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Holger Artus

Ein italienischer Leumund im Entnazifizierungsverfahren von August Prien 1946/1947

Im Entnazifizierungsverfahren des Eigentümer des bekannten Hamburger Bauunternehmens, Aug. Prien, 1947, bemühte der sich, von seiner NS-Geschichte und der des Unternehmens abzulegen, er log und täuschte.

Am 1. April 1946 was er als Betriebsleiter wegen seiner NS-Vergangenheit abgesetzt und ein Treuhänder eingesetzt worden. Sein stellvertretender Betriebsleiter wurde Treuhänder. Gegen diese Absetzung wehrte sich August Prien in einem Verfahren 1947 vor dem „Ausschuss für die Ausschaltung von Nationalsozialisten“.

Politisch war in Deutschland wieder eine andere Lage entstanden als sie im ersten Jahr nach der Befreiung im Mai 1945 bestand. Der kalte Krieg hinterließ seine ersten Spuren auf allen Ebenen der Gesellschaft. August Prien lässt in diesem von ihm angestrebten Verfahren u. a. Geschäftspartner, seine Sekretärin und Buchhalter erklären, was für ein guter Mensch er war, wie menschlich und korrekt. Einer, der ihm dies auch bestätigte, war der Italiener Giovanni Galeazzi.

Die Familie Galeazzi aus Cortina d’Ampezzo eröffnete 1896 in Harburg eine Eisdiele und verkaufte das erste Eis am Stiel in Harburg („Eis Boy“). Giovanni Galeazzi eröffnete 1938 eine Eisdiele im Winterhuder Weg 2. 1940 heiratete er, wobei ihn der NS-Staat ihn als Ausländer vom Nachweis eines Ehebefähigungszeugnisses befreite. 

Staatsarchiv Hamburg 221-11 I 551

1946 wohnte die Familie von Giovanni Galeazzi in der Wendenstraße 432, als er August Prien, ein Stahlhelm- und SA-Mitglied, später auch NSDAP in der NSDAP, offenbar einen Gefallen tun wollte im Entnazifizierungsverfahren. Er war am 11. Februar 1887 in Italien geboren. Sein damaliges Schreiben vom 26. Mai 1946 ging an August Prien, damit dieser es für den zuständigen Fachausschuss der Bauwirtschaft verwenden konnte. Galeazzi unterschlug, wie auch andere Briefeschreiber an August Prien, wichtige Fakten zur Stellung der eigenen Person in der NS-Zeit. Galeazzi stellte sich als Leiter der „italienischen Delegation, Abteilung Lagerbetreuung“ vor. Dem Unternehmen Aug. Prien attestiert er, „das ihre Lager bestens eingerichtet waren.“ Ihm wären auch keine Klagen bekannt gewesen von den IMIs. Da er gerade richtig in Schwung war, erklärte er gleich auch für die französischen oder polnischen Zwangsarbeiter, dass sie „gerne bei Ihnen gearbeitet haben.“

Staatsarchiv Hamburg 322-3_B 92

Bei Aug. Prien waren mehr als 700 italienische Militärinternierte als Zwangsarbeiter in Lagern untergebracht. Sie arbeiteten seit Herbst 1943 auch auf den Baustellen von Aug. Prien. Bereits mit der ersten Ankunft der kriegsgefangenen italienischen Soldaten wurden 150 direkt an Aug. Prien übergeben.

Abgesehen von der Unterschlagung seiner DAF-Tätigkeit war diese Stellungnahme zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen der italienischen Militärinternierten und anderer Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen eine Verhöhnung der Menschen in diesen Lagern und Arbeitsstellen, die um ihre existenziellen Bedingungen ringen mussten. Heute sind viele Fakten und Erzählungen bekannt, damals war es in Italien selber ein schweres Thema. Die IMIs redeten nicht darüber. Während sich seine Landsleute als italienische Soldaten im September 1943 hunderttausendfach geweigert hatten, in die faschistische Armee einzutreten und dafür verschleppt bzw. zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden, stand Galeazzi an der Seite Mussolinis RSI. Zehntausende italienische Soldaten verloren wegen dieser Weigerung ihr Leben, er kümmerte sich um die Lagerverwaltung dieser gefangenen Soldaten – allerdings vermutlich nur von November 1944 bis Mai 1945.

Aus dem Aug. Prien „Lager Brunnnental“, wurde Cosimo Guinta 1945 von der SS erschossen, weil er angeblich Lebensmittel gestohlen hätte. Auch Tagebücher von IMIs belegen ihre sehr schwierigen Lebensbedingungen. Von September 1943 bis August 1944 wurden die IMI-Lager von Aug. Prien im übrigen von der Wehrmacht verantwortet. Erst im September 1944 kam es zu einer neuen Zuordnung und erst im November 1944 zu Bestellung einer „italienischen Delegation“.

Was war das für eine „italienische Organisation“?

Alles musste von August Prien ferngehalten werden, was seinem Image als Antifaschist, Antimilitarist und Widerständler im Verfahren hätte schaden konnte. Prien hatte sich die Schreiben besorgt und alte Seilschaften mobilisiert, Geschäftspartner oder ihm Verpflichtete. Giovanni Galeazzi arbeitete bei der Deutschen Arbeitsfront (DAF).

Er war von der Italienische Sozialrepublik (italienisch Repubblica Sociale Italiana, kurz RSI genannt) für deren „Gewerkschaft“ CGTLA als Verbindungsmann in Hamburg bei der DAF bestellt worden. Die RSI war ein faschistischer Satellitenstaat in Norditalien unter der militärischen Protektion des Deutschen Reichs. Das Staatsgebiet beschränkte sich auf Gebiete der deutschen Besatzungsmacht.

Arolsen-Archives, Operation Todt

In einer Regelung zwischen Deutschland und der RSI aus 1944 war vereinbart worden, dass bei den DAF-Gauverwaltungen „italienische Verbindungsstellen unter der Leitung der italienischen Verbindungsmänner errichtet und mit den erforderlichen Mitteln (Gaufachangestellte und Schreibkräften) besetzt“ wurden. Ihre Bezeichnung lautete: „Italienische Verbindungsstelle bei der Gauverwaltung … der Deutschen Arbeitsfront.“ Die italienischen Verbindungsstelle wurde in der RSI von der faschistischen Konföderation CGLTA bestellt (ähnlich der DAF). Sie war erst im Dezember 1943 gegründet worden.

Die Betreuung aller Zwangsarbeitslager wurde von der Deutschen Arbeitsfront (DAF) organisiert. Im Besenbinderhof 57 gab es bei der DAF die „Hauptabteilung Arbeitseinsatz“. In deren Hauptarbeitsgebiet II, „Sozialer Block“, gab es die Abteilung „Lagerbetreuung“, in der vermutlich auch Giovanni Galeazzi gearbeitet hatte. In einem Schreiben vom 11. November 1944 an die Ärztekammer Hamburg, in dem es um den italienischen Kriegsgefangenen Arzt, Dr. Bandotti ging, wird auf ihn als Mitarbeiter der DAF Bezug genommen.

Nach der Verkündung einer Waffenstillstandsvereinbarung der neue Regierungs Italiens, dem ehemaligen Verbündete Deutschlands,  mit den Alliierten am 8. September 1943, wurde die italienische Armee wurde von der deutschen Wehrmacht entwaffnet. Insgesamt weigerten sich zwischen 600.000 und 650.000 Soldaten, den Krieg an der Seite der Deutschen fortzusetzen. Mussolini war seit Juli 1943 Gefangener auf Gran Sasso. Er  wurde im September 1943 von den Nazis befreit und nach Deutschland gebracht. Hier rief er die so genannte italienischen Sozialrepublik aus. Die italienischen Soldaten wollten nicht in den Dienst der Faschisten treten. Da sie sich weigerten, wurden sie in zahlreichen Lager in Deutschland und den besetzten Gebieten eingesperrt. Sie bekamen den Status von Militärinternierten, damit sich Deutschland nicht an die internationalen Regeln bei kriegsgefangenen Soldaten halten musste.

Im November 1944 trafen Hitler und Mussolini eine Vereinbarung zu den in Deutschland gefangenen italienischen Soldaten, die hier als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Nazi-Deutschland brauchte deren Arbeitskraft. Um der Ausbeutung der IMIs eine Legitimation zu geben, kam es zur Regelung, dass die RSI über die faschistische Gewerkschaft Personen für die Lagerbetreuung benennen konnte. Die DAF konnte sie ablehnen. 

Italienische Faschisten in Hamburg

Hamburg war schon vor der politischen Machtübernahme der Nazi im Januar 1933 ein Ort für die Italienische Faschisten gewesen, die sich hier organisierten. Seit 1922 war Mussolini in Italien an der Macht. Im Februar 1923 wurde die „‚Fasci all’Estero“ (Kampfbund italienischer Faschisten im Ausland) als Auslandsorganisationen des ‚Partito Nazionale Fascista‘ (PNF) initiiert.

Die Absicht war, die im Wirtschaftsexil lebenden Italiener an ihre Heimat zu binden. Peter Offenborn schreibt in seinem Buch, „Interessen Hamburger Unternehmer am Nationalsozialismus : ihre Beteiligung an der Durchsetzung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems : eine Annäherung“, das über „die Tätigkeit der ‚Fascio all’Estero‘- Organisation des PNF in Hamburg aus den zwanziger Jahren zum einen nur wenige Informationen vorliegen. Die vorhanden besagen aber, dass Giuseppe Follina (Import/Export) einer der ersten italienischen Unternehmen in Hamburg lebenden italien war, der sich frühzeitig nach eigenen Angaben zum Faschismus bekannte. Er gründete 1925 in der Hansestadt eine ‚Fascio‘-Ortsgruppe – wie auch in Kopenhagen, wo er eine Firmenfiliale betrieb. Bereits im Mai 1926 fand der erste Kongress der „Fasci all’estero“ in Berlin statt. Zur Hamburger Gruppe gehörten nach Angaben von Peter Offenborn „außer den Angehörigen des diplomatischen Korps wegen ihrer Funktionen, die sie in den 30er Jahren im ‚Fascio‘ ausübten, eine Reihe von italienischen Import-/Export- kaufleuten zu den treibenden Kräften der hiesigen Ortsgruppe des PNF.“ Bekannt geworden sind neben Giuseppe Folina auch „Otello F. Bisotti (i/Fa. ‚Neimcke & Bisotti’, Import) und Pietro Saitta (i/Fa. ‚Tumminia & Saitta’, Südfrüchte-Import).“ Ob Giovanni Galeazzi dieser Ortsgruppe angehörte ist nicht bekannt.

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