassen.“
Am 7. April 1945 wurden die jüdischen Frauen aus dem Außenlager Tiefstack in den Diago-Werken von der SS nach Bergen-Belsen gebracht. Lisa Neumanova schrieb 1984: „Wie groß war unser Entsetzen, als wir in Bergen-Belsen ankamen. Die letzen Tage vor der Befreiung waren die fürchterlichsten und forderten die meisten Opfer.“ Anita Lobel schrieb 1983 in einem Brief über die Tage in bergen-Belsen: Die Küchen waren “geschlossen – wir sollten verhungern. Da waren keine Latrinen mehr für uns und wir mussten unsere Bedürfnisse vor der Baracke erledigen.
Am 15. April 1945 wurde Bergen-Belsen von der britischen Armee befreit wurden. Dennoch starben viele an Folgen der Lebensbedingungen unter den vorangegangenen Terror der Nazis.
Auch bei dieser Gedenkstätte war es wie in Fischbek oder Sasel eine Schulklasse, die sich des Thema annahm. Sie schrieben in ihrer Broschüre: „Und schließlich – so finden wir – wäre es das selbstverständlichste von der Welt, den toten und wenigen überlebenden Häftlingen eine Erinnerungstafel am Ort ihrer Qual zu erreichten.