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Holger Artus

Zwangsarbeiter in der Eimsbütteler Straße 38 (heute Budapester Straße 38)

Aus der Eimsbütteler Straße wurde 1956 die Budapester Straße. In einigen Mietshäuser , wie der Nummer 38 waren in der NS-Zeit auch Zwangsarbeiter untergebracht. Eigentümer des Hauses in waren zum Zeitpunkt die Herren Baumgardt und Braunschweig.

Mit Beginn des 2. Weltkrieges wurden immer mehr Arbeitskräfte in die deutsche Wehrmacht abkommandiert, die in den kriegswichtigen Betrieben oder für die Rüstungsproduktion in Deutschland ersetzt werden mussten. Das führte dazu, dass Aufrüstungsprojekte in Hamburg ins Stocken gerieten. Wo heute Airbus in Finkenwerder Flugzeuge produziert, war seit 1936 von den Nazis ein geheimer Flughafen geplant. Um den Plan unter den Bedingungen des Krieges fortführen zu können, wurden zuerst Arbeitskräfte aus dem von Deutschland seit April 1940 besetzten Dänemark geholt. Von 1941 bis 1944 wohnten dann in der Eimsbütteler Straße 38 dänische, belgische, niederländische und vereinzelnd französische Zwangsarbeiter, vor allem im „Fremdenheim Emil Werthmann“ im III. Stock. Auf den Meldekarteien ist nachzulesen, dass dänischen Arbeiter auch in Finkenwerder eingesetzt wurden, also am Bau des Flughafens Finkenwerder beteiligt gewesen waren. Es kann sein, dass sie noch an anderen Orten Hamburgs arbeiten mussten. 

Bei den Zwangsarbeitern muss man berücksichtigen, dass die Franzosen, Belgier und Niederländer „freiwillig“ nach Nazi-Deutschland gekommen waren. Diese Länder waren von der deutschen Wehrmacht besetzt. Frankreich war im Kern besetzt, Belgien und die Niederlande komplett. Unmittelbar nach der Besetzung gab es hier Niederlassungen des Reichsarbeitsamtes. Das dänische Königshaus hatte im Unterschied zu Belgien und die Niederlande mit den Nazis kollaboriert, um ihre Stellung und Lage zu sichern. Es gab “Abkommen” über den Arbeitskräfteeinsatz von Dänen in Deutschland. In der rassistischen Lehre der Nazis waren die Dänen, Schweden und Norweger den “Ariern” näher. In der Praxis wurden die Dänen nicht so bezahlt wie sie angeworben worden und viele wollten wieder nach Hause. Sie konnten aber meistens nicht über die deutsch-dänische Grenze zurück, ohne entsprechende Entlassungspapiere ihres bisherigen Arbeitgebers. Es drohte ihnen ein Arbeitserziehungslager (AEL), einer Art Vorstufe zum KZ, wo sie bis zu sechs Wochen unter brutaler Kontrolle das Arbeiten “spüren” sollten. Die Unternehmen, die sie als Zwangsarbeiter benötigten, war jedoch daran gelegen, sie schnell wieder einsetzen zu können.

Aus meinen Recherchen zur Zwangsarbeit im Hafen über die belgischen Arbeitskräfte weiß ich, dass auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit in Belgien die deutschen Unternehmen schon 1940 z.B. nach Antwerpen fuhren, um die Fachkräfte zu finden, die auch die Wehrmacht haben wollte. Die bei der Anwerbung zugesagten Löhne im Hamburger Hafen wurden nicht gezahlt und viele fuhren zurück. Mit der Besetzung hatten die Nazis aber auch das Instrument der „Dienstverpflichtung“ gehabt, das sie später zum Bau des „Westwalls“ massenhaft anwendeten. Wer dem nicht folgte, wurde gesucht und verhaftet. Ich habe die Geschichte eines belgischen „Dienstverpflichteten“ gefunden, der in der Amandastraße 85 lebte und wegen seiner geplanten Flucht 1944 hingerichtet wurde. Es gab auch im KZ Neuengamme Dänen, die sich den Nazis als Zwangsarbeiter versuchten, zu entziehen.

In einem etwas entfernten Nachbarhaus, Eimsbütteler Straße 24, waren von 1942 bis 1945 an die 200 Zwangsarbeiter untergebracht worden. Im Unterschied zu Ihrem Mietshaus war es komplett ein „Arbeitslager“ von Heinrich & Co. geworden. Die Zwangsarbeiter kamen überwiegend auf Frankreich, den Niederlanden und Belgien. Ich habe in den Unterlagen aber auch die Namen von 20 italienischen Militärinternierten gefunden. Hierbei handelte es sich um Soldaten. Der ehemalige Verbündete Deutschlands hatte nach dem Sturz Mussolinis mit den Alliierten einen Waffenstillstand ausgehandelt und am 8. September 1943 verkündigt. Daraufhin hat die deutsche Wehrmacht die italienischen Soldaten gefangen genommen und nach Deutschland verschleppt. Sie bekamen den Status“Militärinternierte”.  Als Zwangsarbeiter wurden sie genötigt, in Hamburger Unternehmen zu arbeiten. Ich konnte herausfinden, wo sie eingesetzt wurden, im Kohle(platz)handel. Dabei ging es nicht um in erster Linie um die Versorgung der Haushalte mit Kohle. Es gab eine Vereinbarung des Hamburger Kohlenhandels mit den Unternehmen, in der sie sich den Einsatz der IMI vor allem für die Aufrechterhaltung ihrer Energieversorgung in den kriegswichtigen Betrieben aufteilten. Von den 17.000 IMI in Hamburg wurden rund 280 für die Kohleversorgung eingesetzt. 

In der Nähe der Eimsbütteler Straße 38 befanden sich mehrere Zwangsarbeitslager. Eines der größten war in der Schilleroper. Hier mussten über 500italienische Militärinternierten leben. Von hier ging es zu den verschiedenen Arbeitsorten. Die Unternehmen, in denen sie arbeiten mussten, sind teilweise bekannt. So z.B. bei den Hamburger Wasserwerken (HWW), aber auch Kfz-Betrieben, die für die Wehrmacht Aufgaben erledigen mussten.

Neben dem „Fremdenheim Wehrmann“ bei Ihnen im dritten Stock wurden später auch viele Zimmer im 2. OG an Zwangsarbeiter vermietet. Wenn ich das richtig gelesen habe, wurde dieser Prozess über das Arbeitsamt organisiert. Die Wohnungen waren riesengroß mit 6 ½ bzw. 7 ½ – Zimmern. Im ersten Stock war der Sitz der Betriebskrankenkasse “Reichsverkehrwacht See”. Im Erdgeschoss befand sich auf der einen Seite zeitweilig eine Gaststätte, auf der anderen das Möbelgeschäft Erkel. In Ihrem damaligen Nachbarhaus, der Eimsbütteler Straße 37, hatte die NSDAP-Ortsgruppe St. Pauli-Süd ihr Büro.

Wenn auch sicher etwas abwegig, möchte ich noch ergänzen, dass es irgendwo auf dem St. Pauli-Abschnitt der Eimsbütteler Straße einen Friedhof gab. Zur Geschichte St. Paulis und damit auch der Vorgeschichte der Eimsbütteler Straße gehörte der Pesthof, später Krankenhof, am Hamburger Berg, ab dem 17. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert wurde er abgerissen. Eine Notiz im Hamburger Staatsarchiv aus 1857 nimmt auf einen Pestfriedhof in der Eimsbütteler Straße Bezug, der hier irgendwo für Pesttote bestand. Zu ihrem Bild über die Geschichte der Eimsbütteler Straße sollte aber zur Einordnung gehören, dass die Straße 1846 gepflastert wurde und das 1865 der Fußweg zwischen Millerntor und der Eimsbütteler Straße mit Sandsteinplatten versehen wurden. 

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