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Holger Artus

Ein Stolperstein für Alfons, Josephine und Ingrid von Halle in der Weidenallee 8

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Um nachharschaftsnah für eine Kundgebung am 15. Juli 2020 vor dem Bahnhof Sternschanze zu werben, habe ich eine Reihe von Infos geschrieben, die jeweils nur um die Adresse eines NS-Opfers in den Häusern verteilt wurden. Wer da nicht wohnte, bekam nichts davon mit. Es sind 20-40 auflagige Infos.

Ein Gesamtblick zur Kundgebung und den Infos im Vorfeld gibt es auf dem Blog www.sternschanze1942.de. Im Vorfeld der Kundgebung, die an die Deportation der jüdischen Menschen am 15. und 19. Juli 1942 erinnern soll, wird ein Stolperstein für Josephine, Ingrid und Alfons von Halle am 27. Juni 2020 verlegt. Über sie habe ich geschrieben. Hier der Wortlaut meiner Nachbarschafts-Info.

Am Sonnabend, 27. Juni 2020, soll gegen 9:30/9:45 je ein Stolperstein im Durchgang der Weidenallee zwischen Nr. 6 und Nr. 12 für Josephine, Inge und Alfons von Halle verlegt werden, die von 1934 bis 1941 in der Weidenallee 8b gelebt haben. Damit soll an drei jüdischen Menschen erinnert werden, denen vom NS-Regime das Leben genommen wurde. Die Vergangenheit unseres Wohngebiets in der NS-Zeit, muss auch heute noch Platz und Zeit haben. Günter Demnig, der Künstler, der die Idee mit den Stolpersteinen 1996 entwickelte, wird die Steine verlegen.

Wer waren Alfons, Josephine und Ingrid von Halle?

Alfons, Josephine und Ingrid von Halle lebten von 1934 bis 1941 in der Weidenallee 8, in den Hinterhaus 8b, das es heute nicht mehr gibt. Sie wurden am 18. November 1941 nach Minsk deportiert, da sie jüdische Menschen waren. 

Alfons von Halle war am 2. September 1902 in Hamburg geboren. Josephine Glück kam 15. April 1890 in Berlin zur Welt. Sie hatten zwei Töchter, von denen die eine, Ilse Lotte (27. Mai 1927) früh verstorben sein muss. Ihre zweite Tochter, Ingrid, wurde am 20. Dezember 1928 geboren. Geheiratet hatten sie am 28. März 1927. Die Mädchen wuchsen in einem Deutschland auf, das nach dem 1. Weltkrieg durch (Hyper)Inflation und Massenarbeitslosigkeit  bestimmt war. Josephine Glück arbeitete als so genanntes “Tagesmädchen”, sprich, sie war Haushaltshilfe bei anderen Familien. Sie hatte keinen Beruf gelernt. Ihr Einkommen war gering und es waren ständig wechselnde Beschäftigungen. Alfons von Halle war von 1916 bis 1920 als Kellner tätig. Er versuchte, nach dem 1. Weltkrieg eine Beschäftigung bei der Marine zu erlangen, was aber nicht klappte. Vorher war er auf dem Dampfer “Kalmar” gefahren. Auf der Suche nach Beschäftigung fand er 1921 Arbeit in Hamburg. 

Bis 1927 ist er als Steward auf verschiedenen Schiffen gefahren, aber auch immer mit Unter-brechungen in der Beschäftigung. Alfons von Halle und Josephine Glück mussten ab Mitte der 1920 immer wieder von der “Fürsorge” leben. Bis 1934 wohnten sie u.a. in der Margaretenstr. 34 in einer Kellerwohnung, die von Amts wegen nicht mehr als bewohnbar anzusehen war. Ihre Lebens-verhältnisse  und -bedingungen belasteten sie und machten beide krank. Ab 1934 lebten beide in Scheidung. Alfons zog in Beim Schlump 38, Josephine von Halle blieb in der Weidenallee 8b. Die Miete in Höhe von 37,30 Reichsmark wurde von der Fürsorge getragen. In einem Krankenbericht über Alfons von Halle heißt es:  “…der sehr elende und in seinem Körperzustand reduzierte, blasse und fettarme und muskelschwache Patient wog 1935 52,7 Kg.” Auch Josephine von Halle wog zu diesem Zeitpunkt um die 50 Kg.

Über die israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße

Ihre Tochter Ingrid ging in die Israelitische Töchterschule in der Carolinenstraße. Heute befindet sich zwar keine Schule mehr in den Räumen in der Karolinenstraße, aber man kann sich in der Gedenkstätte Israelitische Töchterschule ein Bild von dieser ehemaligen Einrichtung, ihrer Schülerinnen, den Lehrerinnen und dem Konzept der Schule machen.

Alfons litt ab 1936 an Tbc. 1937 nach einem Einsatz als Steward auf einem Dampfer, erkrankte er schwer und musste nach Hause fahren. Ihm wurde eine Niere entfernt. Doch das war damals gar nicht so einfach. Die Fürsorgestelle schreibt: “Eine Aufnahme (im Lungenkrankenhaus) Geesthacht ist für Juden nicht zulässig.” Die Operation konnte dann im Israelitischen Krankenhaus vorgenommen werden.  

Am 14. Juni 1938, unmittelbar nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus, wurde er im Rahmen der “Aktion Arbeitsscheu Reich” von der Polizei festgenommen. Deutschlandweit wurden in zwei Verhaftungswellen 10.000 Männer verschleppt, unter denen sich auch 2.300 Juden befanden. Für die Nazis ging es um die so genannten “Asozialen”. Auf Anweisung von Hitlers sollten „zur Erledigung von wichtigen Erdbewegungsarbeiten im gesamten Reichsgebiet asoziale und kriminelle Juden fest-genommen werden.” Einen Monat später schrieb das Fürsorgeamt in seinem monatlichen Bericht am 27. Juli 1938 : “Bei meinem Besuch stellte ich fest, dass Herr v. H. im Konzentrationslager ist, in Sachsenhausen.” Zynisch heißt es in einem Aktenvermerk von 27. August 1938: “Sollte nach ca. 1 Jahr der Ehemann noch in Haft sein …, so dass noch Unterstützung gezahlt werden muss, wird um erneute Aktenvorlage gebeten.” Nach den vorliegenden Unterlagen soll Alfons von Halle am 27. Oktober 1938 aus dem KZ Sachsenhausen entlassen worden sein. Das Israelitischen Krankenhaus bescheinigte ihm, dass sich seine Lage verschlechtern würde, wenn er nach der Operation weiter im KZ bleiben würde.

Der Gesundheitszustand beider Eheleute verschlechtert sich weiter. In dem Fürsorge-Bericht kann man lesen:“Frau v.H. war deprimiert und sah körperlich noch sehr elend aus.” Alfons von Halle kam 1939 wiederholt ins Israelitische Krankenhaus. In dieser Zeit wird ihnen auch keine Unterstützung staatlicher Seite gezahlt. Die Jüdische Gemeinde hilft ihnen mit monatlich 4 RM, aber die Mietschulden steigen. 

Deportation nach Minsk am 18.November 1941

Am 18. November 1911 wurden Alfons, Josephine und Ingrid von Halle nach Minsk deportiert. Sie waren zu diesem Zeitpunkt gezwungen, in dem “Judenhaus” Großen Neumarkt 56 zu wohnen. Das Hertz-Joseph-Levy-Stift wurde von den Nazis in ein sogenanntes “Judenhaus” umgewandelt. Nach der Deportation nach Minsk 1941 verlieren sich die Spuren der Familie.

In jeder Straße im Weidenviertel lebten NS-Opfer

Egal, wo Sie sich in den Straßenzügen rund um die Weidenallee bewegen, in jeder Straße und vor vielen Häusern finden Sie Stolpersteine, die an die NS-Opfer erinnern. Es kommen immer weitere dazu, so kürzlich ein Stein für Walter Tiedt vor der Weidenallee 61. Es gibt immer noch viel mehr NS-Opfer in unseren Straßenzügen als es Stolpersteine gibt. Die Opfer in ihrer Nachbarschaft waren Widerstandskämpfer, ob Kommunisten oder Sozialdemokratie (Schäferstraße 8, Kleiner Schäferkamp 48). Andere wurden ermordet, weil sie krank (Kleiner Schäferkamp 31) oder homosexuell (Weidenallee 65) waren. Massenhaft wurden jüdische Menschen erst gemobbt, dann verfolgt, enteignet, in den Tod getrieben und im KZ ermordet (Weidenallee 8 b, 10, 12, 23, 32, 48/50, 59 ). Es gab in der Schraubenfabrik von Schriever in der Weidenallee 10 b/c ein Zwangsarbeiterlager für 50 sowjetische Kriegsgefangene. Sie produzierten hier Munitionskisten für Hitlers Krieg. 

Kundgebung zur Erinnerung an Massendeportation am 15. und 19. Juli 1942

Am 15. Juli 2020 führen wir um 17.30 Uhr vor dem Bahnhof Sternschanze eine kleine Kundgebung durch, um an die über 1.700 deportierte jüdischen Menschen über die damalige Volksschule Schanzenstraße (heute Ganztagsschule Sternschanze/Altonaer Straße) am 15. und 17. Juli 1942 über den Schulhof zu erinnern. Sie wurden nach an diesen beiden Tagen nach Theresienstadt deportiert. Nur wenige überlebten den 8. Mai 1945.

Hier die Info als pdf.

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