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Holger Artus

Vergessene Nachbarn aus der Idastraße, Hamburg-Hammerbrook

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Diese Info habe ich am 30. Januar 2025 am Ausgang der S-Bahn-Station Hammerbrook verteilt: Am 8. Februar 2025 wird in Kaltenkirchen für Harald Mirosch ein Stolperstein an seinem Geburtsort verlegt. Sie erinnern an Menschen, die durch das NS-System ums Leben kamen. Er wohnte mit seiner Familie bis 1943 hier in Hammerbrook auf der Höhe des Hanse Carree (Sachsenfeld/Nagelsweg)/Tri Tower (Hammerbrook Straße) in der Idastraße 33.

Der Straßenname wird Ihnen nichts sagen. Sie verlief quer zwischen Nagelsweg und der Hammerbrookstraße und lag zwischen der Süderstraße und dem Südkanal. 

Wenn Sie auf Höhe UnionCredit Leasing im Nagelsweg den Gehweg betreten, würden Sie heute durch die Idastraße gehen. Im Juli 1943 wurden die Häuser wie das Wohngebiet komplett zerstört. 

Was will ich von Ihnen?

In der Idastraße wohnten mehrere Familien, die am 10. März 1943 über den Hannoverschen Bahnhof (heute Hafencity, hinter dem SPIEGEL-Gebäude) nach Auschwitz deportiert wurden. Insgesamt wurden 30 Menschen aus der Idastraße deportiert:

Aus der Idastraße 27:  Sophie Franz (geb. 1912) und ihre Kinder Walter (geb. 1940) und Lilli (geb. 1941) sowie Jakob Stephan (geb. 1870) mit seinen Kindern Joseph (geb. 1907), Anna (geb. 1915) und Else (geb. 1917). 

Aus der Idastraße 33: Anton (geb. 1865)und Elisabeth Gry (geb. 1879) mit ihren Kindern, Franziska (geb.1905), Anton (geb. 1909), Maria (geb. 1911), Gustav (geb. 1915) und Otto (geb. 1915), sowie Katharina (geb. 1905) und Johann Gry (geb.1897) mit ihren Kindern, Franz (geb.1925), Artur (geb.1928), Albert (geb. 1932), Mathilde (geb 1934) und Karlo (geb. 1937) sowie Adam Anton  (geb. 1901) und Saga-Maria (geb. 1905) mit ihren Kindern, Hans (geb.1924), Harald (geb. 1927), Anita (geb. 1935), Hildegard (geb. 1938) und Peter (geb. 1941), Wilhelmine Franz (geb. 1924) sowie Jutta Mirosch (Hammerbrookstraße 60/Ecke Idastraße)

Alle 30 Menschen waren bereits vor im März 1943 von der Hamburger Kriminalpolizei aus ihren Wohnungen abgeholt worden und wurden im Fruchtschuppen C im Hamburger Freihafen bis zu ihrer Deportation über den Hannoverschen Bahnhof festgehalten. 

Warum wurden die Menschen deportiert?

Die fünf Familien waren Sinti und Roma. Nach den rassistischen und völkischen Vorstellungen der Nazis schadeten sie dem “deutschen” Blut, genau wie die jüdischen Menschen. Mit den „Nürnberger Rassegesetzen” von 1935 wurden sie staatlich verfolgt und misshandelt. 1938 startete das NS-System eine Verhaftungswelle gegen sie, indem man sie als „arbeitsscheu“ und „asozial“ diffamierte. Sie kamen in KZs, in denen manche von ihnen bis 1945 festgehalten wurden.  

1939 wollte das NS-System alle Sinti und Roma in Hamburg in einem Lager in Billstedt kasernieren. Das Projekt wurde gestoppt, da man im Mai 1940 mit der ersten Deportation in den Osten begann. Weitere Deportationen von Sinti und Roma folgten in Hamburg im März 1943 und April 1944. Das erklärte Ziel war ihre Vernichtung. 

Wer war die Familie Mirosch?

Die Familie Mirosch wohnte in der Idastraße 33 in einer 3-Zimmerwohnung. Sie gehörten zu den Kalderascha-Roma. 

Was ist über Harald Mirosch bekannt?

Harald Mirosch wurde am 7. April 1927 in Kaltenkirchen geboren. Seine Eltern waren Maria Saga (geb. 6. März 1905) und Anton Adam (28. April 1901). Er hatte vier Geschwister: Hans (6. Dezember 1924), Anita (4. April 1935), Hildegard (6. März 1938) und Peter (1. April 1941). Harald besuchte zuerst die katholische Grundschule am Bullenhuser Damm 37, später wechselte er in die Grundschule Wendenstraße 166. Anfang April 1941 wurden er, Gustav Gry und Willi Franz aus der Schule entlassen, weil sie Roma waren.

Die sogenannte „Rassenhygienische Forschungsstelle“ hatte die Mirosch am 20. April 1940 in ihrer Hamburger Wohnung in der Idastraße aufgesucht. Diese Einrichtung wurde 1936 unter Leitung des Psychiaters Dr. Robert Ritter eingerichtet und hatte die Aufgabe, alle Sinti und Roma in Deutschland zu erfassen, um so genannte „Rassegutachten“ zu erstellen. Rund 24.000 solcher „Gutachten“ wurden damals erstellt. Zusammen mit der 1938 gerichteten  „Reichszentrale zur Bekämpfung der Z… “ (der Sinti und Roma) sollten sie alle zentral erfasst werden. Ab September 1939 mussten sie sich bei der örtlichen Polizei melden und durften ihren Wohnort nur mit Zustimmung der Kriminalpolizei verlassen. Wenig später begann die systematische Deportationen. 

Harald Mirosch wurde nach dem Rauswurf aus der Schule  Wendenstraße bis zur Deportation als Zwangsarbeiter ausgebeutet. Am 10. März 1943 wurde er über den Hannoverschen Bahnhof ins KZ Auschwitz deportiert. Von hier wurde er am 17. April 1944 ins KZ Buchenwald verschleppt und von dort ins KZ Außenlager Thekla/Leipzig, wo er in den Erla-Maschinen- werken Zwangsarbeit leisten musste. Am 9. August 1944 kam Harald Mirosch ins KZ Flossenbürg, wo er im Außenlager Johanngeorgenstadt, nahe der tschechischen Grenze, arbeiten musste. Er wurde nach 1945 für tot erklärt. 

© KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Rainer Viertlböck 

Was wurde aus der Familie Mirosch?

Lediglich Hans aus der Familie Mirosch überlebte den NS-Terror. Seine Eltern, Saga-Maria und Adam Anton sowie seine vier Geschwister Harald, Anita, Hildegard und Peter wurden ermordet. Von den anderen Familien aus der Idastraße überlebten nur wenige.

Ich würde mich freuen, wenn Sie sich durch diese Info aufgeklärt fühlen. Vielen Dank für Ihr Interesse.

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