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Holger Artus

Der Mist mit der „These 41“

Mit dem Düsseldorfer Parteitag der DKP von 1971 wurde die „These 41“ Bestandteil der Programmatik der Partei und landete später auch im Programm. Um was ging es dabei? Die Ablehnung der Zusammenarbeit mit so genannten maoistischen oder trotzkistischen Organisationen und ihre „ideologische“ Bekämpfung. In Hamburg waren es vor allem der KB (Nord), KBW bzw. BWK, die KPD, die KPD/ML, die GIM oder die Arbeiterpolitik, im studierenden Bereich hießen sie SSG und SSB.

Die These 41 hinderte uns als DKP, sich gegen die Gewerkschaftsausschlüsse in den Einzelgewerkschaften des DGB wie der IG Druck und Papier, hbv, ÖTV, GEW und IG Metall in den 1970er Jahre zu stellen, da sie aus diesen Organisationen kamen und wir faktisch die „Bekämpfung des Maoismus“ nicht nur zu einer inhaltlichen Frage erhoben hatten. Die GEW hatte sich letztes Jahr bei den Betroffenen für diese Schande entschuldigt. In ver.di ist dieser Beschluss überfällig, aber noch nicht vollzogen. Ein Antrag 2019 an den Gewerkschaftstag wurde an den Gewerkschaftsrat überwiesen. Bisher gibt es dazu keine Beschlussvorlage, aber in Vorbereitung. In ver.di Hamburg wurde jetzt eine entsprechende Initiative für eine Veranstaltung in 2024 gestartet.

Zurück zur „These 41“: Da sich „Moskau“ und „China“ politisch in den 1960er Jahren zerlegt hatten, die kommunistische Weltbewegung gespalten war, fühlten wir uns an der Seite der SED und der KPdSU auf der Siegerstraße, wenn es um die „Maoisten“ ging. Mit unserem „avantgardistischen“ Anspruch, die Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten, ihre revolutionäre Spitze zu sein und als führende Kraft den Arbeitern den richtigen Weg zu weisen, war Überheblichkeit und Arroganz gegenüber Linken angesagt. Wir waren für die Aktionseinheit, meinten damit das gemeinsame Handeln mit den Gewerkschaften und der SPD, die uns aber in den 1970er Jahren mit dem Arsch nicht ansah. Die SPD hatte in völliger Fehleinschätzung Anfang der 1970er Jahre einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst, der die Zusammenarbeit der Partei mit der DKP ausschloss. Also sprachen wir bei unserer Aktionseinheit vor allem von der Zusammenarbeit mit den sozialdemokratischen Mitgliedern in den Bewegungen. Diese Differenziertheit legten wir bei den maoistischen Organisationen nicht auf. „Wenn man die Maoisten bekämpft, ist das gut und nicht schlecht“, lautete das in Umwandlung eines Mao-Zitat (bei ihm waren es die Revisionisten) eine Broschüre, zu der wir Bildungsabende in der DKP und dem MSB Spartakus durchführten.

Mit meinen damals noch nicht ganz 20 Jahren beteiligte ich mich an der “Entlarvung” Anfang der 1970er Jahre. Man konnte sich selber aufwerten, wenn keiner der „Maoisten“ dabei war. Durch die Gemeinschaft in der Ablehnung fühlte man sich bestätigt. Wir übernahmen die Begriffe aus der Arbeiterbewegung, dass sie „Chaoten“ waren, um sie einfach abzuwerten. Vergessen habe ich auch nicht, dass ich vom meinen Mitstreitern in der Gewerkschaftsbewegung später als „Chaot“ bezeichnet wurde.

1973 wohnte ich in der Brüderstraße 19. Mein Mitbewohner, Klaus, hatte die These 41 auf dem Klo oberhalb des Klopapiers angepinnt, für uns war sie „Gesetz“. Wo mir im schulischen Alltag die SSG (Schüler:innen) oder die KPD/ML (Lehrer wie Eyke) begegnete, fand ich ihre Argumente nicht falsch, aber schnell wurde mir vermittelt, dass sie „revisionistische“ Ziele verfolgten, die die Bewegung desorientieren und nur täuschen wollten. Ich erinnere mich an eine Debatte 1974 in der FSP Altona, wo ich auf einer Veranstaltung zur Niederlage der Unitad Popular und der Ermordung von Salvador Allende in Chile die missachtlichen Worte linken Gruppen zum Grund deren Scheiterns mit der Kritik von rechten Kräften gleichsetze, nur weil es wörtlich gerade passte. Die Empörung war zu Recht groß.

Nach Ende der Schule 1974 und der Arbeit in den Wohngebieten änderte sich das schrittweise. In der St. Pauli-Gruppe hatten die illegalen Kader der verbotenen KPD das Sagen. Ihr rhetorischer Kampf gegen die Maoisten sollte nur unsere isolierte Rolle kaschieren. Sie richtete sich auch bald gegen mich, der ich meine autonome Sicht einbrachte. Androhung von innerparteilichen Verfahren war damals die Form, mich disziplinieren zu wollen. Mit dem Umzug nach St. Georg in die Lange Reihe änderte sich meine Rolle. Ich konnte nicht nur Vorschläge machen, ich konnte sie auch umsetzen . Ich wurde in den Gruppenvorstand der DKP gewählt und hatte Verantwortung, die mir gefiel, da ich gerne Dinge durchorganisierte. Wenn ich mir heute (2023) meine damaligen Notizen und Vorlagen ansehe, so entsprechen sie strukturell bis heute meinem Vorgehen ;-). Es muss „machbar“ bis „ambitioniert“ und konkret sein. Die Zielsetzung muss erreichbar sein. Die Lage muss beschrieben, alles muss später überprüft und bewertet werden. Es bedarf der Verständigung, so dass die Trägerschaft für die Umsetzung gegeben ist. Im Zweifel macht man es selber, aber der Blick ist auf den Prozess zu richten.

In der stadtteilpolitischen Arbeit in St. Georg ging es um die alltäglichen wie gesetzten Themen. Sie sollten die Basis für unsere Erzählung sein, warum es gesellschaftlicher Veränderungen bedarf. In den praktischen Bewegungen gab es faktisch nur die Zusammenarbeit und die Verständigung auf das besprochene. Die AKW-Bewegung entstand, auch in St. Georg gab es eine Initiative. Die Friedensbewegung entwickelte sich, aber auch die Fragen, wie kann ein wohnenswerter Stadtteil aussehen, zu günstigen Mieten, einer verkehrsberuhigten Lage, den kleinen Geschäften, einer Nachbarschaft u.a.m., bestimmten unser Handeln. Da wir mit den Menschen im Stadtteil im Gespräch waren, fand dies auch mit den KB- oder Abo-Freunden:innen statt. Seit den 1970er Jahre hatte ich regelmäßig nette Gespräch mit Rolf Becker von der Arbeiterpolitik (APO) oder wenn ich bei Heini vom KB in der Rostocker Straße vorbei kam, ihm die UZ (DKP Zeitung) gab und ich im Gegenzug mit dem „Arbeiterkampf“ nach Hause ging. Mit der Zeit saßen wir länger in seiner Küche zusammen, ich schätze ihn. Die „Maoisten“ waren unsere angeblichen „Gegner“, aber im wirklichen Leben waren wir uns nahe gekommen, uns trennte wenig bis gar nichts mehr. Wir hatten unterschiedliche Meinungen und Einschätzungen. Ich hatte die Position eingenommen, dass die These 41 ein Fehler war und setzte auf den Austausch mit dem KB oder anderen linken Gruppen in den Initiativen im Stadtteil, eine Verständigung in den praktischen Dingen war möglich. So erinnere ich mich an die Besetzung der Langen Reihe 1981. Es sollte eine politische Aktion werden, dem später eine Hausbesetzung folgen sollte (und gab), mir war die Verkehrslenkung egal, hölzerne Straßensperren sollten reichen. Andere Gruppen (wie KBW) nicht, sie erstellten im Rahmen des Bündnisses die Verkehrsschilder, so dass kein Chaos zu Beginn entsteht.

Quelle: http://www.trend.infopartisan.net/trd1218/t011218.html

Schwer wiegt bis heute, dass uns die “These 41” blind machte, als es um die Gewerkschaftsausschlüsse von KB, KBW oder GIM Kollegen-innen aus den Gewerkschaften ging. Wir waren nicht solidarisch mit denen vom Ausschluss betroffenen Kollegen:innen auf Grund ihrer Organisationszugehörigkeit. DKP-Mitglieder wie Peter Gohl brachten z.B.in der GEW Anträge ein, die sich zwar gegen einen Unvereinbarkeitsbeschluss aussprachen, aber sehr wohl für Gewerkschaftsausschlüsse plädierten auf Basis der gegebenen Regeln. „Deshalb weist die (GEW)Hauptversammlung entschieden alle Versuche der KPD/ML,der „KPD“,des KB-Nord und ihrer Untergruppen RGO, KSV und SSG zurück,die GEW für ihre gruppenegoistischen Ziele, die die Einheit der Gewerkschaft gefährden, auszunutzen. Programme und Publikationen der genannten Gruppen beweisen deren Gewerkschaftsfeindlichkeit. Alle Kollegen, die diese Zielsetzungen in die Gewerkschaft hineintragen, werden darauf hingewiesen, daß sie nach der Satzung wegen gewerkschaftsschädigenden Verhaltens ausgeschlossen werden können.“

Für uns war die Bekämpfung des „Maoismus“ eine wesentliche Aufgabe. Würden wir die “Störenfriede” loswerden, glaubten wir, unsere Aktionseinheit mit der sozialdemokratischen Arbeiterschaft besser verfolgen zu können. Das war natürlich dummes Zeug, wir spielten keine Rolle. Inhaltlich sahen wir es so wie der KB, KWB etc., die Abkehr von der Sozialpartnerschaft. Nur so waren autonome Gewerkschaften möglich. Nicht mehr die „Baracke SPD-Gewerkschaftsrat“ sollte die Richtung bestimmen, sondern die von der Ideologie der Sozialpartnerschaft befreiten Massen. Aber faktisch schwiegen wir zu den Ausschlüssen, Beteiligten uns nicht an den Aktivitäten zur deren Verhinderung. Da ich in der hbv seit 1976 war, habe ich die Auseinandersetzung um die Ausschlüsse IG Druck und Papier ab 1974 in Hamburg nicht erlebt, wohl erinnere ich mich an die Diskussion in meiner Fachgruppe, wie man sich dazu verhält. Ich erinnere mich an meine gemischten Gefühle (ich weiß den Aufhänger nicht mehr), nicht mit der Gewerkschaftsverantwortlichen zu heulen und andererseits unsere These 41, eine „reine“ Arbeiterbewegung zu schaffen, befreit von Sozialpartnerschaft und „Maoismus“. Allerdings vernahm ich auch, dass das Reinkloppen auf KB und damals BWK nicht zu unserem Vorteil war.  Die Gewerkschaftsführungen nutzen es zum Verteufelungen von inhaltlichen gesellschaftspolitischen Positionen wie z.B. die Ausgrenzung „Nein zu AKW“. Wir fuhren nach Brokdorf, die ÖTV verdammte diese Position und langte argumentativ mit dem Hinweis auf die AKW-Beschäftigten ordentlich hin. 

Die DKP begründete ihre Haltung gegenüber den „Maoisten“ in den Gewerkschaften mit den Fehlern in der Gewerkschaftsstrategie der KPD in ihrer Geschichte. Zum einen war da die gescheiterte RGO-Strategie der KPD (unter Ernst Thälmann) in der Weimarer Republik sowie zum anderen die abenteuerlichen These von 1951, dass die DGB-Gewerkschaftsführungen nach 1945 im Auftrag des Imperialismus handelten. „Im Auftrage und im Interesse des amerikanischen Imperialismus und im Einklang mit den deutschen Monopolisten versuchen die rechten Gewerkschaftsführer, die Gewerkschaftsorganisation in den Dienst der Kriegsvorbereitungen zu stellen.“ Den rechten Gewerkschaftsvertretern wurde der Kampf angesagt: „Aus dieser Lage heraus ergibt sich die Aufgabe, den wachsenden Kampf- und Widerstandswillen der Arbeiter zu entwickeln und zu festigen und Kampfhandlungen auszulösen auch gegen den Willen rechter Gewerkschaftsführer“ zu stellen. „Das Zurückweichen vor notwendigen Auseinandersetzungen mit der Politik der rechten Gewerkschaftsführer führt praktisch zum Verzicht der Organisierung des Kampfes der Betriebsbelegschaften.“ Die damalige SPD-Führung entwickelte eine „Revers-Erklärung“, die KPD-Funktionäre im DGB aufforderte, sich gegen diese Stoßrichtung auszusprechen. Für die Partei hatte das katastrophale Folgen, da sie das Unterschreiben der „Revers“ ablehnte: über 600 kommunistische Funktionäre verloren ihre Stellung. Manch KPD-Mitglied verließ die Partei, um als Gewerkschaftsfunktionär zu überleben, so u.a. der spätere Vorsitzende der IG Druck und Papier, Leo Mahlein oder Willi Bleicher (IGM).

Quelle: Rotbuch zu den Gewerkschaftsausschlüssen, j.reents-verlag,1978 S. 463

Ein Kollege von Auer-Druck, der SPD-eigenen Druckerei der MOPO, Karl-Heinz Wittrock, war Sprecher des IG Druck und Papier- Vertrauenskörpers und gehörte zu den 14 Gewerkschaftskollegen:innen, die im April 1974 ausgeschlossenen wurden, weil die im KB oder der GIM waren. Die Teilnahme an einer Demo bzw. das verteilen eines Flugblatt dazu reichte als Nachweis für das „gewerkschaftlichsfeindliche“ Verhalten aus. Leider habe ich ihn bisher bei meinen Recherchen zur Veranstaltung zum 50. Jahrestag der ersten Ausschlüsse der IG Druck und Papier in Hamburg nicht gefunden. Mehr als dazu schreiben konnte ich bisher nicht. Sagen will ich etwas zur Debatte unter Historiker:innen um diese Zeit, die unseren Platz dabei nicht berücksichtigen. Für mich gehört unsere politische Rolle dazu, gerade wo unsere Mitglieder von den staatlichen Berufsverboten betroffen waren.

These 41

„Auch wenn der rechte Opportunismus in der Arbeiterbewegung unseres Landes die Hauptgefahr ist, sieht die DKP im Kampf gegen sektiererische und anarchistische Tendenzen, gegen den Trotzkismus und Maoismus eine wichtige Aufgabe der ideologischen Arbeit. Diese Strömungen schaden der Arbeiterbewegung, denn sie ignorieren die konkreten Bedingungen in der Bundesrepublik, wollen Kampfformen und -methoden nach subjektivem Ermessen konstruieren und anwenden. Sie negieren den Kampf um demokratische, antimonopolistische Reformen und praktizieren so ein fruchtloses und abschreckendes Sektierertum. Die herrschenden Kreise und ihre Ideologen benutzen die maoistischen, trotzkistischen und anarchistischen Strömungen, indem sie diese in die Strategie des Kampfes gegen die Arbeiterklasse, ihre Gewerkschaften, ihre revolutionäre Partei und den Sozialismus einordnen. Die DKP bekämpft entschieden den Antikommunismus und Antisowjetismus der ultralinken Spaltergruppen. Eine Zusammenarbeit mit den Führungskräften solcher Gruppierungen, die die Gewerkschaften und die DKP bekämpfen, die die Arbeiterklasse weiter spalten wollen und die wie die Reaktion den realen Sozialismus verleumden, kann es nicht geben. Die DKP sieht ihre Aufgabe darin, die Mitglieder und Anhänger linkssektiererischer Gruppen für den gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus zu gewinnen und sie vom Einfluß der Spalter zu lösen.“

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