Ansichten

Holger Artus

Stationen eines Besuchsprogramms in Hamburg

Die Tochter von Ella Michel, Eliane Mayer aus Buenos Aires, besuchte auf Einladung Anfang Juli 2024 zusammen mit ihrem Partner Hamburg. Ihre Mutter wurde 1943 nach Terezin deportiert, 1944 nach Auschwitz und überlebte Bergen-Belsen. Sie arbeitete als Krankenschwester von 1938 bis 1943 im Israelitischen Krankenhaus.

Ella Michel war nach 1945 nie wieder in Hamburg. Sie emigrierte 1946 nach ihrer Befreiung im KZ Bergen-Belsen nach Südamerika. Bis zu ihrem Tod 2013 hatte sie in Brasilien ihre Liebe und Heimat gefunden.

Die erste Besuchsstation war die Schäferkampsallee 29, einem Standort der IK seit September 1942. Es war der letzten Arbeitsort von Ella in Hamburg. Die Nachbarschaft war vorher über den Besuch informiert und eingeladen worden. Zu meiner Freude fanden sich einige ein. Es kam zu einem längeren und angeregtem Austausch.

Die zweite Station war der historische Ort des IK in der Simon-von-Utrecht-Straße 4. Gunhild Ohl-Hinz vom St. Pauli-Archiv begrüßte die beiden und erzählte ihnen über die Geschichte des IK. Eine längere Debatte gab es über das Schwesternheim, dessen Gebäude nicht mehr besteht, da Ella hier seit 1938 gelebt hat. Gunhild erzählte u.a. über ihre Ausstellung gegenüber dem Gebäude anlässlich des 180. Jahrestages der Inbetriebnahme des IK. An Hand von Bilder vermittelte sie den beiden ein Blick zu den historischen Zuständen der Gebäude. Sie erzählte den Raubkauf der IK durch die Stadt Hamburg 1938/1939.

Wir besichtigten ehemalige Räume der Chirurgischen Klink des IK von 1929 und besuchten spontan die VVN Hamburg, deren Räume im Erweiterungsbau von 1929 sind. Hier kam es zur einer unerwarteten Begegnung von zwei Ärztinnen kam, deren Mütter von den Nazi verfolgt wurden.

Am Denk.mal des Hannoverschen Bahnhof kam es zu einem berührenden Austausch mit Johanna Schmied und dem Team der KZ-Gedenkstätte Neuengamme für den Gedenkort in der Hafencity.

Sie erzählten über die Geschichte des Deportationsbahnhof seit 1940 und gaben einen Ausblick zum künftigen Doku-Zentrum „Hannoverscher Bahnhof“, dass 2027 fertig sein soll. Bei aller Traurigkeit des Ortes kam es zum Austausch über das Leben von Ella Michel nach der Befreiung 1945 und ihr Leben in Brasilien.

Ein Besuch des Israelitischen Krankenhauses Hamburg (IKH) im Orchideenstieg war ein weiterer Termin des Besuchs von Eliane Mayer in Hamburg. Silvia Kalender von der Unternehmenskommunikation des IKH führte die Gäste durchs Haus. An verschiedenen Stationen ging sie auf die Geschichte des Krankenhaus ein. Sie informierte über die heutige Ausrichtung und die Werte des Unternehmens. Die Gäste waren sehr angetan von den Leistungen der IKH.

Vor der Erinnerungstafel an das Personal der in der NS-Zeit gab es einen Austausch über die aufgeführten Namen wie der von Frieda Spiess, einer Krankenschwester. In den Unterlagen der Familie befinden sich einige Briefe vom ihr an Ella auf 1946 und 1962. Dr. Erich Wolfsohn war ebenfalls Thema, da es ebenfalls ein Briefwechsel mit ihm und Ella gab.

Eine andere Station des Besuch war das Hamburger Rathaus, zu dem Gabi Dobusch, Vorsitzende des Kulturausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft, die gesamte Familie Mayer/Magnus eingeladen hatte. 

Dr. Sebastian Justke, Referatsleiter Erinnerungskultur in der Kulturbehörde und Eva Jakobeit nahmen daran teil. Neben den wertschätzenden Worten für Ella Michel und den Angehörigen, der Betonung der Verantwortung für die Erinnerungsarbeit der Stadt Hamburg und des Parlaments, waren auch tagesaktuelle Themen Gegenstand. Ich habe mit großen Aufmerksamkeit den Ausführungen von Justke und Jakobeit zu gehört. Es war eine sehr tolle Zuwendung an die Tochter von Ella Michel. Ich bin mit einem guten Gefühl aus dem Gespräch gekommen. Gabi Dobusch nahm sich auch die Zeit, mit jedem der Familie zu sprechen.

Am Abend hatte Eliane Mayer in Anwesenheit ihrer gesamten Familie auf der Erinnerungskundgebung zur Deportation über unsere Schule im Juli 1942 gesprochen. Ihr Sohn, Ariel Magnus, sprach über seine Gespräche mit seiner Großmutter, Ella Michel, die er in seinem Buch „Zwei lange Unterhosen der Marke Hering“ aufgeschrieben hatte. Dank dieser Gespräche gibt es diese beeindruckende Erzählung von Ariel über Ella Michel. So bleibt sie unvergessen.

Die drei Besuchstage mit Eliane und Tomas waren für mich voll an Gesprächen und Informationen. Nicht alles wird man sofort angehen können. Aus dem letzen Besuch zu Kundgebung 2023 von Marlies Schmidt und Marlies Poss stehen noch unerledigte Aufgaben im Raum. Je länger die Geschichte zurückliegt, um so länger ist der Aufwand, noch offene Punkte zu erledigen. Über die Jahre erlebe ich auch, wie schwer diese „Nachläufe“ sind, da man mit Widerständen konfrontiert ist, die was mit Haltung zu tun haben. Statt der Pflicht, den Angehörigen der NS-Opfer unterstützend zur Seite zu stehen, bleibt es für mich mehr auch ein „Bitte, Bitte-Lauf“ bei institutionellen Einrichtungen und Unternehmen auch am Beispiel dieses Besuchs. Dank der BKM und der Bezirksversammlung Eimsbüttel war es aber überhaupt nur möglich, dass die beiden aus Buenos Aires nach Hamburg kommen konnten. Vielen Dank euch!

Kommentare sind geschlossen.