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Holger Artus

Jüdische Zwangsarbeiter in der Sternwoll-Spinnerei ab 1938 bis zur deren Deportation

Seit 2013 erinnert eine Wandskulptur in der Griegstraße 75, dem ehemaligen Unternehmenssitz der MOPO, an die sowjetischen und polnischen Zwangsarbeiter/innen, die seit 1941 in der Sternwoll-Spinnerei auch zur Grantenproduktion eingesetzt wurden. Im vergangenen Jahr ergab die Recherche, dass hier ab 1944 italienische Militärinternierte zur Zwangsarbeit schuften mussten. Jetzt habe ich herausgefunden, dass das Unternehmen über das Arbeitsamt seit 1939 auch jüdische Menschen aus Hamburg zur Zwangsarbeit ausbeutete.

Sie mussten in so genannten Judenkolonnen arbeiten. Leider weiß ich noch nicht sehr viel. Aber es waren die „arischen“ Unternehmen, die sich an das Arbeitsamt wegen nötiger Arbeitskräfte gewandt haben. Die „Akte Arbeitsamt Hamburg“ in der NS-Zeit wird immer dicker. Das man diese Unterlagen im Staatsarchiv bisher überhaupt nicht angefasst hat, lässt mich zur Zeit verärgert zurück.

Hedwig Cohn wohnte mit ihrem Sohn, Hans-Werner und ihrer Mutter, Pauline, in Wandsbek-Hinschenfelde, in der Albertstraße 1, bevor sie 1942 hier ausziehen und am Ende in einem „Judenhaus“ in der Schlachterstraße in der Hamburger Neustadt leben mussten.


Bis 1932 war Hedwig Cohn als Vorarbeiterin bei einer Kakaofirma beschäftigt, die zur Schokoladenfabrik (Neumann-)Reichardt gehörte. Nach deren Schließung wurde sie 1933 arbeitslos und fand seit der Machtübernahme der Nazis in Hamburg als Jüdin keine Arbeit mehr.  Sie mussten von der Fürsorge leben. Pauline und Hedwig Cohn konnten wegen ihrer geringen Einkünfte jetzt keine Gemeindesteuer mehr entrichten.

Ab 1938 Zwangsarbeiterin in „Judenkolonnen“ in der Sternwoll-Spinnerei

1938 wurde Hedwig Cohn vom Arbeitsamt gezwungen, in einer sogenannten Judenkolonnen in der Sternwoll-Spinnerei zu arbeiten, von anderen Arbeitskräften abgesondert. Diese „Judenkolonnen“ wurde reichsweit über das Arbeitsamt organisiert. Noch ist wenig über dies Zwangsarbeitseinsätze jüdischer Menschen in der Sternwoll-Spinnerei bekannt. Hedwig Cohn verdiente 1940 gerade einmal 18 RM pro Woche brutto und musste davon noch ihren Sohn und ihre Mutter unterstützen, deren Hinterbliebenenrente 35 RM monatlich betrug. 

Über die so genannten Judenkolonnen in Deutschland

Am 20. Dezember 1938 ordnete Friedrich Syrup, Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an, dass alle erwerbslose Juden von den Arbeitsämtern zum “Geschlossenen Arbeitseinsatz” verpflichtet werden sollen.  Es sei „anzustreben, alle arbeitslosen und einsatzfähigen Juden“ beschleunigt zu beschäftigen. In dem Schreiben wurde hervorgehoben, dass Juden stets abgesondert von der übrigen Gefolgschaft einzusetzen seien.  Mitte 1941 waren rund 90 % aller einsatzfähigen “reichsdeutschen” Juden zum Zwangseinsatz herangezogen. Die geltende Bestimmungen für Lohnzuschläge, Familienzulagen, Lohnfortzahlung sowie Jugend- und Arbeitsschutz für die zwangsbeschäftigten Juden außer Kraft gesetzt.

Die Hamburger Wohlfahrtsbehörde hatten bereits im Sommer 1938 die Initiative zur Zwangarbeit von jüdischen Menschen ergriffen und wiesen sie in ein außerhalb Hamburgs liegendes Lager zur Arbeit ein. Ein Arbeitslager für Juden befand sich vor Kriegsbeginn z. B. in Harsefeld/Krs. Stade, cines von mehreren auf Initiative der Hamburger Fürsorgebehörde im Umland eingerichteten Lager, in dem ca. 30 Hamburger Juden bei der Fa. Emil Schmidt, Tief- und Straßenbau, Erdarbeiten leisten mußten. Zu ihnen gehörten auch Ewald Markowitz, der in der Burchardstraße 12 lebt. Im Oktober 1938 waren 200 Juden aus Hamburg, die Arbeitslosenunterstützung oder Notstandshilfe erhielten, im Landesarbeitsamtsbezirk Wien bei städtischen Arbeiten eingesetzt. Aus den Erzählungen der jüdischen Menschen wie z.B. Kurt Goldschmidt  ist aber auch bekannt, dass sie in Rüstungsunternehmen arbeiten mussten.

Friedrich Syrup (NSDAP) war von 1936 bis 1942 für den Arbeitseinsatz in Deutschland zuständig und befasste sich in verantwortlicher Position mit der Organisation der NS-Zwangsarbeit in Deutschland

In einer Besprechung in Berlin wurde im Oktober 1938 die Erwartung geäußert, durch den erzwungenen Arbeitseinsatz werde auch der Auswanderungsdruck gesteigert.  Am 19. Oktober 1938 ordnete Friedrich Syrup an, alle erwerbslosen Juden zu erfassen. 1. Dezember 1938 nahm eine Zentraldienststelle für Juden beim Arbeitsamt ihre Tätigkeit auf. Das Amt wies erwerbslose Juden in schlecht bezahlte und körperlich belastende Tätigkeiten ein. Am 20. Dezember 1938 gab Syrup „mit ausdrücklicher Billigung“ Görings einen Erlass für den Arbeitseinsatz der Juden heraus. 

Der Arbeitseinsatz schützte nicht vor der Deportation, sondern schob günstigstenfalls den Zeitpunkt hinaus. 

Über Hedwig, Pauline und Hans-Werner Cohn

Hedwig Cohn, geboren am 21. März 1887, lebte seit 1925 mit ihrer Mutter, Pauline Cohn, geboren am 14. Juli 1861 in der Albertstraße. Ihr Sohn, Hans-Werner Cohn wurde am 27. März 1927 geboren.  Er ging in Hinschenfelde zur Volksschule. Seit 1933 wurde die Anzahl jüdischer Schülerinnen und Schüler an dem Volksschulen beschränkt und ab 1935/1936 mussten sie die “arischen” Schulen verlassen. 

Hedwig Cohn, ihr Sohn und Mutter wurde an 15. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße nach Theresienstadt deportiert. Am 20. Juli 1942 kamen sie dort an. 

Etwa sechs Monate später, am 29. Januar 1943, wurden Hedwig Cohn und ihr Sohn Hans-Werner nach Auschwitz weiter deportiert, wo sie am 1. Februar 1943 ermordet wurden. Ihre Mutter, Pauline Cohn, blieb im Getto Theresienstadt zurück. Sie starb dort am 1. April 1944. 

Ein Stolperstein erinnert an Hedwig, Pauline und Hans-Werner Cohn in Wandsbek

Die Albertstraße 1 in Hinschenfelde/Wandsbek gibt es nicht mehr. Heute steht hier eine Fabrik. Die Straße, in der drei Stolpersteine liegen, heißt jetzt Dorfstücken. Vor den Dorfstücken 2 liegen drei Stolpersteine. Einer erinnert an Hans-Werner Cohn. 

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