Für eine Web-Veröffentlichung des studentischen online-Magazin hamburgische-geschichten.de hatten mich netterweise Kim Scheffler und Natalia Wollny angesprochen. Inhaltlich geht es um die italienischen Militärinternierten als eine weniger im Blick befindliche Zwangsarbeitsgruppe in der NS-Zeit in Hamburg. Herausgekommen ist ein Interview, dass man auf der Web-Seite lesen kann. Habe (zu) viel gesabbelt, so dass es schon eine Herausforderungen für sie war, dass wesentliche vom gelaber zu trennen. Vielen Dank, dass ihr am mich gedacht und euch die Mühe gemacht habt.
KS: Wie bist du auf das Thema gekommen und warum interessieren dich die italienischen Militärinternierten?
HA: Das war ein Zufall. Ich wusste nicht, dass es in dem Lager im Heinrich-Bauer-Haus im Kontorhausviertel um italienische Militärinternierte ging. Ich wusste nur, dass im Heinrich-Brauer-Haus Zwangsarbeiter waren. Ich hatte nach einem Zwangsarbeiterlager recherchiert und glaubte, dass es möglicherweise ein Lager für das Unternehmen war. Was aber eine falsche Annahme war.
NW: Wo hast du recherchiert? Wo hast du mit deiner Recherche angefangen?
HA: Die Grundquelle war „Die Zwangsarbeit in Hamburg“ [Anm. d. Redaktion: Der vollständige Titel lautet „Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939-1945“] von Littmann. Darin war auch ein Verweis, dass es ein Kriegsgefangenenlager in der Burchardstraße gab. Wobei sie das alles nicht zuordnen konnte und beim recherchieren ihrer Quellen bin ich schier verzweifelt, was auch mit der Veränderung der Nummernvergabe im Staatsarchiv zu tun hatte. Ich habe ausschließlich im Staatsarchiv gesucht und mich dort monatelang durchgewühlt. Am Ende habe ich unter der Finanzbehörde recherchiert. Hier fand ich den Nachweis von Zahlungen der Nazis an das Unternehmen. So habe herausgefunden, dass sie ca. 1.400 Reichsmark im Monat bekommen haben. Zur Recherche im Staatsarchiv gehörten auch die Namen der italienischen Militärinternierten. Sie fand ich dann in der Hausmeldekartei. Zum Schluss ist dann noch vieles mehr aufgeploppt, vor allem durch das Arolsen Archiv.
KS: Hast du die Recherche allein vorgenommen oder hattest du Mitstreiter?
HA: Ich habe das komplett allein gemacht, das ist auch praktikabler, wenn man sich im Staatsarchiv durchwühlt. Das Auffinden, das Suchen, also die Struktur zu finden, anhand dessen ich sagen kann, jetzt kann ich einen Faden aufnehmen, ist m. E. mit vielen Umwegen verbunden. Ich hatte aber im Laufe der Recherche mit Historiker*innen, auch von der FZH, Kontakt aufgenommen, um die Dokument richtig in die Zeit und historischen Prozesse einordnen zu können. Von denen gab es immer wieder tolle Impulse.
NW: Warst du selbst auch beschäftigt bei der Bauer Media Group?
HA: Nein. Mein Frau, Kersten, war 35 Jahre bei Bauer gewesen. Sie war Betriebsrats- und Konzernbetriebsratsvorsitzende. Ich selbst war bei der Hamburger Morgenpost beschäftigt. Dort war ich fast 35 Jahre Interessenvertreter. Da es die gleiche Branche ist, Medien, und wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sind und zu denen gehört haben, die das Maul aufgerissen haben, gab es auch immer Bezüge für mich zur Bauer Media Group.
NW: Hast du bei der Recherche Schwierigkeiten von Seiten der Bauer Media Group bekommen? Oder gab es von Anfang eine Kooperation?
HA: Bevor meine Frau und ich diese “Bauer-Geschichte” umgesetzt haben, haben wir versucht, über verschiedene Kanäle Kontakt zum Unternehmen aufzunehmen. Aber sie haben nicht reagiert. Ich hatte kein Ärger, aber ich war ja auch nicht Beschäftigter. Wenigstens glaube ich, dass in dem Fall alles anders verlaufen wäre. Am 8. September letzten Jahres, nach einer Kundgebung vor der Bauer Media Group, ist das Unternehmen das erste Mal auf mich zugetreten und hat im Bezug auf meine Unterlagen gesagt, sie würden sie gerne haben. Losgeworden bin ich sie bis heute nicht. Es blieb bis zum 13. Februar 2021 – dem Tag der Stolperschwellen-Verlegung – ein schwieriger Prozess. Im September 2020 hatte Bauer avisiert, sie übernehmen die Restfinanzierung der Stolperschwelle. Im Januar 2021 vollzogen sie eine Kehrtwendung und waren trotz diverser Gespräche und Gesprächspartner nicht mehr dazu bereit. Bis zum vorletzten Tag vor dem 13. Februar 2021, da gab es eine Medienanfrage an Bauer, ob es zutreffe, dass sie die Stolperschwelle nicht bezahlen. Dadurch wurden sie m.E. gezwungen, sich neu zu verhalten und sagten eine Zahlung zu.
NW: War die Stolperschwellenverlegung am 13. Februar eine natürliche Konsequenz der Kundgebung am 8. September? Hat es schon vorher Überlegungen in Richtung von Stolpersteinen oder einer Stolperschwelle, also eines Zeichens dort vor Ort, gegeben?
HA: Als wir im September 2019 bei Bauer angefragt hatten, gab es keine Antwort des Unternehmens. Wir hatten immer verschiedenen Optionen beim Vorgehen im Blick. Am Ende wurde es seit November 2019 die Abfolge: Zuerst die NS-Geschichte über Alfred Bauer – der in der NSDAP war – im Spiegel, dann die Kundgebung am 8. September 2020, dann die Stolperschwellenverlegung. Das war so geplant und so angelegt.
NW: Arbeitest du mit ANEI (Associazione Nationale Ex Internati) zusammen?
HA: Es gibt einen engen Austausch mit ANEI, aber auch anderen Vereinigung in Italien, wie die ANED, die sich mit den italienischen Militärinternierte in den KZ beschäftigen. ANEI konzentriert sich auf die die Italiener in den Zwangsarbeitslagern. Die Herausforderung von ANEI liegt m.E. vor allem in den Anfragen der „Enkel-Generation“ der 1943 gefangen genommen italienischen Soldaten. Nach Angaben von ANEI haben sie 6 – 7 Anfragen pro Tag. Die Datenbestände dort, so mein Eindruck, ist allein auf Grund personeller Ressourcen, nur bedingt gegeben. Ohne unsere „deutsche“ Zuarbeit wüsste ich auch nicht, wie man in Italien sich einen Überblick verschaffen wollte. Ich bin jetzt auch in italienische Foren zu den italienischen Militärinternierten gegangen, in denen tausende italienische Bürger*innen nach den Geschichten ihrer Angehörigen fragen.Italienische Ehrengrabanlage auf dem Friedhof Öjendorf, Hamburg.Italienische Ehrengrabanlage auf dem Friedhof Öjendorf, Hamburg.
Bild: Natalia Wollny
NW: Ich glaube, das Problem ist auch, dass es für Kriegsgefangene und italienische Militärinternierte keine große Interessensgemeinschaft gibt und keine Institution, die sich explizit mit ihrem Schicksal beschäftigen würde. Neuengamme beschäftigt sich viel mit den KZ-Häftlingen und durch die Errichtung des denk.mal Hannoverscher Bahnhof auch mit der jüdischen Geschichte und es gibt auch das Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Zu den zivilen Zwangsarbeiter*innen gab es Projekte. Aber zu Kriegsgefangenen gibt beispielsweise die Behörde keine Fördermittel. Das Erinnern wird nur durch private Initiativen gemacht.
HA: Neuengamme argumentiert, dass sie nicht zuständig seien. Ich verstehe das auch. Wir führen zudem Gespräche mit der Kulturbehörde. Die interessiert m.E. eine Frage: Was kostet sie das. Diese Rahmenbedingungen sehe ich auch. Ich erlebe Neuengamme nicht nur in Bezug auf die italienischen Militärinternierten, sondern auch in vielen anderen Themen. Ich ziehe den Hut vor allem was sie tun, was sie wissen, wie sie sich bemühen und was für ein Anlaufpunkt Neuengamme ist.
KS: Für dich hängt Gedenken auch mit Entschädigung zusammen?
HA: Für mich muss Gedenken auch von einem Handeln, nicht zwangsläufig Entschädigung, begleitet sein. Allerdings meine ich, dass es einer Entschädigung der italienischen Militärinternierten bedarf. Es ist m.E. eine historische Schuld, die man wenigsten symbolisch mit Entschädigungszahlungen aufarbeiten kann. Ich bereite im Schanzen- und Weidenviertel gerade eine Geschichte für den 2. April vor und beschäftige mich z.B. mit den ermordeten Schülerinnen der Israelitischen Töchterschule. Man sitzt vor diesen Akten und in Teilen schämt man sich, in Teilen ist es einfach nur traurig. Erinnerung heißt auch, traurig sein zu dürfen. Das ist das eine. Aber das andere ist auch, wenn ich nur traurig oder demütig bin, muss ich mich politisch mit Blick auf das heutige Geschehen verhalten. Der AfD, irgendwelchen anderen Rassist*innen, Antisemit*innen darf man den Platz nicht überlassen. Die rassistischen Morde in Hanau sind vor einem Jahr gewesen. Ein Beispiel, wo Rassismus hinführen kann. Für mich heißt diese Art der Erinnerungsarbeit, auch zu gucken, wo finde ich einen ernsthaften Bezug zu dem, was ich heute tun kann.
NW: Die abschließende Frage: Holger, was wäre dein Wunsch für das Gedenken an die italienischen Militärinternierten in Hamburg, in der Hamburger Öffentlichkeit?
HA: Mein Wunsch wäre es, dass es im KZ Neuengamme [Anm. d. Red.: KZ-Gedenkstätte Neuengamme] eine Anlaufstelle gäbe, wo die italienischen Organisationen anfragen könnten. Das Staatsarchiv tut es nicht, kann es nicht, hat vermutlich nicht die Ressourcen dafür. Das ist das eine. Und politisch… Naja, würde ich mir wünschen, dass die Stadt Hamburg sich in verschiedenen Bereichen aufstellt. Es wird überhaupt nicht zu den italienischen Militärinternierte mehr geforscht. Auch wünsche ich mir ein neues Herangehen der Schulbehörde. Die italienischen Militärinternierten sind 1943 auf rund 20 Schulen verteilt worden. Die Schulbehörde sieht es aber nicht als zentrale Aufgabe an, sondern verortet es auf die einzelne Schule. Dabei könnte sie viel machen, vor allem den einzelnen Schulen mit zentralen Recherchen und Projekten helfen, so dass man sich dann damit beschäftigt, ob und was man “vor Ort” macht. Aber ich sehe auch, die italienischen Militärinternierten sind eine kleine Gruppe von Zwangsarbeitern gewesen und es wäre an der Zeit, dass in der Stadt Hamburg zur Zwangsarbeit eine Strategie geschaffen wird, wie das aufbereitet wird. Es sollte nicht alleine der Zivilgesellschaft überlassen werden.