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Holger Artus

Was war das mit den italienischen Militärinternierten?

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Abhängig von der Entwicklung der Corona-Pandemie in Deutschland und Europa, wird die Nationale Vereinigung der italienischen Militärinternierten (ANEI) im Februar 2021 nach Hamburg zur Verlegung der Stolperschwelle im Kontorhausviertel kommen.

Unsere Initiative, „Kein Vergessen im Kontorhausviertel“, hat sie eingeladen. Aktuell laufen die Gespräche über die Planung dieses Besuchs, einschließlich möglicher Alternativen, wenn es keine öffentliche Aktivität geben sollte. Neben strategischen Fragestellungen ist die Absicht, aus dem Besuch eine Art öffentliches Ereignis zu machen, an der sich die Nachbarschaft in den Viertel beteiligt kann, wo ANEI zu Besuch sein wird. 

Wer ist ANEI? ANEI (Associazione Nazionale Ex Internati nei Lager nazisti) zählt etwa 1500 Mitglieder, und vertritt die überlebenden italienischen Militärinternierten (IMI). Diese Soldaten hatten sich nach dem 8.9.1943 geweigert, für Nazideutschland/Republik von Salò weiterzukämpfen, und wurden in Lagern interniert. Mit ihrem „waffenlosen aber nicht wehrlosen Widerstand“ hofften sie auf ein freies, demokratisches Italien. ANEI setzte sich die „materielle und moralische Unterstützung“ der IMI zum Ziel, aber auch die Wahrung der Erinnerung und den Einsatz für den Frieden unter dem Motto: „Nie mehr Stacheldraht“, nie mehr Krieg. 

Die italienischen Soldaten, die im September 1943 nach Deutschland verschleppt wurden, waren von der deutschen Wehrmacht u.a. in Griechenland oder Albanien festgenommen. In Italien war die faschistische Mussolini-Regierung gestürzt. Den italienischen Soldaten wurde von der deutschen Wehrmacht angeboten, an der Seite der Nazi-Wehrmacht weiter zu kämpfen, was über 80 Prozent von ihnen ablehnten. 600.000 wurden vor allem nach Deutschland verschleppt, um hier Zwangsarbeit zu leisten.

Da die italienisch Regierung nach Mussolini als ehemaliger Verbündeter von Nazi-Deutschland  erst einen Waffenstillstand mit den Alliierten und im Oktober 1943 dem ehemaligen Verbündeten Deutschland den Krieg erklärte, wurden die italienischen Militärinternierten in Deutschland sehr schlecht behandelt. In der Literatur kann man lesen, dass sie ähnlich mies wie die sowjetischen Kriegsgefangenen behandelt wurden, sie waren zu „Verrätern“‘erklärt worden. 

Die italienischen Soldaten wurden auf viele deutsche Städte verteilt. In der Zeit von 1943 bis 1945 wurden in Hamburg rund 12.000 italienische Militärinternierte als Zwangsarbeiter für die Stadt oder hunderte Unternehmen eingesetzt.

Sie kamen über das Strafgefangenenlager (Stalag) X in Sandbostel (bei Bremervörde).  Das Stalag X gehörte zum Wehrkreis X  der Wehrmacht. Ihm oblag die militärische Sicherung des Raumes Schleswig-Holstein, Hannover-Nord, Bremen und Hamburg. Der Wehrkreis X umfasste drei Wehrersatzbezirke (Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen). Das Hauptquartier befand sich in Hamburg ab 1935 in der Sophienterrasse in Hamburg-Harvestehude.

Die erste Gruppe mit 3.500 italienischen Militärinternierten erreichte Hamburg am 29. September 1943. Sie wurden auf das Lagerhaus H, am Dessauer Ufer, aber auch andere große Lagerhäuser und verschiedene Zwangsarbeitslager in Hamburg verteilt. Die Nazi hatten in aller Hektik öffentliche Gebäuden, vor allem Schulen, für sie eingerichtet. Für jedes Lager gab es auch eine eigenes deutsches Kommando, das zur Überwachung der Lager und ihrer Insassen abkommandiert war. 

Die Verteilung der an Zwangsarbeitern erfolgte die über das GAU-Arbeitsamt Hamburg, die aus dem Bereich der kriegswichtigen Betriebe oder der Stadt die Anforderungen erhielten. Es gab unterschiedliche Zuständigkeiten. Die Rüstungsbetriebe unterstanden direkt dem Wehrkreiskommando X. Die kriegswichtigen Unternehmen unterlagen der Stadt, später wurden beide unter die Leitung des Betriebswirtschaftsamt gestellt.

Abhängig von der Lage Deutschland im Krieg und den verschiedenen Phasen wurden die Zwangsarbeiter eingesetzt. Sei es um strategische Zugänge für die Kriegswirtschaft zu gewährleisten, die notwendige Infrastruktur mit Arbeitskräften abzusichern und vor allem, um die Kriegsproduktion zu forcieren.

Eine Übersicht aus dem Dezember 1943 vermerkt, dass 57 Prozent der italienischen Militärinternierten zur Schutt- und Leichenbeseitigung in Hamburg eingesetzt wurden. Ohne den Einsatz der Zwangsarbeiter wäre die Wirtschaft Hamburgs nicht lebensfähig gewesen. Insgesamt waren nach Recherchen von Friederike Littmann 0,5 Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Hamburg eingesetzt gewesen. 

In Hamburg wurden die italienischen Militärinternierten zuerst auf für sie eingerichteten Lager in öffentlichen Gebäuden untergebracht. Von hier aus ging es zu den “Einsatzorten”. Die Befehle für ihren Einsatz erfolgte über das Wehrkreiskommandos X im Sandbostel. Die gefangengenommenen  italienischen Soldaten wurden sogenannten Arbeitskommandos zugeteilt, aus denen sich die Arbeitsorte bzw. die Unternehmen ergaben, in denen sie arbeiten mussten.

Für besondere Aufgaben, z.B. als Pfleger im Krankenhaus oder als Ärzte wurden vereinzelt italienische Militärinternierte aus dem IMI-Lager abgezogen und in ein Firmenlager z.B. in Krankenhäusern verlegt. Wenn man mehr Handwerker irgendwo benötigte, wurde sie auch aus dem einem Lager abgezogen und in andere verlegt.

So waren z.B. in dem Lager in der Sternwoll-Spinnerei in Hamburg Othmarschen auch 29  italienische Soldaten von rund 190 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern im Einsatz. Und umgekehrt, wurden andere Zwangsarbeiter/innen aus anderen Lager und Ländern in die ehemals in nur für die italienischen Soldaten geschaffene Lager verlegt worden, so z.B. in das Zwangsarbeitslager in der Schule Schanzenstraße, wo auch Niederländer und Belgien waren. In anderen Lagern waren italienische und sowjetische Zwangsarbeiter untergebracht, wie im ehemaligen Theater des Westens am Ende des Schulterblatts. Bisher gibt es aber keine zusammenfassende Studie über den Einsatz der italienischen Militärinternierten in Hamburg,  so dass ich immer nur Beispiele anführe. 

Friederike Littmann hat in ihrem Buch “Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939 – 1945” (2006 Dölling und Galitz, München, S.578 ff) einen kurzen Überblick gegeben. Sie beschäftigt sich mit dem Herangehen der Nazi an ausländische Arbeitskräfte nach ihrer Machtübernahme 1933. Mitte der 1930er Jahre stellte das NS-Regime die Produktion systematisch auf den Krieg um. Mit einem beginnenden Krieg wurden deutsche Arbeitskräfte abgezogen, die Rüstungsproduktion und die möglichen kriegswichtigen Unternehmen waren davon betroffen. Die Nazi planten ihr Vorgehen, so dass es z. B. zu einer Umschichtung der “deutschen” Beschäftigten und die Gewinnung ausländischer Arbeitskräfte zu ihrer Kriegsvorbereitung gehörte. Diese ergaben sich u.a. aus den Beziehungen Deutschland zu den Ländern, zu denen vor allem Italien als Verbündeter zählte, aber eben auch andere  Länder wie Dänemark, Kroatien, Österreich. Das änderte sich weiter mit dem Besetzungen von Österreich 1938 oder der Tschechoslowakei  1939.  Nach Auffassung der Nazi gab es insgesamt fünf Gruppen von „ausländischen Arbeitskräften“. 

Ohne weiter die Details zu beschreiben, die Klammer für den “ausländischen Arbeitskräftebedarf” ergab sich aus in verschiedenen Phasen des Ausbau der Rüstungsproduktion und die Umstellung der kriegswichtigen Betriebe vor dem Beginn des Krieges. Mit dem Weltkrieg musste die Rüstungsproduktion nicht nur gehalten, sondern forciert werden. Es gab ein vielschichtiges System, um die Beschäftigung in Deutschland neu zu bestimmten. So kamen z.B. Dänen tausendfach in den Norden, um in der Landwirtschaft zu arbeiten. Damit wollte man Frauen für andere Arbeiten in kriegswichtigen Bereichen mobilisieren usw. 

Es gab aber nicht nur die Gefangenen italienischen Soldaten in Hamburg, sondern auch so genannte italienische Zivilarbeiter, die auf Grundlage einer Vereinbarung von Hitler und Mussolini Ende der 1930er Jahre/Anfang 1940 als Arbeitskräfte nach Deutschland kamen. Auch mit der dänischen Regierung nach der Besetzung des Landes Vereinbarungen über den Arbeitskräfteeinsatz in Deutschland bestanden solche Vereinbarungen. Analog nach der Besetzung Frankreichs kamen so genannte französische  Zivilarbeiter  nach Deutschland. Die Lager in Hamburg wurden die Lager  entsprechend für die Zivilarbeiter gekennzeichnet. 

Im Juli 1942 waren rund 6.200 italienische Zivilarbeiter in Hamburg beschäftigt. Von September bis vermutlich Dezember 1943 kamen mehr als die 12.000 italienischen Militärinternierten nach Hamburg dazu. Im Juni 1945 fuhren die italienischen Militärinternierten über die Jungiuswiese, auf der sich heute Planten und Blomen befindet, zurück nach Italien. Hunderte italienische Militärinternierten starben in Hamburg, vor allem im KZ Neuengammer, im Außenlager des KZ im Dessauer Ufer oder im sogenannten „Arbeitserziehungslager Langer Morgen“ in Hamburg-Wilhelmsburg. Auch in andern Ort kamen italienischen Militärinternierte ums Leben. Eine große Gruppe starb an ihren Verletzungen und Misshandlungen in den Krankenhaus Langenhorn oder Marienkrankenhaus. Der Öjendorfer Friedhof zählt fast 6.000 Opfer, die hier aus verschiedenen Regionen Deutschland kamen.

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