Ansichten

Holger Artus

Fast vergessene Gattungserfahrungen

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Plötzlich hat mich die alte Welt der innergewerkschaftlichen Strukturen wieder eingeholt. Sie wollen, dass man sich ihnen unterwirft, nein, sie wollen mir sagen, was richtig ist. Eine Planung und Kommunikation unter Gleichen fällt ihnen schwer. Haben sie einen Stempel „Hauptamtlich“ sind sie fasst so was wie die Hauptabteilung Wahrheit.

Genau erinnere ich mich der Rituale und Spannungen in der ver.di-Bundesfachgruppe Verlage, Druck und Papier bis 2011. Allein diesen Schwachsinn, nicht Teil, sondern beherrschter Teil als  Ehrenamtlicher zu sein, ging mir auf die Nerven. Erfahrung zählt nur, wenn man einer von ihnen ist oder ihrer Meinung. Aber einfach so kompetent und unabhängig?

Da diese Strukturen in den Bewegungen ungerne eine Verantwortung übernehmen und lieber andere in die Schusslinien bekommen wollen, sind sie so einfach überflüssig. Natürlich bedarf es professioneller Strukturen, die zweckgebunden, gemeinsames Handeln fördern und aus dem Zusammenspiel einen Beitrag leisten zu einem x-beliebigen Ergebnis, auf das man sich verständigt hat. Dazu bedarf es des Zusammenspiels von Gleich-Interessierten. Doch sie haben ihre eigenen kleinen und feinen Runden, in den sie sich scheinbar abstimmen.

Auch unter sich haben sie es in Wirklichkeit schwer, so meine Erinnerung, denn was man irgendwo vereinbart, wird einem an anderen Stelle wieder um die Ohren gehauen. 2003 durfte ich diese “Experten” in der Tarifrunde der Papierverarbeitung erleben, wo jeder Hauptamtlicher für sich in Haustarifverhandlungen eine Art Pilotanschluss realisieren wollte.  Ihre gegenseitige Konkurrenz fraß ihre Ressourcen für eine realistische Strategie mit einem seriöses Vorgehen. Sie hatten einfach damals  die Chancen für die Durchsetzung über Haustarifverträgen falsch eingeschätzt und ein falsches Vorgehen („Häuserkampf“) gewählt, weil sie sich gegenseitig ihre Radikalität vor hielten, statt ihren Kopf benutzten für eine realistische Lageeinschätzung. Sie wehren sich bis heute, diese Niederlage in der Tarifpolitik als solche zu bezeichnen.

Und eine weitere Erscheinung des “Hauptamtlichen” widerfuhr mir die Tage. Wer immer Recht hat – ich weiß natürlich, was Stress auf die Dauer verursacht – der hat am Ende keine Haltung, die etwas mit Zivilcourage zutun hat. Es gibt immer wieder Situationen, wo man es durchziehen muss, auch wenn es schwer fällt, auf der moralischen Seite. Als ich Betriebsratsvorsitzender wurde, hatte ich eine Mappe eingeführt, die in etwa hieß “Beim nächsten Mal”. Ich wollte verhindern, dass man etwas zähneknirschend zustimmt, dabei sagt, beim nächsten Mal, um dann das Thema los zu werden. Wenn sich andere beim nächsten Mal daran erinnern und sich das Prozedere wiederholt, wird daraus eine Verschwiegenheitsgemeinschaft und man hängt am Hacken. Man hat seine Ruhe, ist aber engagiert. Unsere Bewegung lebt von Niederlagen in den konkreten Auseinandersetzungen, dass tut weh, aber es muss weitergehen…  Wenn etwas falsch ist, muss darum kämpfen, häufig bleibt nur das individuelle agieren. In dem konkreten Fall wollen alle Beteiligten “Hauptamtliche” sich einfach nicht damit beschäftigen, weil der Zeitpunkt der Intervention verpasst oder man sich sagt, lass es doch in die Hose gehen, hab ich doch gewusst. Feigheit nenne ich so ein Verhalten, auch wenn ich gedacht habe, ach, scheiß drauf. Dann eben nicht. Aber wenn man sagt, ok, ich leiste meinen Beitrag, dann muss man dazu stehen. Die Regeln, wie man dass korrigiert sind bekannt, aber stillschweigend, nee!

Vor einigen Jahren war es der gleiche ver.di Funktionär aus Berlin, der in einer eher hilflosen Mitglieder- Versammlung von der Sinnlosigkeit eines betrieblichen Vorgehens sprach, dass die Arbeitnehmer/innen eines Betriebes ernsthaft bewegte. Aber ihren Trägern fehlte der Mut. Wenn ich mich erinnere, war es unsere innere Verfasstheit, die mich trieb, denen die um Hilfe baten, genauer zuzuhören. Mein Eindruck auf unserer Seite war, dass es da zu viele vorgeschobene Argumente gab, in der Belegschaft sehr wohl die Bereitschaft bestand, sich zu wehren. Es hat geklappt, es gelang die Belegschaft zu formieren, daraus mehr zu generieren, scheiterte, aber der Anlauf hatte sich gelohnt.

Im konkreten Fall werde ich mich im nicht durchsetzen, da ich keine Hebel und auf Grund meiner freundlichen Art keine hauptamtlichen Verbündeten habe, aber ich will nicht feige auf meine Haltung verzichten. Es ist kein unrealistisches Ziel, also nicht sinnlos, aber es findet eben in den hauptamtlichen Strukturen statt. Gefallen hat mir, dass ich vom Hauptamtlichen für meine Haltung beschimpft wurde, dass ich meine klassenkämpferischen Parolen sein lasse soll. Sie gab es aber gar nicht.

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