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Holger Artus

St. Georger Sinti und Roma: Opfer des Nazi-Terrors

Für „Der lachende Drache“,* einer Publikation des St. Georger Einwohnervereins, haben ich einen Text zu den Sinti und Roma in St. Georg/Hammerbrook geschrieben, die zwischen 1940 bis 1943 entweder deportiert oder in KZ verschleppt wurden. Es vor allem ein Blick auf die Familie Hartmann aus dem Grützmachergang in St. Georg.

Auf einer Veranstaltung am 26. April 2023 aus Anlass des 80. Jahrestag der Deportation von Sinti und Roma am 10. März 1943 in der Stiftstraße hatte ich bereits dazu, auf Einladung, gesprochen. Vor allem mit dem Blick, was neuere Recherchen an einzelnen Fällen an Erkenntnisgewinn gebracht hätten und das ich meine, dass die Aufbereitung der Verfolgung der Sinti und Roma einfach irgendwann nicht mehr weiter verfolgt wurde. Ob ich damit richtig liege, kann ich nicht beweisen, es ist nur mein Eindruck, dem ich weiter nachgehe. Meinen Erfahrung bei anderen Themen entspricht es. Ein Beleg für mich in diesem Fall waren Sophie und Margot Hartmann, die Ende April 1945 ins KZ Außenlager Sasel verschleppt wurden und zu denen es bisher keine Publikation gab. Meine vorlaute These: Sie wurden beide nicht alleine ins Außenlager Sasel von der SS verschleppt. Es wurden noch weitere Sinti und Roma aus dem KZ Ravensbrück kommend, hier inhaftiert. M.E. sollte diese Frage weiter verfolgt und geklärt werden. Hier der Text:

Auf einer Besprechung in Hamburg am 3. Juli 1939 unter Leitung des Obersenatsrats der Sozialverwaltung, Völcker, saßen Vertreter der Finanz, Bau-, Gesundheits- und Sozialbehörde, des Wohnungsamtes, der Polizei, der Kripo sowie der NSDAP zusammen. »Obersenatsrat Völcker berichtet über die Gründe der beabsichtigten Zusammenfassung aller in der Hansestadt Hamburg ansässigen Zigeuner«, heißt es in einem Protokoll dieser Zusammenkunft. In der Besprechung wurde u. a. ausgeführt, dass die meisten Roma und Sinti in Hamburg in den Wohngebieten in Harburg, »an der ehemaligen Altonaer und Wandsbeker Grenze und St. Georg (Grützmachergang, um den Nagelsweg und Olgastraße)« leben. Zum damaligen Zeitpunkt war der Bau eines Zwangsarbeitslagers in Öjendorf für bis zu 1.000 Sinti und Roma in Planung. Das Projekt wurde im November 1939 jedoch endgültig gestoppt, vielmehr wurde ihre Deportation und damit die Vernichtung vorbereitet. Ende Oktober 1939 mussten sich alle Sinti und Roma, die in Hamburg lebten, bei den jeweiligen Polizeirevieren melden und durften nicht mehr umziehen.

Am 16. Mai 1940 wurden unter der Verantwortung der Kripo über 900 Sinti und Roma von der Hamburger Polizei aus ihren Wohnungen gerissen und in den Hamburger Freihafen verschleppt. Am 20. Mai 1940 fand die Deportation über den Hannoverschen Bahnhof (die Überreste in der heutigen HafenCity sind inzwischen als Mahnmal her- gerichtet) ins Vernichtungslager Belzec statt. Zu den damals Deportierten gehörte auch die Familie Anna Hartmann und Erwin Brandt mit ihren Kindern aus dem Grützmachergang 33 in Hamburg St. Georg. Die Wohnung wurde von der Polizei versiegelt und die zuständige Revierwache kündigte gegenüber dem Vermieter das Mietverhältnis. Der Wohnungsinhalt wurde durch die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und dafür sogenannte »Abwesenheitpflegschaften« festgelegt, die sich um die Abwicklung des Verkaufs des Haushalts kümmerten. Allerdings stellte in diesem Fall die Staatsanwaltschaft später fest, dass »die Pflegschaft am 25. Mai 1940 wieder aufgehoben (wurde), da die Anwesenden in ihre Wohnung zurückgekehrt sind«. Warum die Hartmanns am 22. Mai 1940 wieder in ihre Wohnung eingezogen sind, ist unbekannt, blieb aber eine Ausnahme.

Am 11. März 1943 fand die zweite Deportation von Sinti und Roma über den Hannoverschen Bahnhof statt (am 18. April 1944 wurden noch einmal 27 aus Hamburg nach Auschwitz verschleppt). An diesem Tag wurden 357 Menschen, diesmal nach Auschwitz, deportiert. 47 von ihnen kamen aus dem Stadtteil St. Georg/Hammerbrook, aus der Olgastraße 4 und der Idastraße 27. Im Grützmachergang 33 wohnten die bereits erwähnten Personen Anna Hartmann (geb. 2. Februar 1895) und Erwin Brandt (19. September 1902) mit ihren Kindern. Im 1. Stock hatten sie eine 3-Zimmer-Wohnung mit Küche. Sie hatten neun Kinder, die alle in die katholische Schule in der Danziger Straße 60 bzw. die Schule Bülaustraße 38 zur Schule gegangen waren. Am 11. März 1943 wurden Helene (geb. 31. Dezember 1924), Walter (11. Januar 1928), Fritz (5. März 1930) Heino (4. Mai 1932), Wilhelm (19. Januar 1935), Adolphine (29. April 1939) und ihre Eltern nach Auschwitz deportiert und später dort ermordet.

Der Blick auf die St. Georger Familie Hartmann offenbart eine weitere Systematik in der Verfolgungs- und Vernichtungsstrategie des NS-Regimes gegen die Sinti und Roma, die bis heute in ihrem Ausmaß nicht aufbereitet worden ist. Hugo (14. August 1922) wurde am 26. Juni 1942 ins KZ Sachsenhausen, Margot (3. September 1923) am 6. August 1942 ins KZ Ravensbrück verschleppt. Sophie (13. Januar 1926) war seit dem 26. Juni 1942 im Gefängnis Hütten (Hamburg-Neustadt) inhaftiert und von dort ins KZ Ravensbrück verlegt worden. Die beiden Schwestern waren wegen angeblichen Diebstahls 1942 zu »Erziehungszwecken« im Sommer 1942 zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Sie waren kein Einzelfall, es gibt weitere Familien, deren kleine Kinder zu Gefängnisstrafen vor der Deportation am 11. März 1943 verurteilt und danach in die KZs in Deutschland wie Sachsenhausen, Buchenwald oder Ravensbrück verschleppt wurden, um hier zur Zwangsarbeit eingesetzt zu werden.

Ausblick: Am 27. April 1945 kamen Margot und Sophie Hartmann mit weiteren Sinti und Romas im KZ Außenlager in Hamburg Sasel an. Am 4./5. Mai 1945 wurden sie von der britischen Armee befreit. Der Terror war beendet, der Rassismus in der deutschen Gesellschaft jedoch nicht gebro- chen und begleitete die beiden nach 1945 weiter. Heute wohnen die Nachkommen von Sophie Hartmann immer noch in St. Georg.

*ich habe ihn auch für den Bürgerinnen-Brief von Sabine Böddinghaus zur Verfügung gestellt.

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