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Holger Artus

Lido Galli, IMI bei AUG. PRIEN

AUG. PRIEN unter weitere Harburger/Wilhelmsburger Bauunternehmen setzten in der NS-Zeit massenhaft italienische Militärinternierte als Zwangsarbeiter ein. In der Erzählung von Kurt Grobecker zum 125 jährigen Jubiläium wird von ihm einen rührselige Geschichte über einen IMI erzählt, der angeblich als Friseur für die Zwangsarbeiter gegen Entgelt arbeiten durfte. Die Dimension des Einsatzes wird verschwiegen. Hier ein Text über einen IMI.

Giovanni Lido Galli wurde am 20. Mai 1924 in Lucca/Italien geboren. Die Stadt in der Toskana zählt heute 89.078 Einwohner:innen (Stand 31. Dezember 2022).

Am 23. August 1943 wurde er zur italienischen Armee einberufen und erlebte kurze Zeit später den zweiten grundlegenden Einschnitt in seinem Leben. Am 9. September 1943 um 4 Uhr morgens wurde er wie auch anderen  italienischen Soldaten seiner Einheit von der deutschen Wehrmacht gefangen genommen.

Sein Sohn,  Marcello Galli, schrieb später, auf Basis seiner Recherchen, dass die italienischen Soldaten damals in den Hof der Kaserne getrieben wurden. “Sie machten sich dann auf den Weg zum Flussbett des Talvera. Mein Vater verbrachte zusammen mit Tausenden von Soldaten einen ganzen Tag und eine Nacht im trockenen Flussbett, im Regen… Zu Dutzenden wurden sie in die Waggons gepackt. Verschlossen, ohne Luft, Wasser oder Nahrung… Erschöpft kamen sie am 12. September 1943 am Bahnhof Bremervörde in Niedersachsen im Norden Deutschlands an.”

Die italienischen Soldaten hatten zwischenzeitlich ihren Status als Kriegsgefangene verloren. Hitler hatte sie zu “Militärinternierten” erklärt, um nicht an internationale Konventionen gebunden zu sein. Über 650.000 hatten nach dem Waffenstillstand der neuen italienischen Regierung mit den Alliierten “Nein” zu der Frage gesagt, weiter an der Seite Deutschlands zu kämpfen. Wer sich weigerte, wurde als Zwangsarbeiter verschleppt. Die deutsche Wehrmacht versuchte immer wieder, die Soldaten der einst verbündeten Armee für ihre Zwecke zu gewinnen. Lido Gallis Sohn, Marcellus, schrieb  über eine Periode im Kriegsgefangenen-Stammlager Sandbostel bei Bremervörde: ”Eines Tages kam das berüchtigte Angebot: Freiheit gegen Einberufung in der Armee. Mein Vater, wie die große Mehrheit von ihnen, hat diese Schande mutig zurückgewiesen. Später war ihnen wiederholt angeboten worden, der (faschistichen) Sozialrepublik beizutreten, aber nur eine sehr kleine Minderheit akzeptierte. „

Lido Galli kam von Sandbostel ins Zwangsarbeitslager “Am Schützenpark” in Harburg. Das Zwangsarbeitslager für die italienischen Militärinternierte war damals in einer Gaststätte einreichtet wurden. Er musste für das Harburger Bauunternehmen AUG. PRIEN arbeiten. “Papa wurde am 4. Mai 1945 befrei und am 7. August 1945 zurückgeführt. “Als er nach Hause zurückkehrte, wog er 38 kg, hatte eine Rippenfellentzündung. Es waren nur noch 15 Zähne übrig. Die ersten drei Monate nach seiner Rückkehr verbrachte er im Krankenhaus. Er war 21 Jahre alt. Die Genesung war langsam und schwierig.” 

Lido Galli starb im Alter von nur 60 Jahren am 16. Februar 1985. “Ich war kaum mehr als zwanzig Jahre jung. Als Erwachsener hatte ich nicht mehr  die Möglichkeit, mit ihm darüber sprechen zu können und mit ihm alles zu vertiefen, das Leiden mit ihm teilen,” notiert Marcellus in seinen Notizen über seinen Vater.

2017 machte sich Marcellus auf die Suche nach den Lebensstationen seines Vaters als italienischer Militärinternierter. 2019 machte er sich auf die Reise nach Hamburg. Am Dienstag, den 18. Juni 2019 besuchte Marcellus vormittags Harburg, wo sein Vater bei der Firma August Prien als Zwangsarbeiter n beschäftigt war. Am Nachmittag war er im Kriegsgefangenen-Stammlager in Sandbostel. Am 19. Juni 2019 wollten er das Unternehmen, AUG. PRIEN, besuchen, doch hier hatte man kein Interesse an ihm. Er ging wieder vom Gelände des Bauunternehmens, das 647 italienische Militärinternierte als Zwangsarbeiter bis 1945 für seine Zwecke eingesetzt hatte. AUG. PRIEN hatte eine Betrag X um die Jahrtausendwende in die Bundesstiftung „Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Stiftung EVZ) eingezahlt. Dessen Mittel zur Entschädigung der ehemaligen NS-Zwangsarbeiter:innen verwendet werden. Die meisten italienischen Militärinternierten haben daraus nie einen Cent gesehen. Lido Galli war schon verstorben. Für seinen Sohn, Marcello, bleibt der bitter Beigeschmack, dass AUG. PRIEN offenbar zu den Unternehmen gehörte, die etwas in den Fonds einzahlte, um das Thema der Erinnerung für immer loszuwerden.

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