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Holger Artus

Zu Besuch an der Namenstafel der Juli-Deportierten

Den Namen von Hildegard Thevs hatte ich schon viele Male gelesen. Unter Stolperstein-Biographien, aber auch in anderen Texten. Persönlich habe sie erst vor kurzem im Staatsarchiv getroffen, wo sie von meinem Vater erzählte. Jetzt hatte die die Namenstafel der Juli-Deportierten in der Ganztagsgrundschule Sternschanze besucht.

Hildegard Thevs besuchte heute die Namenstafel der Juli-Deportierten von 1942 am Haupteingang der Ganztagsgrundschule Sternschanze. Sie legte am Mahnmal Blumen nieder.

Seit 2005 schreibt die ehemalige Lehrerin der Wichern-Schule in Hamburg-Horn Biographien zu NS-Opfern und ist die erste in Hamburg, die ein Begleitbuch zu Stolperstein-Biographien geschreiben hatte. Sie hatte 2008 in mehrjähriger akribischer Arbeit Biographien von rund 150 NS-Opfern aus „ihrem“ Stadtteil Hamm zusammengetragen.

Im heutigen Gespräch über die 1.700 Namen an der Namenstafel legte sie für jede Person, deren Namen sie fand, eine Blumen nieder. So sprach sie über Sophie London, die am 19. Juli 1942 deportiert wurde  oder über über Emma und Carl Burchard vom am 15.Juli 1942.

Sie kam auch auf Clara und  Dr. Theodor Tuch zu sprechen. Er war Mitinhaber einer großen Wäschefärberei und Reinigung, J.H.C. Karstadt. Deren kleine rote Lieferwagen mit dem Firmenlogo und Hamburgwappen gehörten in den 1930er Jahren zum Straßenbild, die zwischen den 41 Filialen und ca. 300 Annahmestellen der Firma fuhren. Die Autos transportierten Textilien, die gefärbt, gewaschen oder chemisch gereinigt wurden. Das Unternehmen wurde 1939 den jüdischen Eigentümern von Hermann Schneider geraubt. Am 19. Juli 1942 wurden Clara und Theodor Tuch über über die Schule Schanzenstraße nach Theresienstadt/Terezin deportiert.

Beim Rundgang über das Schulgelände der Ganztagsgrundschule Sternschanze zur Stolperschwelle der deportierten Schüler:innen der Israelitischen Töchterschule am Schuleingang auf der Schanzenstraße erzählt sie über eine erst kürzlich erstellte Stolperstein-Biographie zu Bertha und Bernhard Levy. „Beide lebten zum Zeitpunkt der Deportation am 15. Juli 1942 in so genannten Judenhaus in der Schäferkampsallee 29, vorher ein jüdisches Alten- und Pflegeheim. Sie lebten ursprünglich mit ihren beiden Kindern, Gertrud und Herbert, früher in der Sierichstraße 84, wo jetzt auch Stolpersteine an sie erinnern.“  Hildegard Thevs erzählt weiter, dass am 15. Juli 1942 weitere Verwandten von Bertha und Bernhard Levys wie Franz und Louise Wolff aus der Bundesstraße 35 und Carl und Emma Burchard aus der Bundesstraße 43 am Vortag mit Lastkraftwagen abgeholt und zum Sammelort in der Volksschule Schanzenstraße in Eimsbüttel gebracht wurden. Bedächtig sagt sie. „Die Toten, deren Namen durch die Stolpersteine bekannt werden, beschenken uns mit Nachdenken. Die Stolpersteine an Stelle von Grabsteinen sind Orte der Erinnerung an den Verlust von Einzelnen und Millionen von anderen, erinnern uns an die Verluste von Lachen und Weinen, Wissen und Kreativität und an die Auslöschung von Menschlichkeit.“ 

Die Stolperschwelle auf Höhe des Schuleingangs in der Schanzenstraße erinnert an die 13 Schülerinnen und Schüler der Israelitischen Töchterschule, die nach der Schließung ihrer jüdischen Schule im Mai 1942, am 15. und 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße deportiert wurden. Hildegard Thevs legte auch an dieser Stelle Blumen nieder. 

„Jede Erinnerung an die Opfer des NS-Regime tut weh. Natürlich schmerzt der Gedanke noch mehr bei den jungen Menschen.“ Aus ihrer jahrzehntelangen Recherche und Aufklärungsarbeit verweist sie auf den Wert der Gespräche mit den Angehörigen. „Die Erinnerungen zu erfassen und zu ordnen, sie in größere Zusammenhänge einzufügen, ist der heilsamste Schritt in dieser Begegnung mit den fernen und doch so nahen Toten.“ 

Im Gespräch kommt sie auf das Projekt am ehemaligen Kinderkrankenhaus Rothenburgsort zu sprechen. Mehr als 50 nicht-jüdischer Säugline und Kleinkinder mit Behinderungen wurden zwischen 1940 und 1945 im Rahmen eines speziellen „Euthanasieprogramms“ dort  ermordet.

Seit 2009 erinnern neben einer Gedenktafel auch 35 Stolpersteine an die ermordeten Mädchen und Jungen oder anderen Opfergruppen, deren Tod man billigend in Kauf genommen habt. „Trotz aller Bemühungen eines 2019 gegründeten Arbeitskreis iim Stadtteil sei eine Erweiterung des Gedenkorts bisher nicht umgesetzt werden können. Es scheiterte an einer Klausel des Vertrags zwischen Hamburger Senat und Investor.“ Sie sei aber nicht hoffnungslos. „Es bleibt eine Aufgabe, allein das macht Mut“, so Hildegard Thevs.

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