Ansichten

Holger Artus

Über einen vergessenen Ort zwischen Klostertor und Amsinckstraße

| Keine Kommentare

Am 8. Oktober 2024 habe ich ein mit der Stadtteil-Initative Münzviertel abgestimmtes Info vor dem Ökostromanbieter „Lichtblick“ verteilt. Hier das Info:

Liebe Mitarbeitende von Lichtblick und VESTAS,

mit diesem Informationsblatt möchten wir Ihnen etwas über die Geschichte des Standortes im Münzviertel erzählen, auf dem heute die Unternehmen Lichtblick und VESTAS angesiedelt sind. Uns ist die Erinnerung daran wichtig und wir möchten dieses Wissen an diejenigen weitergeben, die hier heute arbeiten und leben. 

Lichtblick oder VESTAS im Münzviertel sind Ihre Arbeitsorte. Sie bringen Ihr Wissen ein, arbeiten in Teams, erleben Kollegialität – all das schafft Identitäten, daraus ergeben sich Haltungen. Ebenso wichtig könnte es sein, Bescheid zu wissen, wie es hier früher aussah, wer hier tätig war, wer hier lebte. Denn an diesem Ort hatte es zum einen ganz anders ausgesehen, zum anderen hatten die Menschen damals völlig andere Lebens- und Arbeitsbedingungen. 

Um was geht es?

Direkt durch das Gebäude, in dem Sie arbeiten, verlief die Westerstraße, die im Zuge der Neubebauung des Areals verschwunden ist. Westerstraße 27, heute auf der Höhe zwischen dem IBIS und Ihrem Arbeitsort, befand sich das Daniel Wormser Haus. Es war seit 1909 ein Obdachlosenasyl für jüdische Menschen, die aus ihren Herkunftsländern, vor allem dem zaristischen Russland, um die Jahrtausendwende (20. Jh.) geflohen waren, um in Amerika eine neue Heimat zu finden. Hier in Hamburger Münzviertel fanden damals tausende Geflüchtete vorübergehend eine Unterkunft. Ein Hoffnungsort! Denken Sie auch gerade an die Geflüchteten aus Syrien 2015/2017? Auch vor nunmehr neun Jahren galt es, Unterkünfte für die Menschen zu finden, deren Lebensbedingungen in ihrer Heimat zerstört worden waren. Anfangs hatten sie am Hauptbahnhof geschlafen. Karitative Einrichtungen und viele Hunderte Menschen aus Hamburg halfen bei der Versorgung und Unterkunft. 

In der NS-Zeit änderte sich der Charakter des Daniel Wormser Hauses. 1942 wurde das Haus durch die nationalsozialistische Regierung in Hamburg zum Judenhaus erklärt. Die aus ihren ursprünglichen Wohnungen vertriebenen, entrechteten jüdischen Mitbürger:innen hatten sich dort einzufinden. Sie bekamen alsdann ihren Deportationsbescheid für das Getto in Theresienstadt oder das KZ Auschwitz. In diesem und vielen anderen KZs fand die systematische, industrielle Ermordung in den Gaskammern statt. Hitler hatte zum Ziel erklärt, alle 10 Millionen Juden Europas zu vernichten. Sechs Millionen fielen dem Holocaust zum Opfer.

Was wollen wir  von Ihnen?

Wir möchten unter anderem mit Ihnen und auch mit Ihren Unternehmensleitungen in den Dialog kommen, um an das Daniel Wormser Haus und an seine Bewohnenden zu erinnern. Wir haben die Geschichte der Menschen, die sich dort einfinden mussten, recherchiert und werden diese zusammengetragenen Informationen veröffentlichen. Denn heute erinnert noch nichts daran, dass das Daniel Wormser Haus der Gemeinde 1942 durch die Freie und Hansestadt geraubt worden war. Es war Jahre zuvor aber eben auch ein Hoffnungsort für die Passagiere, in diesem Haus ein Dach über den Kopf hatten, sich duschen und neu einkleiden konnten, in einem richtigen Bett schlafen. 

Im kommenden Jahr, 2025, planen wir eine würdevolle Kundgebung, eine Gedenktafel oder ähnliches – damit dieser Teil der Geschichte das Leben und Handeln heute ergänzen kann. Darüber möchten wir Sie auf dem Laufenden halten. Gern können Sie mit auch mit uns in Kontakt treten.

Schreiben Sie einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.