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Holger Artus

Noch einmal über Flora Neumann und den Besuch der ANEI im Karolinenviertel

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Jetzt habe ich noch einmal eine Nachbarschafts-Info in der Karolinenstraße und Marktstraße verteilt, um meine Geschichte zum Rundgang am 9. September 2021 im Karolinenviertel mit ANEI zu erzählen. Da es die Orte waren, in den Flora und Rudi Neumann lebten und arbeiteten, habe ich sie darauf gedreht.

Auch wenn ich nicht unmittelbar im Karolinenviertel wohne, sondern in der Nähe des Sternschanzen- parks, bin ich im Zusammenhang mit einem Besuchs aus Italien mit einigen Abschnitten der NS-Geschichten aus dem Karolinenviertel konfrontiert worden.

Bei meinem Besuch handelt es sich um eine Vertretung der Nationalen Vereinigung der italienischen Militärinternierten (ANEI). Sie sind im Hamburg, um Orte zu besuchen, in denen italienische Militärinternierte als Zwangsarbeiter in der NS-Zeit leben oder arbeiten mussten. Am 9. September 2021 sind wir mit ihnen um 16  Uhr in der Flora Neumann Straße/Ecke Glashüttenstraße. Zwei Verwandte von Flora Neumann, nach der bei Ihnen im Karolinenviertel eine Straße benannt wurde, werden uns begleiten. Ich möchte den Vertretern/in von ANEi nicht nur etwas über Zwangsarbeitslager, sondern auch etwas über Flora Neumann erzählen.

Flora Andrade war 1911 geboren und war mit Rudi Neumann seit 1931 verheiratet. Nach dem Besuch der Israelitischen Töchterschule in der Karolinenstraße 35 arbeitete sie später in der Sternwoll-Spinnerei in der Nähe der S-Bahnstation Bahrenfeld. Mit dem Machtantritt der Nazis änderte sich ihr ganzes Leben. „Ich durfte als Jüdin seit 1933 sowieso nicht mehr arbeiten und wohnte zur Untermiete in der Rutschbahn auf einem Zimmer. Ich bekam von der Wohlfahrt Unterstützung”, schrieb sie in ihren Erinnerungen 1991. Rudi Neumann wurde mehrfach von den Nazis verhaftet und 1934 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Während der Gefängniszeit kam ihr Sohn Bernd im Israelitischen Krankenhaus in der Eckernförder Straße, heute Simon von Utrecht Straße, zur Welt. Mehr schmunzelnd erzählt sie später über den ersten Kontakt von Rudi und Bernd: “Als Berni zwei Monate alt war, fuhren wir ins Gefängnis nach Fuhlsbüttel. Rudi freute sich, aber Bernie schrie so, dass wir unser Wort nicht verstehen konnten. Ihm gefiel der Ort wohl nicht, wo sein Vater war. Das kann man verstehen.” Rudi Neumann war 1907 geboren und hatte Elektriker gelernt. Früh hatte er sich in der KPD organisiert. Kennengelernt hatten sich beide über JJA (“Jüdischen Jungarbeiter”), im Jugendheim in der Johnsallee. 

1938 floh Rudi nach Belgien. Flora kam kurz später in Brüssel an. Hier waren sie weiterhin im Widerstand gegen Hitler aktiv. Seit 1940 wurde Rudi in einem Internierungslager festgehalten. Ihren Sohn Bernhard konnten sie in einem belgischen Kloster verstecken. Flora lebte weiter illegal in Brüssel, wurde aber 1943 verhaftet und in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Dort wurde sie misshandelt, u.a. mit  medizinischen Experimenten. Sie überlebte nicht nur das KZ Auschwitz, sondern auch den Todesmarsch 1945 Richtung Westen in das KZ Ravensbrück. 

Nach der Befreiung am 8. Mai 1945 traf sie ihren Mann, der das KZ Buchenwald überlebt hatte, in Brüssel wieder. Zusammen mit ihrem Sohn lebten sie dort bis 1950. Im Januar 1951 kehrten sie nach Hamburg zurück und wohnten zuerst in der Karolinenstraße 26, im Haus 12, bei Rudis Schwester Theresa und dessen Mann, Julius Behnken. Später zogen die Neumanns in die Karolinenstraße 4. Im Februar 1952 hatte Flora Neumann mit ihrem Mann einen “Waschsalon”  in der Marktstraße 13 eröffnet. Diese kleine Frau, mit ihren 1,44 m, hatte mit ihrem Mann und Sohn den Holocaust überlebte.  Bis ins hohe Alter hatte Flora an Hamburger Schulen als Zeitzeugin Tausende von Schülerinnen und Schüler über die Nazi-Zeit und ihre Greueltaten aufgeklärt. 2005 verstarb sie im Alter von 94 Jahren. 2010 wurde ein Teil der Grabenstraße zur Flora Neumann Straße. 

Vor der ehemalige Schule in der Kampstraße 60, heute Flora Neumann Straße 3, werde ich mit dem Besuch einen Stopp einlegen. Hier war ein Zwangsarbeitslager für italienische Militärinternierte bis Mai 1945. Von hier wurden sie zu den Arbeitsorten gebracht. Erzählen werde ich auch über Dorothea Elkan und Satow, die in der Schule für Schwerhörige in der Kampstraße 58 unterrichteten. Sie wurden aber 1933 von den Nazis aus dem Schuldienst vertrieben, weil sie Juden waren. 

Was waren Italienische Militärinternierte (IMI)? Es handelte sich um eine Bezeichnung der Nazis für italienischen Kriegsgefangenen, die im September 1943 von der deutschen Wehrmacht gefangen genommen wurden. Bis dahin war Italien Verbündeter Deutschlands. Nach dem Sturz Mussolinis hatte die neue Regierung ein Waffenstillstand mit den Alliierten vereinbart. Daraufhin wurden die italienischen Soldaten festgenommen und vor die Alternative gestellt, an der Seite der Wehrmacht oder Gefangenschaft. Die meisten wollte nicht mehr Hitlers Krieg unterstützen. 600.000 wurden nach Deutschland verschleppt und als Zwangsarbeiter eingesetzt. Da sie ehemals Verbündete waren, wurden sie als „Verräter“ in Deutschland ähnlich schlecht behandelt wie die “slawischen Untermenschen”, die sowjetischen Zwangsarbeiter/innen. 50.000 Italienische Soldaten verloren ihr Leben in Deutschland. 

Bei Ihnen im Karolinenviertel war noch ein weiteres Zwangsarbeitslager für die italienische Miltitärinternierten: In der ehemaligen Schule Laeiszstraße 18 war im Oktober 1943 Platz für 200 IMIs geschaffen worden. Gefunden habe ich auch 17 italienische Zwangsarbeiter, die im Fernheizwerk der HEW in der Karolinenstraße 39 arbeiten mussten. Heute befinden sich hier vor allem die Neubauwohnungen der HANSA-Baugenossenschaft.  Erzählen werden ich meinen Gästen auch über „Sozialwerk des Handwerks“, dass in der Kampstraße 55, heute Flora Neumann Straße 10,  dasn eine Großkantine betrieb und dafür ebenfalls IMIs einsetzte. 

Wir werden einige Zeit auf dem Hinterhof der damaligen Volksschule Kampstraße verweilen, auch, um die tragische Geschichte der Regenmäntelfabrik Steinburg & Co. erzählen.  Das Unternehmen hatte seine Produktion in der Bellealliancestraße 58 im Weidenviertel, in unmittelbarer Nähe der U-Bahn Station Christuskirche und war Besitzerin der Häuser in der Glashüttenstraße 78/79.  1938 mussten die jüdischen Eigentümer diese Immobilien an einen „Arier“ verkaufen, vorher bereits hatten sie die Fabrik geraubt. Es produzierte Mäntel für die SA und SS und setzte im 2. Weltkrieg 50 sowjetische Zwangsarbeiterinnen ein, die in einem Häuser-Abschnitt in der Glashüttenstraße 78/79 lebten, wenn sie nach der Arbeit in der Bellealliancestraße 58 hierher kamen. Sprechen werde ich auch noch über den Raubkauf jüdischen Eigentums in der Glashüttenstraße 40. Das Unternehmen Adolf Hinrichsen & Co., eine Korsettfabrik, musste sie 1939 wie die gegenüberliegenden jüdische Hauseigentümer in der Glashüttenstraße 78/79, Steinburg & Co., an einen “Arier” verkaufen. Sie sehen heute noch das Firmenlogo des damaligen jüdischen Unternehmens am Gebäude. 

Mein Besuch endet an dem Tag in der Gedenkstätte in der Israelitischen Töchterschule in der Karolinenstraße 35, in der auch Flora Neumann zur Schule ging, um über die jüdischen Opfer zu sprechen.

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