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Holger Artus

Berthie Philipp, Isestraße 51/52

Zu einzelnen NS-Opfern, die am 14. Juli 1942 vom „Judenhaus“ in der Bundesstraße 43 nach Theresienstadt/Terezin deportiert wurden, habe ich die heutigen Mieter:innen an den verschiedenen Lebensorten der Opfer eine Info in die Briefkästen gesteckt. Hier ging es um die Isestraße 51/52, in denen Berthie und Rudolph Philipp wohnte. Er starb 1936 im hohen Alter. Sie wurde deportiert, hat aber überlebt.

Berthie und Rudolph Philipp wohnten von 1932 bis 1936 in der Isestraße 51 bzw. Isestraße 52. Sie wurde am 15. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße nach Theresienstadt/Terezin deportiert und gehörte zu den wenigen Überlebende der letzten großen Massendeportationen im Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße.

Im Wohngebieten rund um den Bahnhof Sternschanze soll anlässlich des 80. Jahrestages an diese Deportationen erinnert werden. Am 14. Juli 2022 wird vor der letzten Wohnadresse von Berthie Philipp in der Bundesstraße 43, einem in der NS-Zeit betitelten „Judenhaus“, eine Erinnerungstafel übergeben. Auch bei Ihnen um die Ecke, Jungfrauenthal 37, befand sich eine solche Massenunterkunft für jüdische Menschen. Von dort wurden am Tag der Deportation von Berthie Philip aus des Bundesstraße 43 auch die Geschwister Daniel und Hanny Dublon nach Theresienstadt/Terezin verschleppt.

Berthie, geborene Sophar, war am 12. Dezember 1881 in Hamburg auf die Welt gekommen. Sie heiratete Rudolph Philipp. Beide lebten zuerst in der Schlüterstraße 44, bevor sie 1930 in die Isestraße zogen. Erst in die Nr. 51, 1934, in die Nr. 52. Rudolph war bis Beginn der 1930er Jahre ein erfolgreicher Musikkritiker und bekannter Hamburger Komponist. Doch fast sein ganzes Werk wurde von den Nazis 1941 vernichtet. Der Musikverlag, über den er seine Stücke verkaufte, wurde 1939 “arisiert” und alle vorhandenen Kompositionen dürften ebenfalls vernichtet worden sein. Den Philipps ging es bis zur Machtübernahme der Nazis noch sehr gut. 

Rudolph Philipp war bis 1928 Musikautor für die linksliberale Tageszeitung “Hamburger Anzeiger”, damals eine der größten Tageszeitungen der Stadt. Bis 1933 produzierte er für den Hamburger Rundfunksender Norag. Berthie Philipp schrieb unterhaltende Stücke für den Rundfunksender. Mitte 1933 erhielten beide ein Berufsverbot über die Organisation der Kulturschaffenden. Da Jüdinnen und Juden dort nicht Mitglied sein durften, bekamen sie keine Zulassung über die Reichskulturkammer.

Nach dem Tod von Rudolph Philipp 1936 und aufgrund der Bedingungen der Verfolgung der jüdischen Menschen änderte sich die finanzielle Lage Berthie Philipps. Sie zog 1937 nach Hamm in den Saling 9. Hier vermietete sie Zimmer unter, so dass sie trotz des Berufsverbots und gekürzten Versicherungs- leistungen von Rudolph Philipp mit den Mieteinnahmen ihr Leben gestalten konnte. Die Gestapo sorgte später dafür, dass Untermieter auszogen: Nur Juden dürften bei ihr zur Untermiete wohnen oder die Untermieter mussten erklären, das sie wissen, dass sie bei Juden wohnen. Berthie Philip wohnte bis Anfang April 1942 im Saling 9, dann wurde sie aufgefordert, binnen 48 Stunden die Wohnung zu räumen und wurde in das so genannte Judenhaus in der Bundesstraße 43 eingewiesen. 

Bei der Bundesstraße 43 handelte es sich um Stift-Wohnungen. John R. Warburg hatte ab 1890 insgesamt 52 Freiwohnungen erbauen lassen, die für jüdische und nicht-jüdische Bewohner/innen gedacht waren. Ab 1939 wurde den jüdischen Menschen das Wohnrecht genommen. Sie konnten jederzeit aus ihren Wohnungen vertrieben werden, wie Berthie Philip es erlebt hatte. Die jüdischen Stifte wurden in „Judenhäuser“ umfunktioniert, in dem auf engstem Raum nur jüdischen Bewohner:innen untergebracht wurden. In der Bundesstraße 43 lebten in den 52 Wohnungen bis zu den Deportationen 1942 übe r 250 jüdische Menschen. Am 14. Juli 1942 wurden die Bewohner:innen von der Gestapo abgeholt und mussten in der Schule Schanzenstraße übernachten. Am 15. Juli wurden 900 jüdische Menschen nach Theresienstadt/Terezin deportiert. Am 19. Juli 1942 fand eine weitere Deportation statt, darunter die letzten Bewohner:innen der Bundesstraße 43.

Von den Menschen in der Bundesstraße 43 überlebten fünf. Berthie Philipp wurde im April 1945, wie die dort noch lebenden Getto-Insassen, von der Roten Armee befreit. Im November 1945 kam sie wieder nach Hamburg. 1946 schrieb sie einen Roman, “Die Todgeborenen”, in dem sie ihre Erlebnisse der Deportation und das schwere Leben in Theresienstadt aufschrieb. Kurz vor ihrem Tod verwendete sie den größten Teil ihres Vermögens zur Gründung der “Rudolph und Berthie Philipp-Stiftung”, die verarmte, ältere Künstler unterstützte und Wohnungen zur Verfügung stellen sollte. Bis heute erfüllt die Stiftung diesen Zweck.

Vergessen will ich nicht, dass die NSDAP bei den Wahlen in Hamburg 1933 nicht die absolute Mehrheit hatten, sondern nur mir anderen bürgerlichen Parteien eine Koalitionsregierung bildete und sich gegenseitig in ihrem Antisemitismus überboten.

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