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Holger Artus

Das Verhalten der Hamburger Sozialbehörde nach 1945 gegenüber den jüdischen Überlebenden aus der Bundesstraße 43 war eine Schande

Bei meinen Recherchen zur Deportation der jüdischen Bewohner/innen aus der Bundestraße 43 im Juli 1942 habe ich auch fünf Überlebende von 150 Verschleppten gefunden. Da ich bei allen über das Verhalten der Sozialbehörde gestolpert bin, habe ich diesen Teil aufgeschrieben.

Es wird noch weitere Texte dazu geben, nicht nur mit Blick auf diesen Lebensabschnitt der NS-Opfer. Ich bin mir aus anderen Wiedergutmachungsanträgen/-verfahren auch der politischen und rassistischen Absichten der damaligen Sozialbehörde bewusst, die sich im Laufe der Zeit veränderten, weil sich die Verhältnisse geändert hatten. Hier findet sich nur eine reduzierte Darstellung wieder, die ich für die Web-Seite https://bundesstrasse43.WordPress.com geschrieben hatte.

Berthie Philipp, Josefa Basch, Franziska David, Gertrud Fürst und Martha Heimann waren die fünf Überlebenden von den 150 jüdischen Bewohnerinnen und Bewohnern, die im Juli 1942 nach Auschwitz und Theresienstadt/Terezin deportiert wurden. Sie kamen 1945 trotz der Verfolgungen in der NS-Zeit in Deutschland, den Erniedrigungen, der Hetze, des Diebstahls ihres Eigentums, den finanziellen Schädigungen, der Deportation und dem Erleben des Terrors ab 1933 nach Hamburg zurück. 

Sie alle kamen 1945 trotz der Verfolgungen in der NS-Zeit in Deutschland, den Erniedrigungen, der Hetze, des Diebstahl ihres Eigentums, den finanziellen Schädigungen, der Deportation und dem Erleben des Terrors ab 1933 nach Hamburg zurück.

Das Lesen ihrer Wiedergutmachungsakten beschämt, da offensichtlich wird, wie sich die deutschen Behörden bis in den 1960er Jahre verhalten hatten. Es dauerte bei einigen Jahrzehnte, bis Entschädigungsansprüche zugestanden wurden – worauf die NS-Opfer sowohl moralisch als auch juristisch Anspruch hatten. Sozialfürsorge und Oberfinanzbehörde lehnten die Ansprüche ab. Es bedurfte mehrerer Instanzen, um zu einem Vergleich oder einer Entscheidung zu kommen. Antragsteller wurden mit schikanösen Fragen konfrontiert, obwohl auf der Hand lag, dass Nachweise aus objektiven Gründen nicht erbracht werden konnten. Monate und Jahre vergingen. Vor allem betraf der Anspruch auf Rückerstattung den unmittelbaren Schaden durch Eigentumsraub, so die kärgliche Wohneinrichtung, die die NS-Opfer noch in die Bundesstraße 43 mitnehmen konnten. Wenn es keinen Nachweis in Form eines Kaufbeleges gab, wurde die Rückerstattung abgelehnt. Wenn auf den Wohnungsbestand vor dem erzwungenen Auszug aus der eigenen Mietwohnung in die Bundestraße 43 Bezug, und durch noch lebende Zeugen:innen Bezug genommen wurde, stellte man den Wert in Frage, ohne dafür einen Bezugspunkt zu haben. Niederträchtig verhielt sich die damalige Sozialbehörde, obwohl die jüdischen Menschen vor den Deportationen gezwungen worden waren, ihren Hausstand zu veräußern. Etliches war auch von Nachbarn geraubt worden. Falls es dann noch einen “geordneten” Verkauf gab, bewertete das Amt nur die versteigerten Habseligkeiten niedrig und schlussfolgerte, dass eine Rückerstattung nicht zwingend beschieden werden müsse. Faktisch fuhren am Vortag der Deportation, dem 13. Juli 1942, Transporter vor die Bundesstraße 43 und holten den Rest an Wohngegenständen ab. Den Betroffenen wurde erklärt, dass sie es in Theresienstadt/Terezin wiederbekommen würden – eine dreiste Lüge. Doch auch diesbezüglich bezweifelte das Amt nach 1945 die aus der Erinnerung erstellte Bestandbeschreibung. Bis heute hat man diese Beamten und Richter und nicht zur Rechenschaft gezogen.

Berthie Philipp hatte in ihren Entschädigungsverfahren den Raub ihres Eigentums aus der Wohnung im Sahling 9 im April 1942 ausführlich beschrieben. Das Wiedergutmachungsamt bestritt den Raub und wollte nur den Versteigerungsbetrag erstatten. Sie blieb bis zu ihrem Lebensende hartnäckig, und kämpfte um ihre Ansprüche. Die 1881 geborene Berthie Philipp starb 1960. (Ihre Geschichte wird in einem anderen Text erzählt).

Josefa Basch, geborene Spitz wurde am 23. Oktober 1876 in Wels/Österreich geboren. Sie war mit dem in Poznan am 10. August 1867 geborenen Julian Basch seit 1910 verheiratet. Beide waren von Beruf Schauspieler/in und wohnten seit 1913 in Hamburg. Bis zu ihrer Heirat arbeitete Josefa als Sängerin. Das Paar wurde am 15. Juli 1942 aus des Bundesstraße 43 nach Theresienstadt deportiert. Julian starb dort am 25. Mai 1944. Josefa bezog nach 1945 eine Witwenrente von 140 DM. Ihre naive Bitte im August 1950 an den Sonderhilfeausschuss um eine Erhöhung, um im jüdischen Altersheim in der Sedanstraße 23 leben zu können und allein die Miete dort 120 RM betragen würde, wurde kalt abgewiegelt – das wäre gesetzlich nicht möglich. Auch ihr Versuch, wegen eines Schlaganfalls 1949 eine Beschädigtenrente zu bekommen, wurde von der zuständigen Arbeitsbehörde abgelehnt.  Stattdessen wurde ihr attestiert, dass es ihr im Getto in Theresienstadt “ungewöhnlich gut” ergangen sei, “abgesehen natürlich von dem dort erfolgten Tod des Mannes. Über das Maß des Erträglichen hinausgehende Arbeit hat sie nicht verrichtet.”  Nach Protesten gegen diese Begründung setzte das zuständige Amt der Arbeitsbehörde die Entscheidung vorläufig außer Kraft. “Frau B. soll befragt werden über die Verfolgung, die sie vor 1942 durchgemacht hat.” Im März 1951 wurde ihr dann eine “Verletztenrente” zugesprochen, die bei monatlich 223,50 DM lag, und rückwirkend die Differenz zwischen der Witwenrente und der neuen Rente zugesprochen. Am 6. September 1952 starb Josefa. Sie hatte die Rente nicht mehr bekommen, da der Postbote ihr die Rente nicht ins Israelitische Krankenhaus geliefert hatte, sondern an ihre Adresse in der Sedanstraße 23. Da sie hier nicht anzutreffen worden war, ging das Geld von der Post an den Absender zurück. Wieder kümmerte man sich nicht um sie.

Martha Heimann, geborene Piorkowski kam am 29. Juni 1866 in Freiburg (Schlesien) auf die Welt. Sie wurde am 14. Juli 1943 über die Bundesstraße 43 nach Theresienstadt/Terezin deportiert. U.a. hatte sie 1953 an die Sozialbehörde einen Antrag auf Erstattung der ihr in der Bundesstraße 43 geraubten restlichen Möbel gestellt. Das Amt für Wiedergutmachung lehnte das am 1. März 1955 ab, weil die “Entschädigungsansprüche hinsichtlich des geltend gemachten Vermögensschaden … jedoch nicht begründet sind.“ Am 19. Juni 1955 starb Martha Heimann in Mettmann im Rheinland. Ihre Tochter machte die Wiedergutmachungsansprüche wegen der “Entziehung von Hausrat” weiter geltend, die aber von der Oberfinanzdirektion nach dem Tod ihrer Mutter abgelehnt wurden. Es “ergeben sich keine entsprechenden Anhaltspunkte” dafür. “Die Antragstellerin möge ihre Ansprüche substantiieren, insbesondere auch hinsichtlich des Lebensalters der Möbel, und für ihr Vorbringen Beweis antreten. Vorsorglich wird dem Rückerstattungsantrag widersprochen.” “Eine Versteigerung von Umzugsgut der oben Genannten hat hier nicht stattgefunden”, schreibt dazu noch das Lager- und Versteigerungshaus des Amtsgericht Hamburg. Die Oberfinanzbehörde bestritt weiterhin den Anspruch. “Ob sie dort eigenen Einrichtungsgegenstände besessen hat, … ist bisher nicht bewiesen.” Erst im August 1960 kommt es zu einem Vergleich, der eine “Abfindung des Rückerstattungsanspruchs wegen entzogenen Hausrats” in Höhe von 1.000 DM vorsieht.

Gertrud Fürst wurde am 15. November 1880 in Lübeck geboren. Sie war seit 1903 mit Henry Fürst verheiratet. Er wurde, wie Gertrud, am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 26. September 1942.  Sie arbeitete im Getto als Krankenschwester und musste sich an drei “Vergasungstransporten” nach Auschwitz beteiligen. “Meine Schwester und ihre Familie wurden vergast”. Nach 1945 weigert sich die Behörde u.a., die Witwenrenten-Ansprüche, die ihre nach dem Tod ihres Mannes zustanden, zu zahlen. Formal würde ihr diese erst seit Juli 1945 zustehen, also ab dem Monat, seitdem sie wieder in Hamburg lebe. Ihr Sohn Manfred war noch im Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert worden. Er überlebte, musste aber auch bis in die 1950er Jahre um seine Rechte aus Entschädigung und Wiedergutmachung kämpfen. Die Behörde hatte sich ihm gegenüber auch verweigert, die Behörde, die Krankenkosten seiner Mutter zu übernehmen, die in Theresienstadt einen Schlaganfall erlitten hatte. Erst 1963 kommt es zu einem Vergleich wegen des erlittenen Schadens “an Körper und Gesundheit”. Seine Mutter war am 4. März 1949 im Alter von 79 Jahren gestorben. 

Franziska David, geborene Jacobson, wurde am 23. Juni 1861 in Hamburg geboren. Sie war mit Albert David, der an 18. Februar 1874 in Hannover geboren war, seit 1901 verheiratet. 1902 kam Sohn Alfred auf die Welt. Albert David starb 1924 an den Folgen eines Schlaganfalls. Franziska bezog in der Weimarer Republik seit 1929 immer mal wieder Unterstützung von der Fürsorge. Unter den Nazis wurde die Fürsorge Teil des antisemitischen Vorgehens gegen jüdische Menschen, um sie zu diskriminieren und sie zu vertreiben. Alfred war 1938 mit seiner Familie nach Buenos Aires, Argentinien, geflohen. Im Mai 1939 zog Franziska die Bundesstraße 43, Zimmer 24. Mit dem Einzug wurde die Unterstützung für sie eingestellt. Am 14. Juli 1942 wurde die 81-Jährige nach Theresienstadt deportiert und erlebt die Befreiung im April 1945 durch die Rote Armee. Seit dem 1. August 1945 lebte sie wieder in einem Hamburger Versorgungsheim in Bahrenfeld. Am 5. November 1945 kam sie ins Israelitischen Krankenhaus in der Schäferkampsallee 29. Dort stirbt sie am 11. November 1945. Im Mai 1946 stellt das Israelitisches Krankenhaus fest, dass die Rechnung für den Aufenthalt von Franziska David nicht beglichen war.

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