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Holger Artus

Nazis auch nach 1945 in der Schule Schanzenstraße in Verantwortung

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Die Frage einer ehemaligen Schülerin der Volksschule Schanzenstraße vor ein paar Wochen lässt mich nicht in Ruhe. Warum, so ihr Frage, haben sie als Schüler/innen, die 1946 eingeschult wurden, von all dem, ob die Deportation der jüdischen Menschen im Juli 1942 oder der Zwangsarbeitslager bis 1945 nichts erfahren?

Da ich in diese Zeit nicht miterlebt habe, kann ich es aus eigener Erfahrung nicht beantworten. Aber ein Grund ist für mich offensichtlich: Nach der Befreiung Deutschland von der Barbarei gab es keinen Bruch in der Geschichte. In der Schule Schanzenstraße gab es keine „Stunde Null“, sondern es gab die alte Kontinuität, unter anderen politischen Vorzeichen. Plötzlich waren Lehrer zwar in der NSDAP, aber mit den Nazis hatte man nichts gemein. Es ging um die Schüler und Schülerinnen, denen man Bildung vermitteln wollte …

Schaut man auf die Schulleitungen bis 1982, so darf man m.E. sagen, dass hier Nazis Verantwortung hatten. Von ihnen wurde die Geschichte der Schule in der NS-Zeit verschwiegen, verschleiert und verstellt.

Die beiden Schulleiterinnen hatten es über ein rechtes Netzwerk nach 1945 geschafft, sich im Schuldienst wieder fest zu verankern. Für diese Nazis ist heute kein Platz in einer Schule. Doch nach 1945 war das leider anders. Ihnen lag nichts an der Aufklärung der NS-Geschichte.

Erst mit dem Schulleiter ab 1983, Jürgen Seemann, änderte sich alles. Er sorgte für eine politische Aufklärung der NS-Zeit der Schule, soweit es nach der langen Zeit noch möglich war. 1985 wurde die Gedenktafel an die beiden Deportationen nach Theresienstadt über den Schulhof 1942 am Schulgebäude angebracht.

Leichtfüßig spricht man gerne von „Mitläufern“, um sich selber das Argument zu geben, wie sollte es mit den 10 Prozent der Hamburger weitergehen, die in der NSDAP waren? Ich würde dieses Linie nach dem jüngsten Buch von Prof. Jürgen Falter, „Hitlers Parteigenossen“, nicht mehr verwenden wollen, das Argument der „Mitläufer“. Die NSDAP war kein „Karriere-Netzwerk“, in dem man durch eine Mitgliedschaft seine Vorteile erschlossen hätte. Das war nicht der Zweck dieser Terror-Organisation, so war sie nicht aufgestellt.

Nazis waren nicht nur Schulleiterinnen, sie waren auch als Lehrkräfte nach 1945 an der Schule Schanzenstraße tätig.

Insofern ist eine Antwort für mich, warum die Schülerinnen und Schüler nach 1946 nicht aufgeklärt wurden oder sich die Schule als Ganzes in den ersten Jahren nach 1946 nicht damit beschäftigte, anfassbarer. Klar, dass man den gesamten Prozess nach 1945 im Blick behalten muss. Den blende ich hier aber einmal aus.

Emma Lange, NSDAP und Schulleiterin von 1943 bis 1957

Emma Lange war am 2. November 1891 in Hamburg geboren. Sie wurde 1932 Schulleiterin der Mädchenschule Schanzenstraße 105, nach dem der amtierende in Rente gegangen war. Damals waren mit Emma Lange zwölf Lehrerinnen und drei Lehrer im Kollegium der Schule. Mit der Machtübernahme der NSDAP 1933 wurde ein neuer Schulleiter bestellt. Sie wurde aber während des Krieges 1943 wieder zur Schulleiterin berufen, die sie faktisch seit 1942 ausübte, da der Schulleiter zur Wehrmacht eingezogen worden war.

Emma Lange war in der NS-Zeit Gauverantwortliche für Mädchenerziehung im faschistischen Lehrerverband, NSLB in Hamburg und einige Jahre Mitarbeiterin der Reichszeitung (NS-Mädchenerziehung). Sie war seit dem 1. Mai 1933 Mitglied des NSLB, in der NS-Frauenschaft ab dem 1.Juni 1934, in der Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV)  war sie seit 1934. Am 1. Mai 1937 trat sie in die NSDAP ein. Von Mai 1933 bis April 1937 gab es ein Aufnahmestopp für die NSDAP. Am 20. April 1937 wurde eine Lockerung beschlossen. Es sollten die Personen aufgenommen werden, „die durch ihre Haltung und Betätigung in den Jahren seit der Machtübernahme des Führers eine Anwartschaft auf Aufnahmen in die NSDAP erworben haben.“ Weiter hieß es in der Anordnung, dass die „Verpflichtung besteht, in jedem Fall das Aufnahmegesuch jedes Volksgenossen darauf zu prüfen, ob er nach seiner politischen Zuverlässigkeit, nach seiner charakterlichen Haltung und nach seiner weltanschaulichen Gesinnung geeignet ist, in die politische Gemeinschaft der Partei berufen zu werden.“(Jürgen Falter, Hitlers Parteigenossen). Das Emma Lange unmittelbar nach der Aufhebung in die Nazi-Partei ihre Mitgliedschaft beantragte, sagt sehr viel über ihren Charakter aus. Keiner hatte sie dazu gezwungen.

Emma Lange war auch seit 1933 mit „Einzelvorträgen im Rahmen der Lehrerfortbildung und in Schulungslehrgängen auch in der Lehrerinnenfortbildung“ aktiv. So schrieb sie in ihrer Gauverantwortlichen Funktion für die Mädchenerziehung im NSLB 1936 in der Hamburger Lehrerzeitung (HLZ) „Die neue Mädchenerziehung steht vor der Aufgabe, echtes Frauentum, auf das allein die Pflichten der Frau im Volke und in der Familie gestellt sind, zu bilden. In den Hamburger Volksschulen für Mädchen zeigt sich heute viel ernstes Mühen, durch Erziehung zu rassisch-völkischem Denken und Handeln den Sinn für Rassereinheit schon mit der heutigen Jugend tief in der Volksseele zu verankern. Aus der Verbindung der Schule mit den feierlichen Anlässen an den großen Tagen der Nation und aus den vielen kleinen stimmungsvollen Volkstumsfeierstunden erwächst ein Wachsein für viele Frauen unseres Volkes, eine langsame Vertiefung nationaler Gesinnung. Vielerlei praktische Versuche beweisen den ernsten Willen, alles Werkschaffen der Mädchen in der Volksschule so auszurichten, daß schon hier die Grundlage für eine gesunde Entwicklung hausmütterlicher Fähigkeiten vorbereitet werde; es soll Untüchtigkeit der Frauen bei den ihnen allen gemeinsamen Aufgaben mehr und mehr ausgeschaltet werden.“

Im April 1942 war sie an der Ablehnung der Übernahme von Schülerinnen und Schüler aus der Israelitischen Töchterschule aus der Carolinenstraße beteiligt. Mit üblen antisemitischen Argumente wurden deren Aufnahme in die Schule Schanzenstraße verweigert. Im September 1943, immer noch in Stellvertretung des Schulleiters, bescheinigt sie einem Lehrer: „Seinen Schülerinnen war ein gütiger Lehrer, der sich eifrig bemüht hat, die Mädchen im besten Sinne der nationalistischen Weltanschauung zu fördern.“ Schaut man sich die Vita der betreffenden Person an, dem das „gütige“ bescheinigt wurde, so war er ein fanatischer Nazi und wiederholter Delegierter zu NSDAP-Parteitagen.

Ingrid Möller, NSDAP und Schulleiterin von 1957 bis 1982

1957 folgte Ingrid Möller Emma Lange in der Funktion der Schulleiterin. Hans-Peter de Lorent schreibt in seinem Buch „Täterprofile“: „Ein ungewöhnlicher Fall ist die Geschichte von Ingrid Möller, die, Jahrgang 1920, in Hamburg zur Schule ging, nach kurzem Studium die erste Lehrerprüfung ablegte und dann bis Ende April 1945 als BDM-Führerin tätig war, zum Schluss als Bannmädelführerin. Nach dem Krieg war sie deswegen fast ein Jahr im Lager Staumühle bei Paderborn interniert.“

Ingrid Möller wurde am 12.4.1920 in Altona geboren. Sie besuchte dort von 1926 bis 1930 die Grundschule der 5. Mädchen-Volksschule, wechselte danach bis 1936 auf das Oberlyzeum Altona und legt an der Frauenschule Altona 1938 die Reifeprüfung. Am 1. Juli 7.1933 war sie in die HJ (BDM) eingetreten. Während ihres Studiums vom 1.Mai. 1939 bis zum 1. Oktober 1940 war sie Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes und am 1. September 1939 trat sie in die NSDAP war. Sie studierte von April 1939 bis zum 2. Oktober 1940 an der Hochschule für Lehrerbildung und schloss die erste Prüfung für das Lehramt an Volksschulen mit „gut“ ab. Ingrid Möller war 24 Jahre alt, als sie 1944 zur Bannmädelführerin befördert wurde. Damit befand sie sich auf der sechsten Hierarchieebene des BDM, im Ranggefüge mit der Wehrmacht verglichen, rangierte sie auf der Stufe eines Oberst.

Ingrid Möller hatte ihre Ausbildung als Lehrerin 1940 noch nicht beendet. Sie stellte Ende April 1945 den Antrag als Amtsanwärterin in den Hamburger Schuldienst. Da die Schulen noch geschlossen waren, arbeitete Ingrid Möller im Sommer 1945 auf eigenen Wunsch als Hilfsschwester im staatlichen Krankenhaus Langenhorn. Inzwischen hatte sie ihren Entnazifizierungsfragebogen abgegeben: „Nach Ausfüllung meines Fragebogens im Juni 1945 riet mir Herr Schulrat Schmidt, dessen Schulkreis ich damals zugeteilt worden war, meine Kündigung bei der Hamburger Schulverwaltung einzureichen, da ich sonst eventuell mit einer Kündigung von Seiten der Schulverwaltung zu rechnen hätte. So schied ich zum 1.8.1945 aus.“ Diese Menschen wussten schnell, wie sie täuschen und lügen mussten, um bei der Entnazifizierung in eine Kategorie zu gelangen, damit sie wieder im Staatsdienst arbeiten können. Gegenseitig gaben sich Lehrer und Lehrerinnen u.a. eine Art „Persilschein“.

Im Herbst 1945 bat sie um die Genehmigung, am Sonderlehrgang für Junglehrerinnen in Hamburg teilnehmen zu dürfen, so dass sie im Winter 1945 die Vorlesungen und Übungen dieses Lehrganges besuchen konnte.

Im Rahmen ihrer ersten Überprüfung ihrer NS-Vergangenheit im Sommer 1945 versuchte sie noch, zu täuschen. So erklärte sie: „Da ich im April 1945 in Hamburg keine Einsatzmöglichkeiten für mich bestanden, bekam ich die Anweisung, mich in einer Langenhorner Kaserne zu einem dort laufenden Frauen- und Mädellehrgang zu melden.“ Dazu vermerkte die britische Militärregierung am 29. Januar 1946 über Ingrid Möller: Sie war „war von 1942–1943 Bannmädelführerin in Wilhelmshaven. 1943 wurde ihr die Leitung der BDM-Führerinnen-Schule in Lesum bei Bremen übertragen, wo sie persönlich die weltanschauliche Schulung durchführte. Später besuchte sie eine Sabotageschule in Langenhorn, die unter Leitung der SS stand. Der Ausbildungsplan umfaßte auch Ausbildung der BDM-Angehörigen zur Arbeit in Kasernen der Alliierten, um dort Nachrichten über Truppenbewegungen zu erlangen, und Arbeit in alliierten Küchen und Kasinos, um dort das Essen zu vergiften.“

Sie wurde aber aus dem Lehrgang entlassen, mit der Begründung, „am Wehrwolf beteiligt zu sein“. Die Organisation „Wehrwolf“ (meistens Werwolf geschrieben) war eine nationalsozialistische Freischärler- bzw. Untergrundbewegung am Ende des Zweiten Weltkrieges, die im September 1944 von SS-Reichsführer Heinrich Himmler ins Leben gerufen worden war. Kommandos des Werwolf verübten vereinzelte Brandstiftungen und Sabotageakte und richteten sich in den letzten Kriegswochen vor allem gegen Deserteure und kriegsmüde Deutsche. Durch einen Rundfunkappell des „Sender Werwolf“ wurde diese Bewegung am 1. April 1945 als angeblich „spontane Untergrundbewegung“ der deutschen Bevölkerung in den besetzten Gebieten des Reiches bekannt gemacht: „Haß ist unser Gebet und Rache unser Feldgeschrei.“

Am 22. August 1947 bewarb sie sich wieder um eine Wiedereinstellung in den Schuldienst und bekam auch durch Nazi-Leumundschaft die Entnazifizierungsstufe IV. Ingrid Möller absolvierte den zweiten Teil ihrer Lehrerausbildung an der Schule Schanzenstraße 105, an der die ehemalige NSLB-Gauverantwortliche für die Mädchenerziehung, Emma Lange, Schulleiterin war.

Zum 75. Gründungstag der Schule Schanzenstraße 1959 zeigte das ehemalige NSDAP-Mitglied, Ingrid Möller und Schulleiterin, wie sie zur NS-Zeit der Schule stand. „Das handschriftliche Redemanuskript von Ingrid Möller ist erhalten geblieben“, schreibt Hans-Peter de Lorent. Die Nazi-Geschichte der Schule wird hier überhaupt nicht erwähnt.

Die NS-Zeit wird von ihr als eine „Leid-Geschichte“ dargestellt. „Leid“ im Sinne, dass die Schule durch die Alliierten Angriffe zerstört wurde ab 1943. Obwohl sie 1946 nicht im Schuldienst war, hetzte sie noch 1959 gegen die italienische Militärinternierten, die damals zur Arbeit gezwungen, misshandelt, ermordet wurden. „Als … im Sommer 1946 der Unterricht wieder aufgenommen wurde, war das Haus durch die vorhergegangene Belegung durch italienische Soldaten … vorerst nicht für Schulzwecke zu gebrauchen.“ Im Juli 1945 waren alle italienischen Militärinternierten bereits nach Italien zurück transportiert worden. 1946 war Ingrid Möller allerdings für ihrer Nazi-Täterschaft verhaftet worden.

Weitere NSDAP-Lehrer in der Schule Schanzenstraße nach 1945

Als Emma Lange 1957 in den Ruhestand trat, wurde Ingrid Möller ihre Nachfolgerin als Schulleiterin und blieb dies über 25 Jahre bis zum Sommer 1982. Heute wird einem Speiübel, wenn man sich vor Augen führt, dass zum Zeitpunkt der Bestellung von Ingrid Möller, es eine NS durchsetzte Lehrerschaft gab, die sie 1957 als Schulleiterin unterstützte.

Sie war in ein Kollegium einer Mädchenschule geraten, mit der ihr zugewandten Emma Lange als Schulleiterin, 18 anderen Kolleginnen und sechs Männern, die deutlich älter waren und eine NS-Vergangenheit hatten, die ihnen bei der Entnazifizierung Schwierigkeiten bereitet hatte. So etwa Alfred Lübkert, der vertretungsweise die Schule geleitet hatte, Jahrgang 1901, war NSLB-Mitglied seit 1933, in der NSDAP seit 1937. Dann war da noch Johannes Lorenz, Jahrgang 1903, der auch NSDAP-Mitglied seit 1937 war, im NSLB seit dem 1.5.1933, Zellenleiter und Blockwart im Reichsluftschutzbund. Hans Ohrt, Jahrgang 1912, in der NSDAP ebenfalls seit dem 1.5.1937, im NSLB seit 1933, der an der Schule Eppendorfer Weg 65 nach seinen Angaben „als jüngstes Mitglied des Kollegiums seinerzeit aufgefordert worden war, das Amt des Schulwalters des NSLB zu übernehmen“, wie die Funktion der Verbindungsperson der Schule zum NSLB genannt wurde. Oder Johannes Kollath, Jahrgang 1908, der 1937 aus Danzig nach Hamburg gekommen war, Mitglied in der NSDAP seit 1938 und im NSLB seit 1936. … Schließlich noch Tjard Carstens, der in Ingrid Möllers Amtszeit als stellvertretender Schulleiter fungierte. Carstens, Jahrgang 1902, war schon in der NS-Zeit stellvertretender Schulleiter an der Schule, im NSLB Mitglied seit 1933, Schulwalter seit 1939, in die NSDAP am 1.5.1940 eingetreten.

Hans-Peter de Lorent kommentiert diese Sachlage in seinem Buch „Täterprofile“ so: „Bei der geschilderten Zusammensetzung des Kollegiums überrascht die Blitzkarriere von Ingrid Möller nicht mehr. Von 21 anwesenden Mitgliedern des Kollegiums stimmten 18 für Ingrid Möller als neue Schulleiterin, bei drei Stimmenenthaltungen. Auch die Elternratsvertreter sprachen sich für sie aus.

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