Ansichten

Holger Artus

Betr.: Betty Seligmann, Isestraße 39

Betty Seligmann war eine jüdische Nachbarin, die in der NS-Zeit in der Isestraße 39 im Stock bei ihren Eltern Cäcilie und Iwan Seligmann lebte.

Am 10. März 1943 wurde Betty Seligmann nach Theresienstadt/Terezin in der CSR deportiert. Zu diesem Zeitpunkt musste sie in der Schäferkampsallee 29 wohnen, einem so genannten Judenhaus.  Ursprünglich war hier ein jüdisches Altenheim. Es wurde in der NS-Zeit als  “Judenhaus” instrumentalisiert. Über sie wurden die Deportationen jüdischer Menschen organisiert. Ab 1939 wurde ihnen das Wohnrecht genommen. Der Vermieter konnte ihnen wegen “Jude” unmittelbar das Mietverhältnis kündigen, wenn eine anderweitige Unterbringung nachgewiesen werden konnte. Dazu waren diese “Judenhäuser” entstanden. Mit der Kündigung der Wohnung gab es auf dem gleichen Zettel die Einweisung in eines dieser Häuser.  

Betty Seligmann wurde am 12. Dezember 1911 in Hamburg geboren. Die Familie lebte zuerst in der Rutschbahn 37. Später zog sie in die Grindelallee 188 und wohnte seit 1932 in der Isestraße 39 im 2. Stock. Betty war durch die Frühgeburt belastet und bedurfte der Pflege. Nach der Machtübernahme der NSDAP und der Bildung einer Koalitionsregierung mit anderen konservativen Parteien in Hamburg wurde der Antisemitismus auch staatliches handeln, wozu auch die Zwangssterisation kranken Menschen gehörte. 

Am 2. Dezember 1934 wurde von einem Amtsarzt ihre Zwangssterilisation beantragt, wogegen sich die Familie wehrte. Ein so genanntes rassistisches “Erbgesundheitsgericht” traf im Februar 1935 die Entscheidung gegen den Willen der Eltern. Der Eingriff erfolgte 1935 im Staatskrankenhaus Friedrichsberg (heute Schön-Kliniken). Die Seligmann lebten bis 1941 in der Isestraße, dann wurden sie gezwungen, in das “Judenhaus” in der Bundesstraße 43 zu ziehen. Am 13. Juli 1942 wurde Betty Seligmann zwangsweise in die Schäferkampsallee 29 eingewiesen. Ihre Eltern, Cäcilie und Iwan mussten sich am 14. Juli 1942 in der Schule Schnanzenstraße am Sternschanzen- Bahnhof einfinden, über die sie am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt/Terezin in der CSR deportiert wurden.

Für ihre Tochter wurde vom Gericht ein Pfleger gestellt, der für Betty zuständig war. Am 10. März 1943 wurde sie zusammen mit 51 jüdischen Menschen von Hamburg nach Theresienstadt/Terezin deportiert. Zu diesem Zeitpunkt lebten alle in der Bornstraße 22, der Rutschbahn 25a, der Beneckestraße 2 und 6, Laufgraben 37, Schäferkampsallee 25/27 und 29 oder in der Grindelallee 21/23 leben. Das Haus war für alle in der Nachbarschaft außen sichtbar mit einem “J” gekennzeichnet. 

Am 12. März 1943 kamen sie in Theresienstadt/Terezin an. In der ehemaligen tschechischen Garnisonsstadt herrschten furchtbare Bedingungen. Die Versorgung war schlecht und Krankheiten führten auf Grund nicht vorhandener Medikamente zum Tod, wie Fleckentyphus, was durch Läuse übertragen wurde. Die meisten nach Theresienstadt Deportierten wurden im Laufe des Jahres 1944 nach Minsk, Auschwitz und Treblinka gebracht, wo sie ermordet wurden. Am 20. Mai 1944 wurde Betty nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Ihr Vater starb in Theresienstadt am 14. März 1944, ihre Mutter erlebte die Befreiung Theresienstadt am 8. Mai 1945, aber sie verstarb am 2. Juni 1945 in Folge der Haftbedingungen durch das NS-Regime.

Kundgebung am 12. März 2023 vor der Bornstraße 22

Anlässlich des 80. Jahrestags der Deportation findet vor der Bornstraße 22 eine Kundgebung am Sonntag, den 12. März 2023 um 15 Uhr statt, an deren Zustandekommen ich mich aktiv beteilige.  Der unmittelbare Grund: eine der damals Verschleppten, Ruth Geistlich, lebt bis heute in unserer Stadt. Zu den damals Überlebenden gehörte auch Ella Michel (gest. 2014), die von Theresienstadt nach Auschwitz verschleppt worden war. Sie arbeitete und wohnte vor dem 10. März 1943 im Israelitischen Krankenhaus, das damals seinen Standort in der Schäferkampsallee 29 hatte. Eines ihrer Enkelkinder wird am 12. März 2023 an der Kundgebung teilnehmen.

Mit der Kundgebung soll an damals erinnert werden. Wir wollen aber auch unsere antirassistische Haltung zum Ausdruck bringen. Unsere Gesellschaft verurteilt heute den Antisemitismus.  Der Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019, die spätere Ermordung von Menschen mit migrantischer Herkunft oder aktuell die Schüsse vom November 2022 auf das  ehemalige Rabbinerhaus an der Alten Synagoge 2022 in Essen zeigen das bedrohliche Potenzial rechter Gruppen deutlich auf. Oder die jüngsten Festnahmen von so genannten Reichsbürgern. In deren Gedankengut wurzeln antisemitische Verschwörungserzählungen. Deren Überzeugung, dass Deutschland von einem sogenannten „Deep State“ regiert wird, baut auf jahrhunderte alte Erzählungen auf, in denen Jüdinnen und Juden immer wieder als „Strippenzieher“ denunziert wurden, die im Verborgenen angeblich eine Verschwörung betreiben sollen. 

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