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Holger Artus

Notizen zum Dessauer Ufer, Lagerhaus G

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Die Lagerhäuser am Dessauer Ufer beschäftigen mich jetzt schon eine Weile, nachdem ich in den Hausmeldekarteien 2020 die Namen von etwa 1.700 Namen italienischer Miltärinternierte aus dem Lagerhaus F gefunden hatte. Wenig später fand ich für das Lagerhaus H die Namen von rund 800 sowjetischen Zwangsarbeiter.

Jetzt habe ich noch ein Schreiben des Bauunternehmen Kowahl & Bruns an das Hamburger Gauarbeitsamtes aus dem Herbst 1944 gefunden, auf dem vermerkt wurde, dass 198 italienischen Militärinternierten bei ihnen im Rahmen des „Geilenberg-Programms“ eingesetzt wurden, habe ich angefangen, mich etwas mehr mit dem Lagerhaus G zu befassen. Am Ende geht es aber nur darum, dass ich die Problemlagen und Herausforderungen besser verstehe.

1.500 jüdische Frauen aus Auschwitz wurden ins Lagerhaus G verschleppt

Das „Geilenberg-Programm“ der Nazis verfolgte das Ziel, den drohenden Zusammenbruch der Treibstoffversorgung in Deutschland nach der Wende im Zweiten Weltkrieg zu verhindern. Zur Erreichung der Ziele des Mineralölsicherungsplanes arbeiteten dafür 350.000 Menschen, darunter 100.000 KZ-Häftlinge in Deutschland. So wurden aus dem KZ Auschwitz etwa 1.000 jüdische Frauen aus der Tschechoslowakei und Ungarn Mitte Juli 1944 nach Hamburg verschleppt, später folgten noch 500 polnische Frauen. Sie wurden in das KZ Außenlager im Lagerhaus G kaserniert, um von hier in den zerstörten Betrieben zu arbeiten.

Lili Susser, 1927 in Polen geboren, wurde aus
Auschwitz in das KZ Neuengamme deportiert. Sie berichtete über ihre Ankunft am Dessauer Ufer:

Ich weiß nicht, wie lange es dauerte uns [aus Auschwitz in den Hamburger Freihafen, unseren direkten Ankunftsort, zu bringen. Aber ich glaube, dass es drei Tage und drei Nächte gewesen sein müssen. Der Zug zog an einem gewaltigen roten Backsteingebäude vorbei, von dem ich annehme, dass es ein Lagerhaus an den Docks war. Das Gebäude erstreckte sich auf Stelzen über dem Wasser. Es gab verschiedene Eingänge in das Gebäude. Von der Wasserseite aus konnten Schiffe anlanden und beladen werden. Zwei Gruppen von Männern standen an der Tür und teilten uns ein, als wir an ihnen vorbei in den zweiten Stock gingen. Im Erdgeschoss des Lagerhauses befanden sich Gefangene verschiedenster
Nationalitäten – Italiener, Russen, Ukrainer, Tschechen und andere. Sie waren Kriegsgefangene. Wir waren Juden und
die einzigen Frauen.“ (Aus: Lili SuSser: Lili’s Story. A memory of the Holocaust Bericht von 1995)

Sie mussten in Raffinerien wie Rhenania Ossag (Shell), Ebano-Oehler ( Esso ), J. Schindler, Jung-Öl und anderen Hafenanlagen wie Blohm + Voss Trümmerräumungs-/Wiederaufbauarbeiten durchführen.

Am 13. September 1944 wurden die Frauen in die KZ-Außenlager in Hamburg-Sasel, Wedel und Hamburg-Neugraben gebracht. Während ihrer Inhaftierung im Außenlager im Falkenbergsweg leisteten die Frauen Zwangsarbeit für verschiedene Firmen, wie zum Beispiel für die Firmen Aug. Prien, Wesseloh und Ziegelei Malo. Bei den Firmen Prien und Wesseloh wurden die Frauen beim Bau von Behelfswohnheimen und beim Wasserleitungs- und Straßenbau eingesetzt. Für die Ziegelei Malo stellten sie Fertigbauteile her. In den letzten Kriegsmonaten mussten die Frauen zusätzlich noch Aufräumarbeiten verrichten und beim Ausheben eines Panzergrabens helfen.

Ab Mitte September 1944 kamen 2.000 Insassen aus dem KZ Neuengamme ins Lagerhaus G

Am 15. September 1944 wurden 2.000 männliche Gefangene aus dem KZ Neuengamme ins Lagerhaus G transportiert, kann man auf Wikipedia nachlesen. Weiter heißt es dort, dass sie im Rahmen des „Geilenberg-Programms“, bei den Wasserwerken, Brauereien, in der Erdölindustrie und bei der Reichsbahn für die Beseitigung und den Bau von Trümmern eingesetzt wurden. Bei einem Luftangriff vom 25. Oktober 1944 wurde das Lager bei dem gemeldeten Verlust von 150 Todesopfern weitgehend zerstört. Die Überlebenden wurden in das Außenlager Fuhlsbüttel gebracht, arbeiteten aber weiterhin an denselben Orten wie zuvor. Am 15. Februar 1945 wurden 800 männliche Gefangene von Fuhlsbüttel ins Lager am Dessauer Ufer zurücktransportiert, um Benzin für Jung-Öl in Wilhelmsburg zu produzieren. Am 14. April 1945 evakuierte die SS das Lager endgültig und transportierte die Insassen in das Lager Stalag XB in Sandbostel.

Stolpersteine erinnern Frauen aus dem Lagerhaus G

In Hamburg erinnern verschiedene Stolpersteine an Frauen, die im KZ Außenlager am Dessauer Ufer im Lagerhaus G von Juli 1944 bis September 1944 kaserniert wurden und nicht überlebten. So die Steine für Nina Mueller und Zuzana Glaserová am Falkenbergsweg 62.

Ein weiterer Stein liegt vor dem Lagerhaus G für Markéta Müllerová. Den habe ich heute geputzt.

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