Else Struchholz gehörte zu den 51 Menschen, die am 11. März 1943 von Hamburg nach Theresienstadt deportiert wurden. Am 1. Oktober 1944 wurde sie weiter nach Auschwitz verschleppt. Vor dem Hintergrund der anrückenden Roten Armee räumte die SS schrittweise das KZ und verlegte die Häftlinge in andere Konzentrationslager, wo sie zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden.
Elsa Struchholz kam ins österreichische KZ Mauthausen. Am 3. Mai 1945 flohen die letzten SS-Angehörigen aus den Lagern Mauthausen und Gusen. Am 5. Mai traf ein Spähtrupp der US-Armee in beiden KZs ein, am darauf folgenden Tag befreiten Einheiten der 3. US Army etwa 40.000 Gefangene in diesen Lagern.
Wer war Elsa Struchholz?
Elsa Struchholz wurde am 27. März 1903 in Straßburg im Elsass geboren. Ihre leiblichen Eltern waren Jakob Lewitsch und Adele Weintraub. Die Familie wohnte im Gerbergraben 18 in der Innenstadt Straßburgs – seit 2017 UNESCO-Weltkulturerbe. Heute heißt die Gerberstraße Rue du Bain-aux-Plantes.
Elsa besuchte nach eigenen Angaben die höhere Handelsschule in Osnabrück und erlernte die Krankenpflege. Im Alter von 17 Jahren wurde sie 1920 von Marie und André Ziegler aus Recklinghausen adoptiert und trug deren Nachnamen. 1933 wurde die Adoption laut einem Eintragung im Straßburger Standesamt wieder aufgehoben. Elsa hatte 1932 Paul Struchholz geheiratet, der zu diesem Zeitpunkt noch in der Böckmannstraße 53 in Hamburg-St. Georg lebte. Dieser war laut Hamburger Adressbuch tätig als“kunstgewerblicher Metallarbeiter”.
Paul und Elsa Struchholz lebten auf einem großen Schiff in Wedel
Ein “großes Schiff mit dem Namen ‚Elsa’ soll ab 1938 in Wedel gelegen haben. Eigentümer und Bewohner war das Ehepaar Elsa und Paul Struchholz, Inhaber eines Goldschmiedegeschäfts in Hamburg”, ist in der Schleswig-Holsteinische Landeszeitung 2014 in einem Text über das Leben der Struchholz in Wedel zu lesen.
1941 verstarb Paul. Elsa soll mit Vermögen und Wertsachen abgesichert gewesen sein. Im Oktober 1942, bereits im Visier der Gestapo, gab sie an, dass sie ein mehrere tausend Reichsmark umfassendes Vermögen besitze. Es scheint, dass die Nazis lange nicht wussten, dass sie nach ihren Kriterien eine “Volljüdin” gewesen war. Über sich selbst schrieb Elsa, dass sie von ihrer Adoptivfamilie „evangelisch erzogen worden sei“.
In ihrem Antrag vom 25. Oktober 1946 auf „Ausstellung eines Ausweises für politisch, rassisch und religiös durch den Nazismus Verfolgte” gab sie an, dass ein Hans Ulawsky aus der Hindenburgstraße 60 in Wedel sie als „Halbjüdin“ denunziert hätte. Der 2012 verstorbene Ewald Stiefvater aus Wedel schrieb 2010 über diesen Vorgang: „Nach dem Tod ihres Mannes hatte Elsa Struchholz, eine Bekanntschaft mit einem gewissen Hans O.* aus Wedel, damals wohnhaft in der Hindenburgstr. (heute Goethestr.). Dieser prahlte am Hafen mit seinen Auszeichnungen als Soldat aus dem Ersten Weltkrieg; er war Mitglied der NSDAP. Er lief grundsätzlich mit dem Hakenkreuz am Zivilanzug herum und hatte bei den ,Schippern’ keinen guten Ruf”. Er soll Elsa Struchholz, so Stiefvater, angezeigt haben. Zum Zeitpunkt ihrer Verfolgung durch die Gestapo bzw. der Denunziation durch Ulawsky wohnte sie in der Skagerrakstraße 8, der späteren Lindenstraße.
Zwangsarbeit in der Seifenfabrik Dralle
Sie wurde, wie alle anderen jüdischen Menschen, die in Hamburg lebten, zur Zwangsarbeit im Rahmen von so genannten Judenkolonnen eingesetzt und musste in der Seifenfabrik Dralle arbeiten. Im Hamburger Arbeitsamt gab es das Sonderkommando „J“, das diese Zwangsarbeit verantwortete. Die Dralle Parfüm- und Seifenfabrik bestand bis 1991 und war eine bekannte Marke. Heute gehört Dralle zum französischen L’Oreal-Konzern. Seit 1920 befand sich deren Produktion im Altonaer Nernstweg.
Lea Tesch, eine der vielen dort tätigen jüdischen Zwangsarbeiterinnen und die mit Elsa Struchholz dort arbeitete, schrieb über die Arbeitsbedingungen: „Ich musste hier die schmutzigsten Arbeiten verrichten, die im Betrieb vorkamen. Bei dieser Fa. waren wir Menschen 3. Klasse. Die Fa. beschäftigte Reinmachefrauen, welche die Anweisung bekommen hatten, unsere Arbeitsräume und die Toilette, die von uns benutzt wurde, nicht zu säubern. Auch durften wir unser Essen nicht in der Kantine einnehmen, sondern mussten dieses getrennt von den sogenannten arischen Arbeitnehmern einnehmen. Hier in diesem Betrieb arbeiteten wir jüdischen Frauen nur in Gruppen. Als der Betrieb in der Präsident Krahn Strasse zerstört wurde, mussten wir jüdischen Frauen im kalten Winter aus den Trümmern Creme-Dosen bergen, trotzdem diese Arbeit sehr gefährlich war … Wir wurden dann in einem Nebenbetrieb in der Schulstrasse (Nernstweg) in Altona eingesetzt. Hier mussten sämtliche jüdischen Frauen Im Keller neben der Seifensiederei arbeiten. Wir mussten Behälter reinigen, die aus den Trümmern geborgen worden waren. Auch hier waren die sanitären Anlagen sehr schlecht. Trotzdem sich in jedem Stockwerk eine Toilette befand, mussten wir eine für uns besonders angelegte Toilette Im 5. Stock benutzen, an deren Tür ein Plakat ,Nur für Juden’ angebracht war.
An einem Sonnabend, nachmittags, es war nach Arbeitsschluss, brach im Keller Feuer aus. Die Fa. Dralle rief beim Dezernat Schallert (Arbeitsamt Hamburg) an und erklärte, die Juden hätten den Betrieb sabotiert und angesteckt. Später stellte sich aber heraus, dass einer von den sogenannten arischen Angestellten seinen elektrischen Kocher nicht ausgeschaltet hatte und das Feuer dadurch entstand. Bemerken möchte ich noch, dass bei dieser Fa., und zwar vor allem bei den Vorgesetzten, eine große antisemitische Strömung herrschte. Es wurden jüdische Arbeitnehmer bei der Gestapo denunziert, sodass diese dort abgeholt wurden und über Fuhlsbüttel nach dem KZ Auschwitz transportiert wurden. Viele von ihnen sind bis heute nicht zurückgekehrt. .. Ein Arbeitskollege mit dem Namen Algava (Julius Algava) ist auf Veranlassung der Firma Dralle aus des Betrieb durch die Gestapo abgeholt und nach Fuhlsbüttel gebracht worden, von dort wurde er nach Auschwitz deportiert und kam nicht wieder zurück.”
Umzug von Wedel in die Grindelallee 21 und dann in die Beneckestraße 2
Im November 1942 wurde Elsa Struchholz die Wohnung in der Skagerrakstraße in Wedel gekündigt und durch die Gestapo angewiesen, in ein so genanntes Judenhaus in der Grindelallee 21, im Hinterhaus, Haus A, zu ziehen, beim jüdischen Ehepaar Meyer.
Am 18. Februar 1943 musste sie erneut umziehen, diesmal in die der Grindelallee 21 gegenüberliegenden Beneckestraße 2.
Heute befindet sich dort der Campus der Universität. Über diese Adresse wurden am 11. März 1943 auch Jenny von Halle und Heinrich Schwarz nach Theresienstadt/Terezin deportiert.
Finanzbehörde streicht Versteigerungserlös aus dem restlichen Haushalt von Elsa Struchholz ein
Nach ihrem Auszug aus der Beneckestraße wurde die Wohnung versiegelt und der verbleibende Haushalt abgeholt. Der Gerichtsvollzieher Bobsien listete den Bestand ein paar Tage später auf: eine Matratze, eine alte Waschkommode, ein alter Sessel, zwei alte Polsterstühle, zwei Schränke und drei “Lampenteile”. Zynisch heißt es im Protokoll des Gerichtsvollziehers vom 26. März 1943, dass die „zur Versteigerung gelangenden Gegenstände freiwillig verkauft” wurden. Der Erlös betrug 32,80 RM und wurde nach Abzug der Kosten des Gerichtsvollziehers von der Hamburger Finanzbehörde vereinnahmt. Bobsien stellte noch seinen Arbeitslohn (0,20 RM), die „Bekanntmachungskosten” (0,05 RM) und eine Gebühr/„Absetzgeld” (1 RM) in Rechnung.
Hunderttausend Hamburger:innen haben sich damals an diesen „Auktionen” beteiligt und sich schamlos jüdisches Eigentum angeeignet. Erst 80 Jahre nach dem Ende des Nazis-Regimes, 2025, soll es in der Hamburger Finanzbehörde das erste Mal eine genaue Übersicht der Gesamthöhe geben, die die Stadt durch die Veräußerung jüdischen Eigentums durch diese Auktionen eingenommen hatte.
Elsa Struchholz kehrte im September 1945 über das KZ Mauthausen wieder nach Wedel zurück. Zunächst im Spargelkamp 30 wohnhaft, wurde sie im Dezember 1945 ausgerechnet in das Haus des ehemaligen SA-Sturmführers in Wedel, Ferdinand Kriete, Pulverstraße 31 einquartiert. Von dort aus verzog sie wenige Monate später nach Grevenbroich, wo sie ein neues Leben begann.