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Holger Artus

Keine NS-Opfergruppen gegeneinander ausspielen

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Bei der Umsetzung unserer Erinnerungsaktivität anlässlich der November-Pogrome 1938 im Hamburger „Weidenviertel“ war ein Stadtteilrundgang und eine Abschlusskundgebung am 9. November 2020 vor der Weidenallee 10b geplant. Die Präsenzveranstaltung „Stadtreilrundgang“ und „Kundgebung“ hatten wir zehn Tage vor dem 9. November 2020 in den virtuellen Raum verlegt. 

Ärgerlich waren zwei politisch motivierte Absagen von Rednern/in am Rundgang bzw. unser Kundgebung aus dem Spektrum der DKP und Die Linke, die aber nichts mit dem Anlass, sondern der Verlagerung ins Netz zu tun gehabt haben dürften. Beide hatten mit großer Sympathie auf meine Anfrage, auf dem Rundgang/Kundgebung zu sprechen, zugesagt. Auf Grund der Absage einer Mitarbeiterin der Gedenkstätte Ernst Thälmann, konnte es keine Station am Stolperstein von Helene Heykendorf geben, einer Kommunistin, die im April 1945 im KZ Neuengamme ermordet wurde. Mein Versuch, einen Verwandten auf die schnelle zu gewinnen, scheiterte in einer ersten Runde, aber jetzt sind wir in Kontakt.

Seit Wochen hatten wir Zeitzeugen aus der damaligen jüdischen Ausbildungswerkstatt und Angehörige von NS-Opfer aus unserem Wohngebiet gewonnen für diesen Rundgang und die Kundgebung. Es war vorgesehen, sie per Video live an die Mauer des Gewerbehauses zu projizieren.

Da unsere Aktivitäten immer darauf zielen, der unmittelbaren Nachbarschaft ein Angebot neben der Aufklärung zur Teilnahme zu bieten, war die  Verlagerung ins  Netz keine leichte Entscheidung, da es m.E. um die Abwägung von zwei zusätzlichen Barrieren ging. Eine öffentliche Aktivität hätte Nachbarn wegen der Corona Lage womöglich abgehalten, vor die Tür beim Stadtteilrundgang zu kommen. Eine virtuelle Veranstaltung warf die Frage der Zugangsbarrieren mittels Technik auf. An dem Bewerbungskonzept im Viertel haben wir festgehalten und in in allen Straßenzüge öffentlich geworben.  Das am virtuellen Rundgang 84 Personen teilgenommen hatten, lag außerhalb unser Erwartungshaltung. Für die öffentliche Kundgebung hatten wir mit weniger gerechnet. 

Das wir unsere Aktivität ins Netz verlagerten, war einer Mitarbeiterin der Gedenkstätte Ernst Thälmann Anlass für ihre Absage. Sie warf uns zu viel „Tamtam“ vor, wo in Athen Hunderttausende mit Abstand und Maske auf die Straße gegangen waren. Die Botschaft kann man so interpretieren, dass wir bei der sehr kleinteiligen und nachbarschaftsbezogenen Aktivität vor der Öffentlichkeit kneifen, wobei man bei 10, 20, 30, 40 …. Personen doch keinen Schiss haben müsste. Diese Meinung kann ich verstehen, man kann darüber reden, aber seine Teilnahme, hier Unterstützung eines Stadtteilrundgangs deswegen abzusagen, dass ist etwas anderes, vom unsolidarischen Verhalten einmal ganz abzusehen, wo einen das Thema eint. Ein weiterer Punkt in der Debatte um das Gesamt-Konzept des Vorgehens – wir wollten mit dem Zwangsarbeitslager in der Schule Schanzenstraße aussteigen –  war der Vorwurf, dass wir mit der Erinnerung an die italienischen Militärinternierten z.B. im September 2020 im Kontorhausviertel und der geplanten Verlegung einer Stolperschwelle im Februar 2021  „Faschisten“ unterstützen. 

Meine Argumentation überzeugte nicht: Mit dem Austritt Italiens aus dem Militärbündnis mit Deutschland und der folgenden Kriegserklärung, dem vorausgegangenen Sturz Mussollini im Jahre 1943, wäre dort eine neue Lage entstanden, die einer neuen Bewertung bedürfte. Militärisch richtete Italien die Waffen gegen den ehemaligen Verbündeten. Diese Änderung der Bedingungen zu ignorieren bei der politische Bewertung der der damalige Lage, setzt schon viel Unvermögen voraus. Auch die Tatsache zu ignorieren, dass übergroße Mehrheiten der italienischen Armee nicht bereit waren, in die deutschen Wehrmacht einzutreten, war eine Haltung von Kriegsmüdigkeit und seiner Ablehnung. Tausende italienische Soldaten wurden von den deutschen Wehrmacht damals vor Ort ermordet. 

Das gerade von einer Mitarbeiterin einer „Gedenkstätte“ der Ansatz betrieben wird, NS-Opfer gegeneinander auszuspielen, indem man bestimmte Opfergruppem nicht als NS-Opfer ansieht, sondern zu Faschisten erklärt, ist voll daneben. Durch diese Positionierung stelle man sich auch gegen die heutige Forderung der politischen Linken, dass es zu einer Entschädigung auch der ehemaligen italienischen NS-Opfer und Militärinternierten kommen soll. 

Viele der italienischen Soldaten wurde nach 1943 im KZ Neuengamme festgesetzt. Fast 100 von ihnen wurde hier ermordet. Allein dieses Situation mach den Ansatz des gegeneinander ausspielen von NS-Opfergruppen noch absurder . In der Sternwoll-Spinnerei in Hamburg-Othmarschen erinnert seit 2013 eine Wandskulptur an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der damaligen Fabrik, die Granaten produzierte. Hier waren auch 29 Italiener in dem bewachten Lager, aber vor allem Menschen aus der Sowjetunion. Sollte ich jetzt nur der „Guten“ erinnern? Und was heißt denn „Gute“, wurde doch den sowjetischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in einigen Fällen nach ihrer Rückkehr in die Heimat alles genommen, da sie als Kollaborateure angesehen wurden. An alle NS-Opfergruppen  erinnert die Skulptur und ich lege regelmäßig Blumen für sie hier nieder. Allerdings werde jetzt versuchen, ihre Namen und ihren Status zu klären, um auch diese Geschichte fortschreiben zu können.

Ich werde mich durch diese schon üble Haltung der Spaltung, nicht davon abhalten lassen, anlässlich eines Besuch der Nationalen Vereinigung der italienischen Militärinternierten, ANEI, im Februar 2021, eine Kundgebung vor der Ganztagsgrundschule Sternschanze durchzuführen. Erinnert werden soll an das dortige Zwangsarbeitslager in der Schule von 1943 bis 1945. Hier waren italienische Militärinternierte, Kriegsgefangenen aus den Niederlanden und Belgien sowie Dänemark untergebracht. Die Geschichte, dass die die dortige Schulleiterin in den 1950er Jahren die italienischen Soldaten als Verursacher des schlechten Zustandes des Gebäudes vor dem Neubeginn 1946 machte, während sie selber damals Mitglied einer NS-Terrororganisation 1944/1945  war, muss m.E. auch erzählt werden. 

Heute ist die Geschichte der Schule in der NS-Zeit und dem schwierigen Neubeginn noch nicht im öffentlichen Fokus im Stadtteil. Das will ich gerne versuchen, ohne die NS-Opfergruppen zu selektieren oder auszuschließen, nicht die über 1.700 jüdischen Menschen, die 1942 über den Schulhof  nach Theresienstadt deportiert wurden oder den 240 italienischen Militärinternierten, die im Juni 1945 nach Italien zurückkehrten. Die Gedenkstätte Ernst Thälmann Gedenkstätte werden wir sicher auch einladen. Ganz klar ist noch nicht, ob wir wegen der Corona-Pandemie nicht wieder ins Netz müssen.

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