Ansichten

Holger Artus

Ein Stolperstein für Eduard Reinitz vor der Rostocker Straße 16 in St. Georg

Diese Info wurde in der Rostocker Straße in Hamburg-St. Georg verteilt, damit die Nachbarschaft vorab um die Verlegung des Stolperstein weiß. Insgesamt werden am 8. Juni 2024 sechs Steine im Stadtteil verlegt, zu denen ich auf eine ähnliche Weise eingeladen habe.

Am 8. Juni 2024 wird vor der Rostocker Straße 16 ein Stolperstein verlegt, der an Eduard Reinitz erinnern soll. Er war ein Opfer der nationalistischen begangenen “Euthanasie”-Verbrechen, der Ermordung hunderttausende kranker und behinderter Menschen. Insgesamt wurden im Rahmen der „Euthanasie“-Verbrechen in ganz Europa etwa 200.000 bis 300.000 Menschen getötet. 

Um was geht es?

Vor der Rostocker Straße 16 liegen schon zwei Stolpersteine, die an Ida Ehmecke und Martin Schallmach erinnern.

Diese kleinen Messingsteine finden sie überall in Hamburg, so auch in fast jeder Straße in St. Georg. Sie erinnern an die NS-Opfer von 1933 bis 1945. Das NS-System ermordete in Hamburg tausende jüdische Menschen, Kommunisten:innen und Sozialdemokraten:innen, Homosexuelle, behinderte und kranke Menschen, Roma und Sinti sowie weitere Menschen, die nicht in das völkische oder rassistische Bild der Nazis passten.

Wir sind am  Sonnabend, den 8. Juni 2024, um 16.30 Uhr vor der Rostocker Straße 16 und werden Blumen am neuen Stolperstein niederlegen. 

Was wissen wir zur Zeit über Eduard Reinitz?

Er wurde am 25. Januar 1936  in Hamburg geboren. Die Familie wohnte zu diesem Zeitpunkt im Hinterhaus der Rostocker Straße 14 im 2. Stock. Seit 1940 wohnten sie in der Rostocker Straße 16, ebenfalls im Hinterhaus (2. Stock).  (aktualisiert am 6.Juni 2024) Hermann Reinitz arbeitete bei der Hamburger Hochbahn als Streckenarbeiter. 

Eduard Reinitz wurde erstmals am 9. August 1938 im AK St. Georg aufgenommen und an 11. August 1938 in die Alsterdorfer Anstalten eingewiesen, wo er bis bis zum 5. November 1938 blieb. Zum zweiten Mal kam er am 8. Februar 1939 in die Einrichtung kam und verblieb dort.

Über die Alsterdorfer Anstalten

Die Alsterdorfer Anstalten, heute Evangelische Stiftung Alsterdorf, sind in unserer Zeit ein Vorbild für gelebte Inklusion. Das war nicht immer so: In der NS-Zeit waren die Alsterdorfer Anstalten eine abgeriegelte psychiatrische Einrichtung. Durch einen Zaun und Mauern abgeriegelt waren die einstigen Alsterdorfer Anstalten vor allem während des Nationalsozialismus ein Ort des Schreckens. Von 1938 bis 1945 wurden 630 Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen aus der Einrichtung in Tötungsanstalten, wie zum hessischen Hadamar, aber auch nach Rothenburgsort in Hamburg, Mainkofen und weiteren Orten deportiert. Die meisten von ihnen wurden nachweislich ermordet. 

Deportation nach Mainkofen/Deggendorf

Eduard Reinitz wurde am 10. August 1943 zusammen mit 29 Kindern  in die Anstalt Mainkofen, das in der Nähe des niederbayerischen Deggendorf liegt, verschleppt. (aktualisiert am 6. Juni 2024) Zweimal war Erna Reinitz im Mainkofen und wollte ihren Sohn besuchen, was ihr aber verweigert wurde. Am 27. Dezember 1944 starb er angeblich an TBC. Als Erna von dem Tod ihres Sohnes erfuhr, telegrafiert sie unmittelbar, dass sie an der Beerdigung teilnehmen möchte, die jedoch am gleichen Tag erfolgt war. Ihr Anliegen, die Todesursache zu klären, wurde mit dem Hinweis auf „Zeitverhältnisse“ in der Anstalt ohne weitere Erläuterung abgewiesen. Insgesamt wurden dort 621 Pfleglinge ermordet. Aus Hamburg waren hier insgesamt 74 Kinder von den Nazis ermordet worden.

Die Vernichtung „lebensunwerten Leben“ in der NS-Zeit

Für das NS-Regime handelte es sich um die Vernichtung “lebensunwertes Leben”. Im Oktober 1939 unterschrieb Adolf Hitler einen Erlass, der die Tötung der kranken Menschen zum Inhalt hatte. Auf der Basis wurde ein Vorgehen entwickelt, das die Bezeichnung “T4” bekam. Die Abkürzung steht für “Tiergartenstraße 4”, wo der Sitz der Organisation der Vernichtungsaktion war. Die „T4“-Aktion wurde von Hitler zwar am 24. August. 1941 offiziell gestoppt, weil trotz der Geheimhaltung der Unmut in Teile der Bevölkerung zunahm. Dieser „Stopp“ der „Euthanasieaktion“ hatte jedoch nicht zur Folge, dass die Tötung der Kinder und Erwachsenen mit Behinderung ein Ende fand. Lediglich die Art der Tötung – die Vergasung – wurde ersetzt durch Tötungen aufgrund von Medikamentengabe („Abspritzen“) oder Nahrungs- und Pflegeentzug. 

Warum erinnern?

Niemals sollen diese Menschen vergessen werden. Sie konnten lachen und weinen, erlebten Freude und Angst. Jede und jeder von ihnen war einzigartig. 

Vielleicht sehen wir uns am 8. Juni 2024? Wir würden uns freuen.

Kommentare sind geschlossen.