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Holger Artus

Eine Reise in die Vergangenheit eines Unternehmens

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Im August 2019 begann für mich eine Reise, mit dessen Verlauf ich damals in dem Umfang und der Tiefe nicht gerechnet hatte. Im Hamburger Staatsarchiv entdeckte ich das Entnazifizierungsverfahren aus 1949 von Alfred Bauer, der seit 1935 Geschäftsführer der Heinrich Bauer OHG, der heutigen Bauer Media Group, war. Schon wiederholt erklärt, war es ein reiner Zufall und nicht das Ziel meiner Recherche.

Ich war schlecht gelaunt im Staatsarchiv gewesen, weil ich schon wieder an den Signaturen gescheitert war und meinen Frust in der Beratung an sich abgelassen. Und dann passierte es: „Es gibt eine Akte über Bauer, aber wir wissen nicht, was da drin enthalten ist. Es kann ein leerer Aktendeckel sein.“ Bauer war deshalb Thema, weil ich 2014 und 2016 nach dem Zwangsarbeitslager im Heinrich Bauer Haus gesucht hatte und es als Beleg anführte, wie ich immer wieder in die Irre geführt/beraten wurde. Das Thema selber hatte ich schon längst gefrustet aufgegeben.

Die Einsicht in das Entnazifizierungsverfahren von Alfred Bauer umfasste 16 Seiten. Daraus ergab sich im wesentlichen nur, dass er in der NSDAP war.

Staatsaechiv Hamburg, 313-9_4910

Die in der Akte aufgeführten Schreiben von Geschäftspartnern bescheinigtem ihm, dass er eigentlich ein „netter Kerl“ sei. Vereinzelt habe man jüdisches Eigentum gekauft, aber sie sollen sogar froh gewesen sein, an ihn verkaufen zu können. Mit den 16 Seiten begann eine Reise und es wurden über tausend Dokumente, die ich über die Monate fand.

Ein Historiker, so die Absichtserklärung der Bauer Media Group von Mitte Januar 2020, soll sich mit der Geschichte der Unternehmensgruppe und Gesellschafter in der NS-Zeit beschäftigen. Da ich keiner bin, habe ich nur einen moralischen Blick auf die Papiere, kann vieles nicht in die konkrete Zeit und Lage/Situationen einordnen. Dennoch sprechen m.E. die Fakten für sich. Nach meiner Meinung unternahm Alfred Bauer viele Täuschungsversuche, um über seine NSDAP-Zeit und der Rolle des Unternehmens in und nach der NS-Zeit zu täuschen.

Staatsaechiv Hamburg, 313-9_4910

Im Laufe der Recherche zu Alfred und Heinrich Bauer hatte ich das Thema des Zwangsarbeitslagers im Heinrich-Bauer-Haus in der Schützenpforte 11 wieder aufgenommen. Andere Geschichten aus den Akten sind noch nicht recherchiert, aber die Fragestellungen stehen für mich fest. Sollte es der Historiker nicht ans Licht bringen, vielleicht gehe ich auch diese Themen an. Da ich nicht mehr alleine bin, kommen übrigens immer weitere Themen neu dazu. Die letzte Info ist gerade eine Woche alt. Beim Zwangsarbeitslager hatte ich am Ende sehr viele Dokumente zusammen. Auch hier sind immer noch Punkte ungeklärt und ich hoffe, dass die Unternehmenslagen bzw. das Archiv von Heinrich Bauer, wenn es das gibt, Punkte klären kann.

Im September 2019 suchte ich den stillen Kontakt zur Bauer Media Group, nahm das Zwangsarbeitslager zum Aufhänger. Doch es gab keine Rückmeldung, so dass ein anderer Weg gewählt wurde. Zum einen ging es um die Mediengeschichte, die NSDAP-Mitgliedschaft von Alfred Bauer, die Erzählung, wie er sich am jüdischen Eigentum bereicherte, die Rolle der Programmzeitschrift „Funk Wacht“ in der NS-Zeit und ihre Funktion für das NS-Regime. Da das Thema des Zwangsarbeitslager in der Burchardstraße 11 eine weitere zu den anderen zu erzählenden Geschichte gewesen wäre und die Unterlagen nach Mediensicht noch zu dünn waren, änderte sich die weitere Strategie des Vorgehens: Es gibt eine Mediengeschichte zur NS-Zeit der Bauer Media Group und eine zweite zum Zwangsarbeitslager. Wir machen jeweils ein öffentliches Angebot im Viertel und wir setzen auf einen Stolperschwelle-Verlegung. Offene Punkte aus der Bauer-Geschichte werden weiter recherchiert und gezielt platziert. Beim öffentlichen Angebot war es in einem ersten Schritt die Kundgebung am 27. Januar 2020 vor dem Meßberghof, der zweite war die Planung einer Kundgebung vor der Bauer Media Group am 8. September 2020 und die öffentliche Verlegung der Stolperschwelle im 1. Quartal 2021. 

Bewusst wurde die Absicht gewählt, nach der Medienveröffentlichung von Spiegel und ZAPP, mit einem Aufruf zur Kundgebung am 27. Januar 2020 zu erscheinen, der Bauer nicht besonders erwähnt, sondern die Linie verfolgt, dass es im Kontorhausviertel es viele rechte Spuren gab, die man nicht vergessen darf. Da der 27. Januar 2020 der 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz war, in dem Zyklon B gegen die KZ-Insassen eingesetzt, von Tesch&Strebenow produziert und vertrieben wurde, die ihren Sitz im Meßberghof hatte, war dies ein zentrales Bild für die rechten Spuren im Viertel. Dazu recherchierten wir noch einmal zu den Raubkäufen jüdischen Eigentums, zu den Stolpersteinen und zur Zwangsarbeit in der Altstadt.

Die Kundgebung am 27. Januar 2021 sollte mit der Ansage ausklingen, dass das Thema der Zwangsarbeit im Viertel noch zu beleuchten sei. Dazu wurde auch die Web-Seite https://Meßberghof.WordPress.com aufgebaut. Neben der Themen-Kontinuität und -Kommunkation ging es auch die Messung der Resonanz.

Mit der Einsicht in die Hausmeldekartei der Schützenpforte 11 (heute Burchardstraße 11) kurz nach der Kundgebung hatten wir den stärksten Beleg über das Zwangsarbeitslager, sei es die Namen, das es sich um ein bewachtes Lager handelte und die ersten Namen der Opfer. Mit einem neuen Recherche-Ansatz, in den Unterlagen der Finanzbehörde zu suchen, ergaben sich weitere Belege. Bis zur Kundgebung am 8. September 2020 wollten wir 500 € für die Stolperschwelle aus den Reihen der Zivilgesellschaft sammeln, so dass wir das Thema der Zwangsarbeit im Kontorhausviertel in den Mittelpunkt stellen konnten.

Mit der Stolperschwellen-Verlegung am 13. Februar 2021 wird das ursprünglich konzipierte Projekt abgeschlossen. Es sind durch die nach der Veröffentlichung von Spiegel und ZAPP fortgeführten Recherchen weitere Informationen bekannt geworden, mit denen aber vorsichtig umgegangen wird. Wünschenswert wäre, dass diese Ergebnisse in die Arbeit des Historikers einfließen. Ob das passiert, hängt am Ende nicht von unserem Willen ab. Seit dem Beginn der Planung denken wir immer in wenigstens drei Fällen aus jeweils zwei Perspektiven. Ein wenig verfahre ich immer wie in meinem kaufmännischen Beruf: es muss immer etwas liegen bleiben.

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