Die „Valvo Röhrenfabrik“ unterhielt in der NS-Zeit in Hamburg Zwangsarbeitslager an verschiedenen Standorten in Eimsbüttel und Lokstedt,. Eines war in der Schule Schwenckestraße 93. Hier sind 75 Namen von Zwangsarbeiterinnen, darunter 67 Niederländerinnen und acht polnische Frauen belegt.





Die niederländischen Frauen kamen zwischen dem 2. November 1944 und dem 29. Januar 1945 in das Lager in der Schule Schwenckestraße 93. Die meisten von ihnen stammten aus dem Lager in der Schule Laeiszstraße im Karolinenviertel.
Einzelne kamen aus Lüneburg, Fallingbostel, Gifhorn, Celle und anderen Orten in Niedersachsen. Vermutlich mussten sie im Produktionsstandort der Valvo Röhrenfabrik (Philips) in der Stresemannallee 101 arbeiten.
Über die Volksschule in der Schwenckestraße 91

Die Volksschule in der Schwenckestraße 91/93 wurde 1890-1892 gebaut. In der Nummer 91 wurde eine „Knaben“-, in der Nummer 93 eine „Mädchen-Volksschule“ eingerichtet. 1932 wurde aus der „Knaben-Schule“ in der Schwenckestraße eine sogenannten Hilfsschule, die im Juli 1943 zerstört wurde. Die „Mädchen-Volksschule Schwenckestraße 93“ konnte vor den Flammen geschützt wurden. Zeitweilig lebten obdachlose Menschen aus Hamburg in der Schule. Belegt ist, dass seit November 1944 bis Mai 1945 NS-Zwangsarbeiterinnen leben mussten. Die zerstörte Schule in der „91“ wurde nicht wieder aufgebaut.
Zwangsarbeitslager in der Schule Schwenckestraße 98

In der ehemaligen „Mädchen Volksschule Schwenckestraße 98“, die in unmittelbare Sichtweite der „Mädchen-Volksschule Schwenckestraße 93“ liegt, war seit Oktober 1943 ein Zwangsarbeitslager für 270 italienische Militärinternierte (italienische Soldaten, die im September 1943 von der Wehrmacht gefangenen genommen wurden).
Vor Juli 1943 waren fast 200 Niederländer als Zwangsarbeiter bei Valvo beschäftigt
Bis zum Bombardement Hamburgs durch die Alliierten im Juli 1943 waren bereits fast 200 Niederländer bei Valvo beschäftigt, die aber danach nicht mehr in Hamburg blieben. Deren Lager war in der Vogt-Kölln-Straße. Aus einzelnen Bewegungen ergibt sich, dass sie nicht direkt aus den Niederlanden kamen, sondern schon länger in verschiedenen Unternehmen nach der Besetzung ihrer Heimat durch die Wehrmacht im April 1940 in Deutschland arbeiteten. Zu dem Zeitpunkt ihrer Arbeitsaufnahme galt in den Niederlanden die so genannte Dienstpflicht, sie mussten vermittelt über das deutsche Arbeitsamt in den zugewiesenen Unternehmen arbeiten.
Über 1.000 Zwangsarbeiter:innen wurden bei Valvo eingesetzt

Valvo benötigte Arbeitskräfte für die Rüstungsproduktion, zum einen weil in Teilen die deutsche Belegschaft zur Wehrmacht mussten, zum anderen, um die Produktionsziele zu erreichen.
Aus den vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass bei Philips Valvo 680 Frauen aus der damaligen Sowjetunion und 290 Männer und Frauen aus den Niederlanden als Zwangsarbeiterinnen eingesetzt wurden. Neuere Recherchen ergaben, dass Valvo insgesamt 20 polnische Frauen beschäftigte, die jedoch zu einem anderen Zeitpunkt eingesetzt wurden und in einem Lager im Falkenried untergebracht waren.

Die Lager für die Menschen war in der Vogt-Kölln-Straße, mehrere in der Stresemannallee, im Falkenried und der Schule Schwenckestraße 93. Gegenüber dem Fabrikgelände in der Stresemannalle wurden Ende 1942/1943 vier Holzbaracken für 680 Frauen aus der damaligen Sowjetunion errichtet. Der Zugang zu den Baracken erfolgte über den Clematisweg. Seit Ende 2022 steht an der Stresemannallee / Ecke Clematisweg in Lokstedt eine Gedenkstele. Sie erinnert an 140 Zwangsarbeiterinnen, die sogenannten „Valvo-Frauen“, die hier Juni 1944 ums Leben kamen.

Gertrud Meyer, die während der NS-Zeit bei Valvo arbeitete, schrieb später über den Einsatz der sowjetischen Frauen Ende 1942/1943: „In den letzten Monaten des Jahres 1942 brachte der Meister …, nach längerer Abwesenheit, eine Gruppe junger Frauen und Mädchen mit, die er von einer ‚ertragreichen‘ Reise in die Ukraine ‚organisiert‘ hatte. Sie kamen meistens aus dem Gebiet von Dnjepropetrowsk. Es waren Studentinnen, junge Lehrerinnen, Ärztinnen und Arbeiterinnen. Eines der jungen Mädchen berichtete später: ‚Nachdem die SS alles niedergewalzt und unsere Angehörigen ermordet hatte, trieben sie uns wie Vieh mit Waffengewalt in die Waggons.‘ Solche Reisen zur Eintreibung von Zwangsarbeitern wiederholten sich noch mehrere Male.“
2003 waren ehemalige Zwangsarbeiterinnen in Hamburg zu Gast. Janina Stephanowna Wojtechowskaja sagte: „Das sind schreckliche Erinnerungen. Das schlimmste war, dass wir immer Hunger hatten. Ich konnte arbeiten, das machte mir nichts aus. (…) Der ewige Hunger machte mir viel aus.“ Eine weitere Zeitzeugin, Olga Zikun aus Weißrussland, war 15 Jahre alt, als sie an Pfingsten 1944 ihrer Familie entrissen und nach Hamburg verschleppt wurde. Zuvor war ihr Heimatdorf von der deutschen Wehrmacht niedergebrannt worden. Vor dem Abtransport wurden ihr und den anderen Frauen die Kopf-, Scham- und Achselhaare abrasiert. Der Transport erfolgte in Viehwaggons, in denen die Frauen während der einwöchigen Fahrt auf Stroh lagen. Als Verpflegung erhielten sie lediglich eine dünne Brühe, die sie aus verrosteten Konservendosen, die sie neben den Bahngleisen eingesammelt hatten, löffelten.
Über die Valvo Röhrenfabrik

Die „Radioröhrenfabrik GmbH Hamburg (RRF)“ entwickelte sich aus der Firma CHF Müller (Röntgenmüller) in der Hammerbrookstraße 93 in Hamburg. Ab 1924 begann die Produktion von Empfängerröhren in größeren Stückzahlen in der Abteilung „Radio“ bei Röntgenmüller. Diese Abteilung wurde als „Radioröhrenfabrik GmbH Hamburg (RRF)“ ausgegliedert und als eigenständige GmbH weitergeführt. 1926 wurde für die bei der RRF gefertigten Röhren der Handelsname „VALVO“ eingeführt, und 1927 folgte das VALVO-Zeichen.
1927 wurde CHF Müller, einschließlich der Radioröhrenfabrik, vom niederländischen Philips-Konzern übernommen. Von Ende 1927 bis Mitte 1928 bezog die Radioröhrenfabrik ihr neues Fabrikgelände in Hamburg-Lokstedt. Der Firmenname der Fabrik in Lokstedt wurde 1942 in „Philips Valvo-Werke GmbH, Zweigniederlassung Hamburg“ geändert. Mitte 1975 wurde im Werk in Lokstedt, in dem inzwischen die Halbleiterfertigung eingezogen war, die letzte Empfängerröhre (PL 504) gefertigt, und das Werk wurde in „VALVO Röhren- und Halbleiterwerke der PHILIPS GmbH (RHW)“ umbenannt. Nach dem Verkauf der gesamten Halbleitersparte von Philips Semiconductors im Jahr 2006 an eine Investorengruppe gehört das Werk in Lokstedt seit 2019 zu nexperia (NXP).