Ansichten

Holger Artus

Der erste Streiktag in der Sächsischen Zeitung 1999

| Keine Kommentare

Was haben Rückblicke für einen Wert? Es ist „gestorbene“ Geschichte, erledigt, kann man gewissermaßen vergessen. In der Broschüre „20 Jahre Streik in der Sächsischen Zeitung“ haben wir einiges vergessenes aufgeschrieben, damit es nicht vergessen wird ;-).

Es war ein aufregender Tag. Am 22. November 1999 wurde eine »unterbrochene« Betriebsversammlung vom 1. November 1999 fortgesetzt. Das Gesetz sieht diese Möglichkeit vor, wenn wesentliche Diskussionspunkte noch offen sind. Für die Interessenvertretungen bedeutet es aber auch, diese Form der öffentlichen Information besser zur Sachverhaltsklärung einsetzen zu können. Das Gesetz sieht insgesamt nur vier Versammlungen im Jahr vor. 

Vorgeschichte der Betriebsversammlung vom 22. November 1999

Die Tage zwischen der unterbrochenen Betriebsversammlung vom 1. November und der am 22. November 1999 waren aber auch sehr ereignisreich. In diese Zeit fielen die gescheiterten Tarifverhandlungen vom 15. November 1999, durch die erst die Option geschaffen wurde, einen Streik organisieren zu können. Am 5. November 1999 trafen sich 125 Betriebsratsmitglieder von G + J und es war Gelegenheit, in vertraulichen Gesprächen das weitere Vorgehen um den geplanten Warnstreik-Tag abzustimmen. Der meiste Druck wurde auf den SPD-Gesellschafter, die dd_vg als 40-prozentiger Mitgesellschafter der SZ, aufgebaut, so dass sie in Erklärungsnöte gebracht wurde. Der damalige SPD-Generalsekretär, Franz Müntefering, nahm Kontakt mit dem Dresdner Betriebsrat auf und die SPD-Schatzmeisterin wurde schriftlich gegenüber der IG Medien in eine Rechtfertigungssituation gebracht. Sie wollten nicht abweichen von ihrer Zustimmung zu den Ausgliederungen. Somit war die Hoffnung der Belegschaft, dass es Lösungen gibt, erloschen und die Frage, was man tut, stand eher alternativlos: ertragen oder wehren.

Vor Beginn der Betriebsversammlung am 22. November 1999 trafen sich alle Aktiven im Betriebsratsbüro, um noch einmal den Ablauf durchzusprechen. Es ging durchaus hitzig zu, da seit Tagen feststand, dass man mit Ende der Betriebsversammlung nicht etwa wieder an den Arbeitsplatz wolle, sondern vor die Tür des »Haus der Presse«. Der Verlauf der Versammlung zum Bericht des Betriebsrats wurde besprochen, und die Reihenfolge der Redner festgelegt. Bernd Köhler sprach für den Betriebsrat, Michael Kopp für die IG Medien, Holger Artus aus der Hamburger Morgenpost übermittelte solidarische Grüße. Plötzlich war da die Frage im Raum: Wie geht es genau weiter nach der Versammlung? Endlich sagte Michael Kopp den klärenden Satz: »Wir rufen zum Warnstreik auf – das ist doch wohl klar!«

In der Betriebsversammlung ging es stürmisch zu. Der damalige Geschäftsführer des  Unternehmens, Dr. Mario Frank, erläuterte noch einmal Gründe für die Ausgliederungsmaßnahmen. Die Beschäftigten aus dem Satz und der Redaktion ergriffen das Wort gegen die Arbeitgeberplanungen. Am Ende der Versammlung stellten sich bekannte betriebliche Gewerkschafter an die Ausgangstür, nachdem der IG Medien- und DJV-Vertreter die Versammelten aufgefordert hatten, dem Warnstreikaufruf nachzukommen.

Alle, bis auf die Unternehmensverantwortlichen, gingen vor die Tür. An der Aktion beteiligten sich rund 200 Beschäftigte der SZ. Zeitgleich fand in Berlin vor der SPD-Zentrale eine Aktion von ca. 20 Mitgliedern der IG Medien und der DPG (heute beide ver.di) des DJV statt. Die Diskussionen wurden vor der Tür weitergeführt. Wie ging es jetzt weiter, wenn es nicht nur eine Mittagspausen-Aktion bleiben sollte? 

Es folgte die Entscheidung, dass man zum 200 Meter entfernten Gewerkschaftshaus geht. Alle machten mit, der Arbeitskampf in der Sächsischen Zeitung begann.

Schreiben Sie einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.