Ansichten

Holger Artus

Hermann Vogel, Vereinsstraße 80

Eine Info, die ich in den Häusern um die Vereinsstraße 80/85 (gegenüber) verteilt habe. Insgesamt ist es eines von neun Nachbarschaft-Infos, die ich zur Bewerbung der Kundgebung zur Erinnerung an die Juli-Deportationen vom 15. und 19. Juli 1942 bei uns im Viertel gezielt verteile.

Liebe Nachbarn, bei Durchsicht der Deportationsliste von Hamburger Juden vom 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße beim Bahnhof Sternschanze haben wir den Namen von Hermann Vogel aus der Vereinsstraße 80 gefunden.

Quelle: https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_nwd_420719.html

Am 15. und 19. Juli 1942 wurden über 1.700 jüdische Menschen von Hamburg nach Theresienstadt/Terezin, in der Nähe von Prag, verschleppt. Nur wenige überlebten. Mehr als 1.500 mussten sich an beiden Tagen in der Sammelstelle der Schule Schanzenstraße einfinden. Von hier wurden sie in Polizeitransportern zum Hannoverschen Bahnhof gebracht. Von dort ging es mit dem Zug in die CSR.

Hermann Vogel war einer der wenigen, die nicht in einem so genannten Judenhaus, einer Massenunterkunft, leben mussten, um von hier zu den Sammelstellen gebracht zu werden, sondern noch privat wohnte. Der Hintergrund ist nicht bekannt. Wir haben für den 19. Juli 1942 noch Ida Schwarz aus dem Weidenstieg 10 und Henriette Völker aus der Bartelsstraße 49 gefunden, die anderen wurden von der Polizei zur Schule Schanzenstraße getrieben.

Hermann Vogel war am 14. Oktober 1874 in Hamburg geboren und mit Frieda Hagendorf verheiratet. Das Paar hatte fünf Kinder: Wilhelma (geb. 24. Dezember 1898), Hermann jun. (geb. 4. Februar 1900), Ernst (geb. 8. April 1901), Hertha (geb. 28. Mai 1905) und Paul (16. Juni 1907). Zuerst wohnte die gesamte Familie in der Zeughausstraße 29. Es folgten Umzüge in den Valentinskamp 46 und den Fürstenplatz 8 (heute EMPORIO-Gebäude, Ecke am Valentinskamp/Caffamacherreihe). Seit 1918 wohnten sie in der Marktstraße 2, im Haus 3 (diese Häuser im Hinterhof der Marktstraße gibt es nicht mehr). Hermann war von Beruf Möbellackierer. 

Quelle: Staatsbibliothek Hamburg. Adressbuch 1941

Frieda Vogel starb am 2. Juli 1938. Hermann lebte seit 1940 bei seiner Tochter Wilhelma (verheiratet Düwel) in der Vereinsstraße 80, im 1. Stock. Das Haus gehörte ursprünglich Paul Freundlich, dem Eigentümer der Hansa-Apotheke an der Ecke Vereinsstraße/Fruchtallee. Da er Jude war, wurde er gezwungen, sein Eigentum zu verkaufen. Dem Raubkäufer der Apotheke, E. Hattenkerl, gehörten seit 1939 auch die Vereinsstraße 80 und 82. 

Das Hermann Vogel sen. 1928 aus der Jüdischen Gemeinde ausgetreten war, interessierte die Nazis nicht. Mit den „Nürnberger Rassegesetzen“ hatten sie ihr Definition von „Volljuden“ getroffen und deren weltweiten Verschwörungstheorie-Erzählung mit dem Blut  begründet. Er wurde 1941 zur einer Strafe verurteilt, da er 1939 keine „Judenkarte“ und nicht den Vornamen „Israel“ beim Standesamt beantragt hätte. 

Quelle: Datenbank holocaust.cz

Den Deportationsbefehl erhielt er unter seiner Adresse in der Vereinsstraße. Vorher wurde er aufgefordert, seinen dortigen Haushalt aufzulösen, ansonsten würde es von der Gestapo beschlagnahmt werden. Ein deutsches Gericht übernahm noch in den 1960er Jahren die Darstellung der Gestapo, die behauptete, es  es nur untergestellt zu haben, ohne weiteres hätten die Kinder es abholen können. Es war allerdings bereits über ein Auktionshaus verkauft worden und die Stadt Hamburg hatte sich 1942 den Erlös schon eingesteckt. Hermann Vogel sen. starb am 15. Februar 1945 im Getto.

Quelle: Arolsen Archiv

Hermann Vogel jun. wurde am 7. November 1943 seiner Wohnung in den Colonaden 18 festgenommen und ins Gestapo-Gebäude in der Rothenbaumchaussee 38 gebracht. Wegen angeblichen Opiumhandels wurde er zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Danach wurde er ins KZ Buchenwald deportiert und am 5. Oktober 1944 ermordet. Auch die anderen Kinder von Hermann Vogel sen. wurden in der NS-Zeit verfolgt. Wilhelma war zeitweilig im Gefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert, ihr Bruder Paul wurde zur Zwangsarbeit eingesetzt. Ihre jeweiligen nichtjüdischen Partner/innen und ihre nichtjüdische Mutter verhinderte eine Deportation.

Kommentare sind geschlossen.