Am 28. Mai 2024 beschäftigt sich ver.di Hamburg mit den Gewerkschaftsausschlüssen in der IG Druck und Papier von 1974 bis Ende der 1970er Jahre im kühlen Norden. Ein überfälliger Schritt.
Das Generalthema war Gegenstand der letzten beiden Bundeskongresse von ver.di, aber jeweils nur als Auftrag an den Bundesvorstand. Das es in Hamburg jetzt diese Aktivität gibt, stellt einen praktischen Beitrag im Umgang mit dem Thema dar.

In der IG Druck und Papier muss m.E. der Hamburger Vorstand und deren damaliger Ortsvereinsvorsitzender, Heinz Wolf, einer der Treiber der Ausschlussbeschlüsse auf Bundesebene gewesen sein. Wenigstens, wenn man es auf der Zeitschiene sieht. Auf der Vorstandssitzung am 3. Februar 1973 wurde ein Antrag an den Hauptvorstand gestellt, dass eine Mitgliedschaft in der so genannten Gewerkschaftsopposition (RGO) „oder ihrer Unterstützung … mit der Mitgliedschaft in dr Druck und Papier unvereinbar ist … Der Beschluss soll im Zentralorgan veröffentlicht werden.“ Zu Geschichte um diese Beschluss gehörte, dass der Antrag zur Beginn der Sitzung den Vorstandsmitglieder nicht vorlag. Heinz Wolf stellte den Vorstandsmitglieder die Frage, „ob sie gewillt sind, gegen diese Gruppen vorzugehen. Maßnahmen können nur Erfolg haben, wenn sie vom Vorstand getragen werden.“

Am 9. März 1973 fasste der Hauptvorstand einen entsprechenden Beschluss. Dabei wird das Wort „unvereinbar“ modifiziert formuliert: diese Gruppen verstoßen gegen die Satzung und ein Ausschlussverfahren sei nach der Satzung anzuwenden.

Zu den Ausschlüssen in der Hamburger IG Druck und Papier
Der (gemeinsam tagende) Ortsvereins- und Landesbezirksvorstand Hamburg/Nord der IG Druck und Papier hatte von 1974 bis Ende 1978 insgesamt 28 Ausschlüsse gefasst und sie an den Hauptvorstand als oberstes Beschlussorgan weitergeleitet. Bis auf einen Fall, der zwar beschlossen, aber nicht weitergeleitet wurde, hatte der Hauptvorstand, alle Anträge bestätigt. Die bisherige Rede ist von 80 Ausschlüssen auf Bundesebene, so das 1/3 aller Ausschlüsse im Norden erfolgten.
Im Juni 1974 und Juni 1976 erfolgten jeweils auf einer Sitzung 12 bzw. neun Ausschlüsse in Hamburg. Die meisten der Betroffenen waren nach Darstellung des Vorstandes angeblich im KB. Sie richteten sich aber auch gegen angebliche KBW-Mitglieder, die zu Kommunlwahlen als Person auf deren Liste kandidierten. Aber auch Menschen, bei denen man eine KPD-Mitgliedschaft vermutete, wurden ausgeschlossen, weil sie deren Publikationen verbreitet hätten.
Erste Ausschlusswelle am 11. Juni 1974 auf Basis Beschluss des Hauptvorstandes
Am 11. Juni 1974 fand eine Vorstandssitzung im Hotel „Alte Wache“ in der Hamburger Adenauerallee.

Während die Vorständler in den Räumen Tagen, fanden sich 80 Personen vor dem Hotel ein. Sie wollten eine öffentliche Debatte, was der Vorstand ablehnte. Basis war der Beschluss des Hauptvorstandes vom Oktober 1973.
Ausschlüsse 1976 auf Basis eines Gewerkschaftstagsbeschlusses
Der Gewerkschaftstag im Oktober 1974 in Hamburg hatte eine weitere Modifikation der Unvereinbarkeitsbeschlüsse vorgenommen. Inhaltlich wurden unterschiedliche Listen zu den Betriebsratswahlen als Ausschlussgrund ergänzt.
„Angesichts einer stärker als bisher von ausein-anderstrebenden Interessen gekennzeichneten verschärften wirtschaftlichen Lage in der Bundesrepulik Deutschland und damit zusammenhängenden wachsenden Angriffen der Unternehmer und ihrer Interessenvertreter auf die Gewerkschaften, bekennt sich der Zehnte Ordentliche Gewerkschaftstag der Industriegewerkschaft Druck und Papier mit allem Nachdruck zur Verteidigung und Stärkung der Einheitsgewerkschaft, wie sie sich in nunmehr fast drei Jahrzehnten bewährt hat.
Der Gewerkschaftstag hält es mit den Prinzipien einer Einheitsgewerkschaft nicht für vereinbar, daß ich politische Gruppierungen durch die Aufstellung von Spalter-Listen zu den Betriebsrätewahlen Basen in den Betrieben zu schaffen suchen. Wer solche Versuche unterstützt und gegen Gewerk-schaftslisten kandidiert, schwächt die gewerkschaftliche Betriebsarbeit und verstößt damit nicht nur gegen den Einheitsgedanken, sondern auch gegen $ 4 der Satzung der IG Druck und Papier.
Der Zehnte Ordentliche Gewerkschaftstag verweist auf den Beschluß des Siebten Ordentlichen Bundeskongresses des DGB über die Unvereinbarkeit gleichzeitiger Mitgliedschaft in dem DGB angeschlossenen Gewerkschaften und der NPD. Das gilt nach wie vor auch für die Mitglieder der Industriegewerkschaft Druck und Papier.“
Am 11. Juni 1976 wurden noch einmal neun Mitglieder ausgeschlossen.

Wiederaufnahme-Anträge werden abgelehnt
Ende 1978 wurde sechs Wiederaufnahme-Anträge von in anderen Gewerkschaften Ausgeschlossene abgelehnt. Ab 1980/81 war eine grundlegende Korrektur zu erkennen und man nahme abgelehnte Anträge auf Aufnahme wieder an. Bereits ab 1978 wurde Personen, die 1974 ausgeschlossen wurden im Einzelfall wieder aufgenommen, wenn sie eine entsprechende Erklärung abgaben, dass sie einer Organisation, die unter die Unvereinbarkeit fallen, nicht oder nicht mehr angehören.
In einem Fall konnte man keine Organisationszugehörigkeit konstruieren, so dass man einen Lüge erfand (Mitschnitt einer Versammlung) und auf der Basis den Ausschluss begründete. Er wurde aber nicht an den Hauptvorstand weitergeleitet und ein Jahr später zurückgezogen. Die Lüge blieb im Raum und die betreffende Kollegin wurde in ihrem beruflichen Fortkommen durch den Vorstand behindert.
Verschwörungserzählung durch Hamburger Vorstand der IG Druck und Papier
Um Kampagnen zu führen, damit sie funktioniert, bedient man sich einer Verschwörungserzählung und diffamiert die Personen. Es gibt natürlich auch andere Methoden. Heute würden wir sagen, das wir unsere Geschichte erzählen wollen, um unsere Kommunikationsziele zu vermitteln.
Der DruPa-Vorsitzende, Mahlein, sprach bereits 1972 bei den linken Vereinigungen, die in seiner Kritik standen, von eher faschistischen Gruppen. Da ich nicht die Protokolle des Hauptvorstandes gelesen habe, weiß ich natürlich nicht, wie auf dessen Sitzung gegeifert wurde. Heinz Wolf dürfte vermutlich nur auf diese Welle geritten sein.

Im Oktober 1974 verbreitete der Hamburger DruPa-Vorstand eine Info in den Hamburger Druckbetrieben (“Was wollen die Chaoten”), die die Linken mit den Nazi verglichen. Sie wollen die Bundesrepublik ins “Chaos” stürzen und „uns ihre Diktatur aufzwingen“ wollen. Es handele sich bei diesen Gruppen um „Söhne gutbetuchter Bürger“. Es wurde eine Verschwörung erzählt, dass „die Drahtzieher sich im Hintergrund“ aufhalten, die andere für sich arbeiten lassen, damit die Arbeiter und Angestellten ihnen auf „den Leim“ gingen. Am Ende gipfelte die Diffamierung in der Meinung, dass man diese Menschen aus der IG Druck und Papier ausschließen muss, weil sich sonst der Faschismus wiederhole.

Ständiger Widerstand gegen die Unvereinbarkeitsbeschlüsse in der IG Druck und Papier
Gegen die Ausschlusspraxis und die getroffenen Begründungen gab es in allen Gliederungen in der IG Druck und Papier immer wieder Debatten und Anträge. Zum Gewerkschaftstag 1977 gab es z.B. einen Antrag zum Gewerkschaftstag vom Ortsverein Hamburg, die Beschlüsse aufzuheben. Er wurde abgelehnt. Auch wenn es damals auf dem Gewerkschaftstag vermutlich nichts geändert hatte an der Abstimmung, man war sich nicht zu blöde, extra eine Anmerkung zu schreiben: „Dieser Antrag wurde vom Landesbezirkstag Nordmark abgelehnt.“ Für mich ein Bild, wie sehr das Gegeifer sich auch gegen die innergewerkschaftliche Demokratie richtete.
Unter dem Stichwort „Abgrenzungsbeschluss“ wurde von den Delegierten des Ortsvereins (nicht vom Vorstand) die Aufhebung gefordert: „Die Hauptversammlung des Ortsvereins Hamburg der Industriegewerkschaft Druck und Papier fordert den Gewerkschaftstag auf, den Abgrenzungsbeschluß gegen angebliche Radikale oder Extremisten in unserer Gewerkschaft aufzuheben. Sie ist der Auffassung, daß die Bestimmungen unserer Satzung bei Verstößen gegen Beschlüsse der Gewerkschaft voll ausreichen, um eine Gefährdung der Arbeit der Industriegewerkschaft Druck und Papier oder ihres Ansehens zu verhindern.
Begründung: Die vergangenen Jahre haben gezeigt, daß das Instrument des Abgrenzungsbeschlusses fast ausschließlich im Landesbezirk Nordmark angewandt wurde und mit unwürdigen Mitteln der »Beweiserhebung« wie Bespitzelung oder heimlichen Fotos vollzogen wurde. Die innergewerkschaftliche Auseinandersetzung über politische oder gewerkschaftspolitische Probleme sollte nicht durch administrative Maßnahmen unterbunden werden – wo gegen das Ansehen oder gegen Beschlüsse der Gewerkschaft verstoßen wird, ist ohnehin nach der geltenden Satzung der Ausschluß möglich.“
Beschlusslage in ver.di
Es mutet merkwürdig an, wo es faktisch diese Praxis nicht mehr gibt (und die Organisationen), dass Anträge an den ver.di-Gewerkschaftstag 2019 und 2023 nicht zur Annahme empfohlen wurden. Sie verfolgten die Absicht, die Geschichte aufzubereiten und sich bei den Betroffenen zu entschuldigen. Beide Anträge wurden an den Bundesvorstand weitergeleitet.
Hartmut Simon, Leiter des Archivs der ver.di Bundesverwaltung, geht in seinem Gespräch im Vorfeld einer Veranstaltung in Hamburg am 28. Mai 2024 darauf ein und sagt, dass es natürlich zur Aufgabe des Bundesvorstandes gehört, dass Thema zu bearbeiten.
Es ist eine Spekulation, aber mich würde es nicht wundern, dass nichts passieren wird. In der GEW hatte der Prozess auch sehr lange gedauert, wie Marcel Bois in einem Gespräch vor der Veranstaltung erläutert hatte.