Am 8. und 9. Oktober 2024 habe ich etwa 1.000 Flugblätter im Münzviertel in die Briefkästen um den Schultzweg/Klostertor/Hühnerposten gesteckt. Die Absicht ist, mit den Mieter:innen in den Wohnungen von Smart meets aus dem Mendelsohn Bartholdy Haus und Herbert Weichmann u.a. Bewohner:innen irgendwie in Kontakt zu kommen. Inhaltlich geht es um die Erinnerung an das Daniel Wormser Haus.
Am 10. Oktober stehe ich Interessierten um 16 Uhr zum Gespräch zur Verfügung. Das Interesse der internationalen Mieter:innen ist sicher weniger der Wohnort, also ein erfolgreiches Studium. Aber ich sammle neue Erfahrungen mit Blick auf unbekannte Zielgruppen. Die Verteilung eines Infos vor „Lichtblick“ war nur ein „Abfallprodukt“ – wenn man schon mal verteilt. Die Reaktion des Unternehmens am 8. Oktober war unerwartet, aber für die Anlage des Vorgehens völlig egal. Hier das verteilte Info an die Studierenden.
wir möchten Ihnen etwas über die Geschichte des Wohngebietes vermitteln, wo Sie aktuell wohnen: es geht um das damalige Daniel-Wormser-Haus bei Ihnen im Quartier, in der Westerstraße. Es war im 20. Jahrhundert eine Unterkunft der jüdischen Gemeinde hinter dem Hamburger Hauptbahnhof für Geflüchtete. Es wurde im 2. Weltkrieg zerstört. Nichts erinnert heute an seine Geschichte im Viertel. Das möchten wir ändern.
Beides, die Westerstraße und das dort einst befindliche Daniel-Wormser-Haus gibt es nicht mehr. Heute steht dort zum Teil des IBIS-Hotel (Amsinckstraße) bzw. Lichtblick/Vestar (Klostertor). Wir werden noch argumentieren, warum etwas gewesenes für uns ein Thema ist.
Daniel-Wormser-Haus
Das Gebäude wurde 1909 fertiggestellt und trug den Namen von Daniel Wormser. Heute würde man von einem Obdachlosenasyl sprechen, das für (jüdische) Geflüchtete vor allem aus dem zaristischen Russland, aber auch Menschen, die am Hauptbahnhof strandeten, der 1906 fertiggestellt worden war. Der Hamburger Hafen war die Zwischenstation vor der Einschiffung nach den USA. Das Elend der verarmten Flüchtlinge, die oft wochenlang in Hamburg warten mussten, war groß. Die Stadt wurde immer ein wirtschaftliches Zentrum im Norden.
Das kleine Haus bekam zu Beginn des 20. Jahrhundert den Namen Daniel Wormser, der seit 1864 Lehrer an der Talmud Tora Schule war. 1884 hatte er den Israelitischen Unterstützungsverein für Obdachlose gegründet. In den drei Stockwerken des Gebäudes waren Schlafräume für Bewohner:nen. Es gab im Hause neben großen Schlafsälen auch ein kleines Zimmer, das für spät Ankommende bestimmt war. Es lag in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs und war für Bahnreisende leicht erreichbar. Im Kellergeschoß befanden sich mehrere Wannen- und Brausebäder und die entsprechenden Ankleideräume. Außerdem waren eine Desinfektionsanlage und eine Kleiderkammer dort untergebracht. Die Kosten der Unterbringung und Verpflegung wurden von der Gemeinde getragen, unter Verwendung der Mitgliedsbeiträge des Vereins und der Spenden, die von Gemeindemitgliedern diesem Zweck zuflossen. Während im Jahre 1925 über 5200 Übernachtungen gezählt wurden, waren es im Jahre 1934 mehr als 9000. Es konnten auch Nicht-Juden hier zeitweilig eine Unterkunft finden.
Mit der Machtübernahme der NSDAP und anderer Rechtsparteien in Deutschland ab 1933 änderte sich der Charakter des Hauses. Ende der 1930er Jahre wurde es zu einem so genannten Judenhaus Denen konnte willkürlich ihre Wohnungen gekündigt werden und sie mussten binnen zwei Wochen räumen. Später wurden das 24 bis 48 Stunden. Sie durften nur in jüdische Stifte ziehen, d.h. sie wurden ihnen zugewiesen. Aus diese Einrichtungen wurden Massenunterkünfte. Über diese „Judenhäuser“ wurden am 1941 die Deportationen in den Osten organisiert, wo sie ermordet wurden. Das Daniel-Wormser-Haus war mit der letzten großen Deportation im Juli 1942 leer und wurde anders genutzt. Die jüdische Gemeinde wurde musste ihr Eigentum 1942 an die Stadt verkaufen.
Warum zum Thema machen?
Unser Blick ist auf beide Kapitel der Geschichte gerichtet, der Gründung als Hilfe-Angebot und als Deportationorts. Ein Haus für Menschen in Not, heute ein weltweites Thema. Schwachen und Ausgegrenzten muss man helfen, zur Seite stehen und Lösungen anbieten. Das ist eine u.E. eine gesellschaftliche Verantwortung und Aufgabe. Dafür steht ihr Quartier wie z.B. die Stadtmission. Die jüdische Gemeinden bot mit dem Daniel-Wormser-Hais damals den verarmten. ausgegrenzten Obdachlosen eine zeitweilige Unterkunft. Als ein Haus, dass als Folge einer Verschwörungserzählung und antisemitischen Politik zum Getto wurde. Rechte Parteien hetzen bei uns oder in den anderen europäischen Länder gegen Geflüchtete, um ihre nationalistische und völkische Ideologie salonfähig zu machen. „Juden sollen ihren Koffer packen“, so die Aufforderung eines AfD Abgeordneten nach der letzten Europawahl.
Was wollen wir?
Wir möchten an die verfolgten und ermordeten jüdischen Menschen aus dem Daniel-Wormser-Haus erinnern. Wir wollen an die Einrichtung erinnern, die ab 1909 kostenlos Menschen Unterkunft, Verpflegung und Pflege in einer perspektivlosen Lage anbot. Wir möchten auf die Werte aufmerksam machen, für die diese Einrichtung damals stand, die man heute verteidigen muss, Solidarität und Menschlichkeit mit den Schwachen und Respekt ihnen gegenüber.
Gesprächsangebot
Am Donnerstag, den 10. Oktober 2024, um 16 Uhr, können Sie uns vor dem Schultzweg 3 vor dem Herbert Weichmann Haus antreffen. Aus heutiger Perspektive vermutlich unrealistisch, wollen wir es dennoch versuchen, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Es geht uns um die Beteiligung der Nachbarschaft an ein Erinnerungsprojekt zum Daniel-Wormser-Haus. Aus Anlass des 80. Jahrestag der Befreiung Hamburg am 3. Mai 1945 wollen wir im kommenden Jahr an das Daniel-Wormser-Haus öffentlich erinnern.
Gruß