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Holger Artus

Ein Dokument der Schande aus der Schule Schanzenstraße von 1942

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Vor einigen Tagen bekam ich ein Schreiben der Schulleiterin der Volksschule Schanzenstraße 105 vom 2. April 1942, in dem die Aufnahme der jüdischen Schülerinnen aus der Israelitischen Töchterschule vehement abgelehnt wurde. Bisher hatte ich vermutet, dass deren Schulleiterin bis 1957 (!) die Unterzeichnerin gewesen sei. Jetzt liegt das von Emma Lange unterschrieben Papier vor.

Quellen-Nachweis Staatsarchiv Hamburg 361-2 Oberschulbehörde VI 202 Bd. 91

Die Tage erscheint eine Geschichte über den in Hamburg aufgewachsenen Kurt Goldschmidt, der den NS-Terror in Theresienstadt und auch das dortige KZ überlebte. Heute ist er 97 Jahre alt und lebt in New York/USA. Mit ihm bekam ich im Zusammenhang mit der ehemaligen jüdischen Werkschule in der Weidenallee 10b Kontakt.

Er und Kenneth Hale nahmen als Gäste auch an der virtuellen Kundgebung am 9. November 2020 im Hamburger Weidenviertel teil. Es waren für mich immer herzzerreißende Telefonat, da er sehr hilfsbereit war. Er bemühte sich, mir das Wissen und der Überblick zu vermitteln, in dem er auf andere Quellen verwies – und später immer nachfragte, ob ich mich informiert hätte.

Von 1939 bis 1941 lernte er Schlosser in der Werkschule in der Weidenallee 10b bzw. ein paar Wochen Beim Schlump 31, in der die Ausbildung verlegt werden musste, nach dem die Einrichtung im Gewerbehaus in der Weidenallee für ein Rüstungsbetrieb geschlossen werden musste. „Jeden Dienstag hatten wir Berufsschule in der Karolinenstraße“, erinnert er sich. Hiermit war die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstrassse 35 gemeint. Dort lernte er Esther Jonas kennen, beide verliebten sich. „Ich besuchte sie in ihrer Wohnung am Woldsensweg 5 und sie besuchte auch mich und meine Eltern in der Marienthalerstraße“ (57). Später musste die Familie von Esther ihren Wohnung im Woldsenweg verlassen und in einem sogenannte Judenhaus im Laufgraben 39 wohnen. Kurt besuchte sie auch hier. „Esther … erzählte mir später, dass ich sie einmal besucht und nachdem ich möchte verabschiedet hatte, wäre ich von der Straße noch einmal in ihr Zimmer gestiegen.“

Esther Jonas war die Tochter des letzten Schulleiters der Israelitischen Töchterschule in der Karolinenstraße 35, Dr. Alberto Jonas. Sie wurden am 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße 105 nach Theresienstadt deportiert. Dr. Alberto Jonas starb in Theresienstadt. „Esther … lebte mit ihrer Mutter noch einige Zeit in dem Ghetto, bevor sie und ihre Mutter … auf einen ‚Transport‘ gingen. Der ‚Abtransport‘ endete in Auschwitz. Ihre Mutter … wurde vergast, Esther kam mit einer Arbeitskolonne zu verschiedenen Orten, um schwere Arbeit zu verrichten. Der Krieg endete für Esther im KZ Mauthausen.“

Esther Jonas überlebte und zog später in die USA. In Eppendorf ist ein Platz nach ihrem Vater benannt. Die heutige Gedenk- und Bildungsstätte der Israelitischen Töchterschule trägt die Zusatzbezeichnung „Dr. Albert Jonas-Haus“, dafür hatte sich die 2016 verstorbene Esther Bauer eingesetzt.

Szenenwechsel

Am 1. April 1939 wurden die noch circa 600 Schülerinnen der Israelitischen Töchterschule in das Gebäude der Talmud Tora Schule am Grindelhof verlegt und mit der dortigen Jungenschule zusammengelegt. Später wurde die Thalmud-Thora Schule von den Nazis aufgelöst und deren Schüler und Schülerinnen wieder in die Karolinenstraße verlegt. Nach dem Beginn der Deportationen im Oktober 1941 besuchten im Dezember 1941 nur noch 76 Kinder die Schule. Am 15. Mai 1942 musste die Schule dann das Gebäude in der Karolinenstraße verlassen, sie zogen in den Papendamm 3. Nachdem am 30. Juni 1942 alle jüdischen Schulen im Deutschen Reich schließen mussten und der Unterricht für jüdische Kinder verboten worden war, wurden die meisten der Kinder und ihre Lehrer deportiert.

Bevor es zur Schließung der Israelitischen Töchterschule im Mai 1942 und folgenden Deportationen kam, wurde vom NS-Staat noch pro forma geprüft, ob die jüdische Schülerinnen und Schüler in andere Schule aufgenommen werden könnten. Angefragt wurde auch die damalige Volksschule Schanzenstraße. Am 15. April 1942 schrieb die amtierende Schulleiterin, Emma Lange, dass sie dem nicht zustimmen können. „Der unbestreitbare gute Ruf der alten Mädchenvolksschule würde mit einem Schlage gefährdet werden, wenn jüdische Kinder in dem Schulgebäude … untergebracht werden würden.“ Da einer Berührung der Schülerinnen unvermeidbar wäre, müsse „dieses enge Zusammensein ariescher Personen mit jüdischen Kinder. … als unhaltbar abgelehnt werden.“ Es käme auch zu „unliebsamen Unterredungen der jüdischen Schulleitung mit dem Schulleiter (Emma Lange!) und Hausmeister der Schule Schanzstraße.“Auch sei es nicht zumutbar, die Toiletten zusammen zu nutzen. „Eine derartig enge Berührung mit Jüdinnen… (sei) nicht statthaft.“ Weder sei es den „arieschen“ Schülern nicht zumutbar noch der Nachbarschaft.

Emma Lange war in der NSDAP und begeisterte Anhängerin der Nazis, sorgte mit für die Wissensvermittlung deren völkischen und rassistischen Ideologie unter den Lehrerinen und in der Schule. Sie wurde 1947 wieder in den Hamburger Schuldienst aufgenommen. Der Schulrat Fritz Köhne bescheinigte nach 1945 Nazi-Lehrer massenhaft „Persielscheine. Zu Emma Lange schrieb 1947: „Sie ist in jeder ist in jeder Beziehung ein Vorbild.“

Anlässlich ihrer Pensionierung 1957 schrieb Landesschulrat Ernst Matthewes: „Über 40 Jahre haben Sie Ihre Kraft und Ihre Liebe der Jugend geschenkt. Sie haben helle und dunkle Tage des Hamburger Schulwesens miterlebt, von dem Aufbruch neuer pädagogischer Kräfte über die Blütezeit des Schulwesens in Hamburg bis zu dem Niedergang unserer Schule. Und in den bitteren Tagen nach dem Zusammenbruch haben sie tapfer Hand angelegt, um die schlimmsten Folgen zu beseitigen helfen. Immer aber stand hinter Ihrem Wirken ein warmherziger, gütiger, aber auch ein kluger, umsichtiger Mensch. Ich darf es ihnen am Ende ihrer Dienstzeit sagen: Sie haben Kindern, Kollegen und Eltern sehr viel gegeben, und wir alle waren und sind sehr stolz auf Sie, denn Sie haben in ihrer bescheidenen und unauffälligen Lebensarbeit Pflichterfüllung und Menschlichkeit, sachliche Tüchtigkeit und Güte zu einer schönen Einheit gebracht.“

Der letzte Schulleiter der Israelitischen Töchterschule, Dr Alberto Jonas starb am 29. August 1942 in Ghetto von Theresienstadt. Marie Jonas wurde am 12. Oktober 1944 in Auschwitz ermordet.

Die Namen der Lehrerinnen und Schülerinnen der letzten Schulklasse aus 1942

Papendamm 3

Margarethe Altmann geb. Heppner 24.03.1896 Minsk 18.11.1941
Bela Anschlawski 02.10.1939 Auschwitz 11.07.1942
Esther Ascher 05.09.1928 Auschwitz 11.07.1942
Hannelore Ascher 03.01.1926 Auschwitz 11.07.1942
Ellen Ingrid Berger 17.12.1924 Auschwitz 11.07.1942
Hanni Bernstein 09.03.1928 Auschwitz 11.07.1942
Karl Heinz Bloch 09.02.1933 Auschwitz 11.07.1942
Hildegard Cohen 10.04.1900 Auschwitz 11.07.1942
Nathan Dan Croner 28.03.1939 Auschwitz 11.07.1942
Heinz Dessau 13.04.1930 Riga 06.12.1941
Zita Feldmann 01.11.1938 Auschwitz 11.07.1942
Jacob Fertig 16.01.1927 Auschwitz 11.07.1942
Hans Frost 10.07.1927 Minsk 18.11.1941
Alice Gramm 06.02.1908 Auschwitz 11.07.1942
Else Grunert geb. Mayer 20.09.1891 Auschwitz 11.07.1942
Julius Hamburger 23.11.1910 Auschwitz 11.07.1942
Oskar Helle 10.06.1933 Minsk 18.11.1941
Rebecca Hermannsen 28.01.1927 Lodz 25.10.1941
Julius Hermannsen 30.11.1930 Lodz 25.10.1941
Elchanan Jarecki 23.12.1936 Theresienstadt 19.07.1942
Bertha Kleve geb. Schlesinger 14.12.1889 Auschwitz 11.07.1942
Manfred Krauthamer 11.03.1928 Auschwitz 11.07.1942
Erwin Kopf 18.12.1932 Lodz 25.10.1941
Peter Kopf 09.06.1929 Lodz 25.10.1941
John Löw 01.05.1924 Riga 06.12.1941
Gerda Polak 20.07.1929 Auschwitz 11.07.1942
Inge Polak 11.11.1927 Auschwitz 11.07.1942
Erich Rosenberg 07.02.1924 Riga 06.12.1941
Regine Rothschild 05.12.1928 Auschwitz 11.07.1942
Mirjam Rothschild 17.08.1933 Auschwitz 11.07.1942
Rafael von der Walde 30.06.1932 Minsk 08.11.1941

Quelle: http://www.bahnhof-der-erinnerung-hamburg.de/Waisenhaeuser.pdf

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