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Holger Artus

Vor 80 Jahren, am 8. November 1941, wurden jüdische Nachbarn, nach Minsk deportiert

Für unsere Kundgebung zur Erinnerung an die November-Pogrome und die Verlegung der Stolperschwelle am 9. November 2021 verteilen wir heute noch mal im Stadtteil. So z. B. heute Morgen in den Häusern in der Juliusstraße 18, Magaretenstraße 15, Vereinsstraße 40 a und Bellealliancestraße 60. Vor 80 Jahren mussten jüdische Menschen diese Adressen verlassen, um nach Minsk deportiert zu werden. Hier die Nachbarschafts-Info.

Heute, genau vor 80. Jahren, mussten sich Helene und Boroch Bauer  aus der damaligen Margaretenstraße 15 auf dem Platz an der Moorweide in der Nähe vom Dammtor Bahnhof einfinden. 

Aber auch andere jüdische Mieter/innen in der Margaretenstraße 74, Vereinsstraße 7 und 40a, der Lindenallee 12, der Bellealliancestraße 60, der Weidenallee 10 und 48, der Agathenstraße 3, dem Kleinen Schäferkamp 32 und der Schäferkampsallee 61 erhielten ihren Deportationsbefehl zum 7. November 1942 per Post: Sie “haben sich am 8. November zwischen 10 und 12 Uhr in der früheren Jüdischen Loge in der Moorweidenstraße einzufinden. Der Wohnungsschlüssel ist vor Verlassen auf der nächsten Polizeistation abzugeben. Die Wohnung und ihr Inhalt darf nicht verkauft oder beschädigt werden. Sie sind in gutem Zustand zu hinterlassen. Jedes Mitglied der Familie kann einen Koffer mitnehmen, der 50 Pfund Kleidung, Bettwäsche und Schuhe enthalten darf. Alles Eigentum, Konten, Bargeld und Wertgegenstände sind hiermit beschlagnahmt. gez. Die Stadt Hamburg.“ Von den 960 verschleppten Hamburger Jüdinnen und Juden überlebten drei.  Aus Hamburg gab es bis 1945 noch insgesamt 20 Deportationen jüdischer Menschen in Orte ihrer Vernichtung. Die größte Deportation erfolgte am 15./19. Juli 1942 über die damalige Volksschule Schanzenstraße, heute die Ganztagsgrundschule Sternschanze, mit über 1.700 jüdischen Menschen.

Die Namen der Deportierten jüdischen Menschen aus unser Nachbarschaft am 8. November 1941

Das Getto in Minsk

Magartenstraße 15Agathenstraße 3
Boroch Bauer04.12.1890Frieda Frank27.12.1911
Helene Bauer25.12.1890Herbert Frank21.01.1890
Magaretenstraße 74Anita Meier31.01.1919
Jean Gottlieb29.11.1890Henry Meier15.05.1915
Vereinsstraße 7Lothar Meier15.05.1915
Henry Poless05.05.1890Rosa Meier24.02.1882
Auguste Spitzkopf14.08.1879Frieda Oppenheimer24.01.1894
Charlotte Spitzkopf04.05.1915Henriette Oppenheimer04.08.1863
Kurt Spitzkopf11.12.1914Kleiner Schäferkamp 32
Heinz Spitzkopf17.01.1934Max Grossmann14.01.1881
Vereinsstraße 40aNathan Grossmann19.11.1812
Waldemar Cohn20.07.1890Lina Bähr20.11.1887
Schäferkampsallee 61Rudolf Bähr15.06.1914
Herbert Hirsch01.12.1879Lina Scheuwechsel06.09.1875
Lea Hirsch25.03.1880Siegfried Scheuwechsel20.09.1918
Lindenallee 12Gertrud Levinsohn0.10.1907
Bernhard Rosenberg26.12.1883Ellen Weis24.03.1922
Marta Rosenberg21.04.1887Gerda Weis28.04.1922
Bellealliancestraße 60Louis Weis25.03.1887
Heiman Freundlich08.07.1882Marta Weis28.05.1891
Weidenallee 10 aArnold Wittmund21.12.1929
Theophile Blanari19.7.1880Else Wittmund05.07.1901
Jacob Blanari27.8.1880Felix Wittmund22.01.1931
Weidenallee 48-50Lisa Wittmund25.08.1932
David Bukofzer05.08.1891

Vor dem Überfall auf die Sowjetunion lebte in Minsk eine der größten jüdischen Gemeinden des Landes. Mitte Juli 1941 befahlen die deutschen Besatzer ihnen, in das zwei Quadratkilometer große Ghetto im Nordosten der Stadt zu ziehen. Der Hamburger Transport traf am 11. November 1941 in Minsk ein. Unmittelbar vor der Ankunft erschossen Einheiten der Sicherheitspolizei über 6.000 Juden, um “Platz zu schaffen” für die deutschen Juden. Die Lebensbedingungen für die vielen alten Menschen waren äußerst schwierig: Sie galten als nicht arbeitsfähig, und sie waren nicht nur physisch, sondern auch sprachlich fast vollständig von ihrer Umgebung isoliert. Die Juden im Ghetto wurden zur Zwangsarbeit bei der SS und der Wehrmacht, in Werkstätten, bei der Reichsbahn und der Organisation Todt eingesetzt. Die extreme Witterung, unzureichende Ernährung und nicht vorhandene medizinische Versorgung führten zu vielen Toten. Die überlebenden Juden aus Hamburg wurden im Mai und im September 1943 erschossen oder in Lastwagen mit Abgasen erstickt. 

Erinnerung an Deportationen bei uns im Stadtteil

Am 9. November 2021, in Erinnerung an die November-Pogromen 1938, wollen wir eine Stolperschwelle vor der Ganztagsgrundschule Sternschanze in der Schanzenstraße verlegen. Sie soll an die Schülerinnen und Schüler der Israelitischen Töchterschule aus der Karolinenstraße 35 erinnern, die am 15. und 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße verschleppt wurden. Es handelt sich um 13. Sie hatten am 30. Juni 1942 ihr Abgangszeugnis bekommen. Die Israelitische Töchterschule selber war bereits zum 14. Mai 1942 geschlossen wurde. Um 18 Uhr findet eine Kundgebung gegenüber dem Sternschanzen-Bahnhof statt, dort wird auch ein Sohn eines Schülers der jüdischen Schule sprechen. Um 18.30 Uhr wollen wir vom Vorplatz des Vereinshaus des SC Sternschanze zur Schule gehen, um die Stolperschwelle für die 13 Schülerinnen und Schüler der Öffentlichkeit zu übergeben. Stolpersteine in den Hamburger Gehwegen erinnern an einzelne NS-Opfer, die Schwelle will das Schicksal einer größeren Gruppe aufgreifen.

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