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Holger Artus

Ruth Kellermann – Eine weitere Nazi-Lehrerin in meiner Schulzeit in den 1970er Jahren

Aktuell beschäftige ich mich mit dem Thema des Antiziganismus in der NS-Zeit und nach 1945. Ich war über den Vorgang einer jungen Frau gestolpert, die 1943 die Schule Schanzenstraße wegen der Zerstörung Hamburgs verlassen musste. Die Familie floh nach Niedersachsen.

Dort ging sie kurz weiter zur Schule, bis die dortige Gemeinde erfuhr, dass es eine Roma Familie war, die bei ihnen wohnte. Sie wurden aus Wathlingen vertrieben. Da die junge Frau Roma war, wurde sie Ende 1944 in der Frauenklinik Altona, damals eine Klinik des Ak Altona, zwangssterilisiert. Dies erfolgte ohne Rechtsgrundlage, selbst nach den rassistischen NS-Gesetzen. Hamburgs „Gesundheitssenator“ Ofterdinger (Generalkommissar für das Gesundheitswesen in Hamburg) hatte vom ausführenden Professor Hinselmann gefordert. Dieser rechtfertige sein Verhalten nach 1945 massiv mit Antiziganismus. Während die junge Frau nach 1945 um ihr nackte Existenz kämpfen musste, praktizierte er als Arzt weiter und wurde 1956 sogar zum Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) ernannt. Erst 2015 beschloss der Vorstand der Gesellschaft, dass Hans Hinselmann nicht mehr in der Liste ehemaliger und Ehrenmitglieder der DGGG zu führen sei.

Bei der Recherche zum Thema bin ich (wieder) über eine Lehrerin aus meiner Schulzeit, Ruth Kellermann, gestolpert. Als ich 1973/1974 auf die Fachoberschule für Sozialpädagogik in der Uferstraße ging, war sie Fachlehrerin für Politik. Sie war als Lehrerin an Fachschule für Ernährung und Hauswirtschaft beschäftigt, die bis heute in der Uferstraße beheimatet ist. Was ich damals nicht wusste, war ihre üble Geschichte bei der Verfolgung, Sterilization und Deportation von Roma und Sinti in der NS-Zeit sowie ihre Arbeit nach 1945.

Ruth Kellermann war mitverantwortlich für die Sterilisation an Roma und Sinti

Kellermann promovierte 1938 in Berlin und war wissenschaftliche Angestellte der Rassenhygienischen Forschungsstelle (RHF) in Berlin. Später zog sie nach Hamburg. Für das RHF befragte sie Roma und erstellte „Gutachten“ vor allem über die im Raum Hamburg lebenden Roma. Sie wertete zusammen mit anderen Mitarbeitern der Forschungsstelle zunächst die Unterlagen der Hamburger polizeilichen „Zigeunerdienststelle“ aus. Ein später mitangeklagter „Zigeunerspezialist“ der Hamburger Kriminalpolizei sagte 1985 aus: „Die von Frau Dr. Kellermann vorgenommenen Befragungen waren sehr häufig und umfangreich bis zum Abtransport am 20. Mai 1940, aber auch danach erfolgten derartige Befragungen in zahlreichen Fällen“. Kellermann wirkte in den so genannten »Fliegenden Arbeitsgruppen« mit und führte ihre rassebiologischen „Untersuchungen“ auch im KZ Ravensbrück durch. Sie hatte extra Romanie gelernt. Sie versprach den weiblichen Häftlingen Haftentlassung, wenn sie sich sterilisieren ließen. Viele von ihr befragte Roma gaben später an, sie seien von Kellermann „beschimpft, bedroht und misshandelt worden“. Nach 1945 gab sie ihre gesammelten „Zigeuner“-Materialien an die Hamburger Kripo ab. Dort hielt sie vermutlich auch Vorträge vor Polizeibeamten. 1961 nahm sie an einer Arbeitstagung der Sachbearbeiter für die Bekämpfung des „Landfahrerunwesens“ des LKA teil und referierte dort u. a. über die „Zigeunersprache“. 1982 schied sie aus dem Schuldienst aus.

1984 erstattete die Roma und Sinti Union (RUC) Strafanzeige gegen Kellermann wegen Beihilfe zum Mord. Die RUC hatte in den im Staatsarchiv Hamburg erhaltenen „Landfahrerakten“ entsprechende Hinweise gefunden. Das Giovanna Steinbach, eine Überlebende des „Zigeunerlager“ Auschwitz und des KZ Ravensbrück, ihr 1984 ins Gesicht spuckte ist für mich befriedigend: „Du hast meine Familie ins Lager gebracht!“

Roma und Sinti mussten lange auf Anerkennung waren, NS-Tätern konnten ungestört nach 1945 leben

Viele Sinti und Roma mussten lange auf ihre Anerkennung als politisch, rassisch oder religiös Verfolgte nach 1945 warten. Dabei erlebten sie sehr viele rassistische Vorgehensweisen verantwortlicher Beamte der Stadt Hamburg. Der BGH hatte noch 1956 in einer Urteilsbegründung erklärt, das Roma und Sinti, „zu Kriminalität neigen … und ihnen sittliche Antriebe“ fehle.

Der ehemaligen Schülerin der Schule Schanzenstraße erging es nach 1945 sehr schlecht. Sozial- und Finanzbehörde gingen gegen ihre Ansprüche ständig juristisch vor und bestritten sie. In den Schriftsätze strotze es nur vor Rassismus der übelsten Art. Im Gegensatz zu den NS-Opfern hatten die Täter und diejenigen, die mit ihnen zusammen gearbeitet hatten, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges keinen Grund, über spürbare Folgen ihrer Haltung im NS-Regime zu klagen.

Knobbe und Kellermann waren zwei meiner Lehrerinnen, die in der NSDAP waren

Ruth Kellermann war in meinem schulischen Werdegang die zweite Lehrerin, die zu den Nazis gehörte und die nach 1945 wieder in den Schuldienst kam. Heute bin ich sicher, dass noch weitere meiner Lehrer:innen Nazis waren und unerkannt blieben. Als ich 1963 eingeschult wurde, war so eine meine Klassenlehrerin, M. Knobbe. Sie war in der NSDAP-Mitglied und eine schlimme Lehrerin.

Quelle: GEW Hamburg

Keine Relativierung der NSDAP-Mitgliedschaft von Lehrerinnen und Lehrer nach 1945 akzeptieren

Das die Nazis in der Hamburger Schulbehörde nach 1945 wieder in den Schulen unterkamen konnten, ist bekanntlich nichts neues. Hans-Peter De Lorant hat dies in seinen drei Bänden „Täterprofile“ ausführlich und an Hand von Einzelfällen von Lehrerinnen und Lehrer sehr gut beschrieben.

Auch wenn man heute schnell sagt, dass es ein alter Hut sei, nicht neues – das Ausmaß der NSDAP-Durchdringung der Hamburger Schulen nach 1945 bleibt erschreckend und sagt mir viel aus über den Schulunterricht nach 1945 aus und die Schulbehörde selber. Die heutigen Hinweise, das „nur“ die NSDAP-Mitgliedschaft kein Grund zur Verdammung sei, erscheint mir sehr fragwürdig. Erweckt es doch den Eindruck, es handelte sich nur um Mitläufer der Nazis. Ob Kellermann, Knobbe oder die beiden Schulleiterinnen der Schule Schanzenstraße nach 1945, Emma Lange und Ingrid Möller, sie hätten nie in der Schulbehörde beschäftigt werden dürften.

Nach Fritz Köhne, Mitglied der NSDAP, wird in Hamburg immer noch eine Schule benannt

Warum eine Schule in Hamburg den Namen von eines Nazis und Schulverantwoftlichen Hamburgs in der NS-Zeit trägt, Fritz Köhne, wird heute damit begründet, dass er vor 1933 eine andere Geschichte hatte, er soll „Schulreformer“ vor 1933 gewesen. Davon dürfte es weitere Lehrerinnen und Lehrer gegeben haben, die aber nicht in die NSDAP eintraten und für ihren refomerischen Arbeit von den Nazis aus dem Schuldienst geschmissen wurden, wie Louis Satow aus der Schule Kampstraße 58. Fragwürdig wird es dann auch noch, wenn heute auf deren Web-Seite nicht einmal über die Person aufgeklärt wird. Man stelle sich vor, wenn da stehen würde: „Fritz Köhne war in der NSDAP UND mitverantwortlich für den Raubkauf der Israelitischen Töchterschule 1942/1943 und deren Turnhalle. Nach 1945 sorgte er dafür, dass NSDAP-Mitglieder wieder ungestört in den Schuldienst kommen konnten.“

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