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Holger Artus

Über die sowjetischen Zwangsarbeiterinnen in der Bellealliancestraße 58 und einen Raubkauf

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Jetzt bin ich auch über einen Raubkauf jüdischen Eigentums in der NS-Zeit durch „Arier“ in der Belleallianestraße 54 bis 58 gestolpert. Bereits in den Nachbarhäusern in der Bellealliance Straße 60 und 62 wurden jüdische Menschen von den Nazi zum Verkauf ihres Eigentums gezwungen, wurden am 9. November 1938 während der Pogrome ins KZ gesperrt oder später ermordet. Der Raubkauf der Häuser in der Bellealliancestraße 54-56 und das nicht mehr bestehenden Hinterhaus in der Bellealliance steht im Zusammenhang mit dem Einsatz von sowjetischen Zwangsarbeiterinnen. Darüber habe ich am 30. August 2021 die heutigen Mieter*innen informiert.

Bei der Planung eines kurzen Rundgangs mit italienischen Gästen durchs Karolinenviertel in der kommenden Woche will ich denen etwas zu den dortigen NS-Zwangsarbeitslagern erzählen. Dabei soll es auch um die Glashüttenstraße 78/79 gehen. In der Recherche zur NS-Geschichten dieser Adresse landete ich aber der Bellealliancestraßen und der Fettstraße. Ich fand in der Fettstraße 26-28 ein Unternehmen, dass sich in der NS-Zeit am Bau von Konzentrationslager und Barackenlager für Zwangsarbeiter*innen beteiligte. Im Hinterhof der Bellealliancestraße 58 wurden 50 sowjetische Zwangsarbeiterinnen gezwungen, zu arbeiten. Heraus kam auch ein Raubkauf der Häuser in der Bellealliancestraße 54-56 durch zwei „arische“ Erwerber, an die der jüdische Besitzer 1939 die Häuser verkaufen musste.

Der Reihe nach: Mein Besuch sind Vertreter der Nationalen Vereinigung der italienische Militärinternierten (ANEI), einer Organisation ehemaliger italienische Zwangsarbeiter, die von 1943 bis 1945 im Nazi-Deutschland leben und arbeiten mussten. Heute sind es vor allem Angehörige, die sich in ANEI organisieren. Ich bemühe mich um deren Besuchsprogramm in der zweiten Septemberwoche in Hamburg. An einem Tag bin ich mit ihnen hier im Wohngebiet. Im Schanzenviertel besuchen wir die Ganztagsgrundschule Sternschanze. Hier war ein Zwangsarbeitslager für 400 italienische Militärinternierte. Wir sind zu Besuch im „Montblanc- Haus“ in der Schanzenstraße 75/77. Montblanc beutete hier italienische Zwangsarbeiter aus. Sie lebten in der Schilleroper auf St. Pauli. Im Karolinenviertel ist eine weitere Station die Glashütten- straße 78/79. Hier mussten, aus der Heimat verschleppt, 50 sowjetische Zwangsarbeiterinnen leben. Erzählen werde ich auch etwas über das Vordergebäude, die damaligen Volksschule in der damaligen Kampstraße 60. Hier war ein Zwangsarbeitslager für 500 italienische Militärinternierte/Zwangsarbeiter.

Bellealliancestraße 54-56 und 58

Die Häuser in der Bellealliancestraße 54-56 gehörten Hans Steinberg. Ihm gehörte auch die harefa-Atlantic Hamburger Regenmäntelfabrik Steinberg & Co. in der Bellealliancestraße 58. Heute gibt es den Gewerbekomplex hinter ihren Häusern in der Bellealliancestraße 54-56 bzw. der Fettstraße 34-38 nicht mehr. Vielleicht gibt es aber noch Mieter*innen, die sich daran erinnern können? Hans Steinberg war Jude und sah sich gezwungen, sein Unternehmen, die Harefa-Atlantic, 1936 an einen „Arier“ zu verkaufen, Walter Sittig. Es gibt noch Bilder vom Gebäudekomplex in der Bellealliancestraße 58, aber ich habe nicht die Nutzungsrechte, sie hier abzudrucken. 

1938 mussten die Steinbergs auch ihre Mietshäuser in der Bellealliancestraße 54-56 und der Glashüttenstraße 78/79 an Sittig (und Kurt Broschek) verkaufen. Juden durften kein Eigentum mehr haben und wurde zur Veräußerung gezwungen. Man sprach damals von der so genannten “Arisierung”, für mich war es ein Raubkauf. 

Sowjetische Zwangsarbeiterinnen in der Bellealliancestraße 58

Walter Sittig produzierte u.a. Mäntel für die SS und SA. Das Unternehmen beschäftigte damals über 300 Menschen, von denen immer mehr als Soldaten an die Kriegsfront abgezogen wurden. Sittig brauchte Ersatzarbeitskräfte und setzte 50 sowjetische Zwangsarbeiter in seiner Fabrik in der Bellealliancestraße 58 seit November 1942 ein. Die sowjetischen Frauen mussten am Ende des Arbeitstages in die Glashüttenstraße 78/79 gehen. Eine Nachbarin aus dem Karolinenviertel erzählte mir, dass man sie Abends ihre Lieder singen hören konnte und das ihre Mutter ihnen heimlich Lebensmittel gab, um deren schwere Lage etwas zu verbessern. Sie müssen dazu wissen: Wurde man erwischt, drohte in der NS-Zeit Gefängnis oder schlimmeres.

Fettstraße 26-28

Das Unternehmen Kohl, Neels & Eisfeld hatte seinen Sitz in der Fettstraße 26/28. Es gibt es heute nicht mehr. Der Heizungsbauer war u.a. am Bau von Zwangsarbeitslager und KZ-Einrichtungen beteiligt. Dafür setzte es Zwangsarbeiter aus vielen Ländern ein, dazu gehörten ab Ende 1943 auch italienische Militärinternierte. Sowohl die Namen der sowjetischen Zwangsarbeiterinnen bei der harefa-Atlantic als auch italienischen Zwangsarbeiter bei Kohl, Neels und Eisfeld hatte ich vor kurzen gefunden.

In Hamburg waren insgesamt über 15.000 italienische Militärinternierte als Zwangsarbeiter beschäftigt. Insgesamt waren es rund 500 Hamburger Unternehmen, die IMIs einsetzen. Sie wurden auf 200 Lager verteilt. Etwa 1.400 IMIs verloren in Hamburg ihr Leben. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden bei uns in den Straßenzügen nicht nur in ihrem Hinterhof in der NS-Zeit eingesetzt. Gefunden habe ich weitere Unternehmen, die sie u.a. für ihre Rüstungsproduktion in der Weidenallee 10b oder 37,  in der Fruchtallee 32 oder im Kleinen Schäferkamp 50 einsetzen. Von 1939 bis 1945 wurden über 500.000 Zwangsarbeiter*innen aus über 30 Ländern in Hamburg von den Unternehmen als Arbeitssklaven eingesetzt. 

Am 9. September 2021 bin ich mit meinem italienischen Besuch um 16 Uhr vor der Glashüttenstraße 78/79. Ich werde dann auch über die sowjetischen Zwangsarbeiterinnen in der Bellealliancestraße 58 erzählen, vorab wollte ich es Ihnen aber geschrieben haben. 

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